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Die britische Außenministerin Liz Truss will im Ukraine-Konflikt keine Kompromisse eingehen.
© Bianca De Marchi/AAP/dpa
Update

Verschärfung im Ukraine-Konflikt: London fordert Aus für Nord Stream 2 bei Angriff Russlands

Moskau will auch bei EU-Sanktionen weiterhin Gas liefern. Die USA und Großbritannien forcieren unterdessen die Ausreise des Botschaftspersonals aus Kiew.

Die britische Außenministerin Liz Truss hat im Falle eines russischen Angriffs auf die Ukraine ein Aus für die Erdgaspipeline Nord Stream 2 gefordert. „Ich bin sehr klar darin, dass Nord Stream 2 nicht fortgesetzt werden sollte für den Fall eines Angriffs auf die Ukraine“, sagte Truss am Montag dem britischen Nachrichtensender Sky News.

Auf die Frage, ob die Pipeline, die Russland und Deutschland auf direktem Weg durch die Ostsee verbindet, überhaupt in Betrieb genommen werden sollte, erwiderte Truss, Europa müsse seine Abhängigkeit von russischem Gas verringern.

Der Kreml hatte zuvor Befürchtungen zurückgewiesen, Russland könnte im Fall von neuen Sanktionen den Gashahn zudrehen. „Russland hat in den schwierigsten Momenten der Konfrontation zwischen Ost und West seine Vertragsverpflichtungen tadellos erfüllt“, sagte Kremlsprecher Dmitri Peskow am Montag in Moskau der Agentur Interfax zufolge.

„Russland hat noch nie einen Grund gegeben, an seiner Zuverlässigkeit zu zweifeln.“ Moskau betont immer wieder, dass auch im Kalten Krieg in der Konfrontation zwischen Sowjetunion und Bundesrepublik das Gas immer geflossen sei.

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Zuvor hatte der „Spiegel“ berichtet, dass die Europäische Union weitere Sanktionen wegen der Annexion der Krim 2014 gegen Russland verhängen will. Mehrere EU-Mitgliedsstaaten hätten demnach vergangene Woche in einer Arbeitsgruppe gefordert, weitere fünf Personen und Organisationen auf die Sanktionsliste der Europäischen Union zu setzen, schreibt das Nachrichtenmagazin. Die Liste wird seit der Krim-Annexion immer wieder erweitert.

Der Vorstoß zu erneuten Sanktionen sei unter anderem von Litauen, Bulgarien, Rumänien und Dänemark ausgegangen.

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Der deutsche Vertreter in der Arbeitsgruppe habe nach Rücksprache mit dem Auswärtigen Amt in Berlin das Okay für zusätzliche Sanktionen bekommen. Wie diese ausfallen, ist bisher noch nicht bekannt und soll wohl auch nicht öffentlich kommuniziert werden. Man wolle Putin im Unklaren darüber lassen, welche Folgen sein Handeln auslösen, zitiert der „Spiegel“ einen nicht namentlich bekannten EU-Diplomaten.

Der Chef des Auswärtigen Ausschusses im Bundestag, Michael Roth (SPD), hatte der „Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung“ gesagt, falls der Westen Sanktionen verhänge, könnten Gaslieferungen aus Russland „in Gefahr geraten“. Der CDU-Europapolitiker Gunter Krichbaum vermutete, „dass die Preise in diesem Fall steigen würden“.

Nach Einschätzung des Energiemarktexperten Hanns Koenig vom Analysehaus Aurora Energy Research ist ein „kompletter Lieferstopp“ zwar nicht „das wahrscheinlichste Szenario“, aber das Risiko sei „da“. Deutschland bezieht einen Großteil seines Gases aus Russland. Dem widersprach der Kreml nun.

Deutschland finanziert Ausreise von Botschafts-Familien

Im sich verschärfenden Russland-Ukraine-Konflikt gibt es unterdessen Bewegung: Das Auswärtige Amt finanziert Familienangehörigen von Mitarbeitern der Botschaft in Kiew eine freiwillige Ausreise. Das gelte auch für deutsche Organisationen wie das Goethe-Institut, den Deutschen Akademischen Austauschdienst und die Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit, sagte Außenamtssprecher Christopher Burger am Montag in Berlin. „Das ist eine Maßnahme, die wir treffen, um die Sicherheit der Menschen, für die wir Verantwortung tragen, dort zu gewährleisten.“

Die Arbeitsfähigkeit der Botschaft in Kiew bleibe aber sichergestellt, ergänzte Burger. „Unsere diplomatische Präsenz brauchen wir vor Ort auch weiterhin, um der Ukraine in dieser Situation zur Seite zu stehen.“

USA und Großbritannien verringern Botschaftspersonal

Damit geht das Auswärtige Amt nicht so weit wie die US-Regierung: Sie verringert angesichts der angespannten Lage im Ukraine-Konflikt mit Russland ihre Botschaftspräsenz in Kiew. Die freiwillige Ausreise nicht unmittelbar benötigter Beschäftigter wegen der anhaltenden Bedrohung durch russische Militäraktionen sei genehmigt worden, teilte das US-Außenministerium mit. Familienangehörige von Diplomatinnen und Diplomaten wurden aufgefordert, die Ukraine zu verlassen.

Einem Bericht der „New York Times“ zufolge erwägt US-Präsident Joe Biden nun sogar die Entsendung von mehreren Tausend US-Soldaten zu Nato-Verbündeten im Baltikum und in Osteuropa. Das Bündnis erklärte am Montag, es würden zusätzliche Kampfflugzeuge und Marineschiffe in die Ostsee und in osteuropäische Länder wie Litauen entsandt. Demnach beteiligen sich Nato-Staaten wie Dänemark und Spanien, die USA und Frankreich erwägen es der Mitteilung zufolge.

Es handle sich bei den Maßnahmen die US-Botschaft betreffend um „Vorsichtsmaßnahmen“, sagte eine hochrangige Beamtin des US-Außenministeriums. Auf die Frage, warum diese Entscheidung ausgerechnet jetzt getroffen worden sei, verwies das Ministerium auf die Warnung des Weißen Hauses aus der vergangenen Woche, wonach es jederzeit zu einem Einmarsch Russlands in die Ukraine kommen könne. Die Ausreise des nicht vor Ort notwendigen Personals sei freiwillig. Familienangehörige seien jedoch dazu verpflichtet, das Land zu verlassen. Über den Schritt war bereits seit einigen Tagen spekuliert worden.

Die Ukraine bezeichnete den Schritt der USA als „verfrüht“. Es handle sich um „übertriebene Vorsicht“, erklärte der Sprecher des ukrainischen Außenministeriums, Oleg Nikolenko. In letzter Zeit habe es „keine radikalen Veränderungen“ in der Sicherheitslage in der Ost-Ukraine gegeben.

Russland unternehme „derzeit aktive Anstrengungen, um die innenpolitische Lage in der Ukraine zu destabilisieren“, warnte Nikolenko. Medien verbreiteten „Falschinformationen“, um „Panik unter Ukrainern und Ausländern zu säen“. Es sei daher wichtig, „die Risiken nüchtern zu betrachten und Ruhe zu bewahren“.

Nach den USA ordnete auch Großbritannien die Ausreise eines Teils seines Botschaftspersonals an. „Einige Mitarbeiter“ der Botschaft und ihre Angehörigen „ziehen sich als Reaktion auf die wachsende Bedrohung durch Russland aus Kiew zurück“, erklärte das britische Außenministerium am Montag. Die britische Botschaft bleibe offen und werde weiterhin ihre Kernaufgaben wahrnehmen.

Die Europäische Union weist Familienangehörige von Diplomaten in der Ukraine nicht an, auszureisen. Der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell sagt, es gebe derzeit keinen konkreten Anlass. Gespräche darüber hielten aber an. Er gehe davon aus, dass US-Außenminister Blinken die EU-Außenminister bei ihrem Treffen über die Hintergründe des US-Schritts informieren werde.

Bundesregierung prüft Waffenlieferung aus Estland an die Ukraine

Die Bundesregierung prüft nun eine von Estland beantragte Genehmigung, Waffen an die Ukraine zu liefern. Diese ist erforderlich, weil die Haubitzen aus DDR-Altbeständen mit Auflagen zunächst an Finnland verkauft und dann später von dort an Estland gegeben worden waren. Es gehe abre „in diesem Fall nicht um deutsche Waffenlieferungen, sondern um Waffenlieferungen aus Estland“, sagte die stellvertretende Regierungssprecherin Christiane Hoffmann am Montag in Berlin. Die Entscheidung stehe noch aus.

Das bedeute jedoch nicht, dass die Bundesregierung ihre Haltung gegenüber Waffenlieferungen und insbesondere der Lieferung von tödlichen Waffen in die Ukraine verändert habe, sagte Hoffmann. „Sie erteilt im Hinblick auf den Konflikt in der Ukraine keine Genehmigung für die Lieferung von letalen Kriegswaffen. Und sie sieht natürlich, dass Verbündete eine andere Position haben und das auch anders handhaben.“

Auf die Frage, ob die Ukraine denn für den Fall eines russischen Angriffs mit deutschen Waffen rechnen könne, sagte sie, genau eine solche Eskalation wolle die Bundesregierung verhindern. „Und für den Fall, dass es zu einer russischen Intervention oder einem wie auch immer gearteten Eindringen auf ukrainisches Territorium kommt, bereitet die Bundesregierung ja gemeinsam mit ihrem Verbündeten eine Reihe von Maßnahmen vor, die wir jetzt hier aber im Einzelnen nicht besprechen.“

Olaf Scholz sieht Frieden und Sicherheit in Europa gefährdet

Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) bekräftigte in der „Süddeutschen Zeitung“, „dass es hohe Kosten haben würde für Russland, wenn es eine militärische Aggression gegen die Ukraine gibt“. Auf Nachfrage, welche das sein könnten, sagte er: „Im Kreise der Verbündeten verständigen wir uns, wie mögliche Maßnahmen aussehen.“ Die Bundesregierung hatte klar gemacht, dass bei einem russischen Einmarsch in die Ukraine alle Optionen auf dem Tisch liegen - auch Konsequenzen für die Gaspipeline Nord Stream 2.

Scholz sprach von einer Bedrohung für Frieden und Sicherheit in Europa. „Dass Grenzen nicht infrage gestellt werden, gehört zu den Errungenschaften der Entspannungspolitik und der Verständigungen nach 1990, genauso wie die territoriale Integrität der Länder. Das bedeutet, dass wir nicht mit Gewalt nationale Grenzen verschieben, nur weil in alten Büchern vielleicht andere Grenzen verzeichnet sind. Recht und Regeln müssen gelten und nicht militärische Macht.“

Blinken betont Geschlossenheit

Verteidigung für die deutsche Haltung zu Russland kommt aus den USA: Nach den umstrittenen Äußerungen des inzwischen zurückgetretenen deutschen Marine-Inspekteurs Kay-Achim Schönbach sah sich Blinken außerdem genötigt, Deutschland zu verteidigen. Er wurde in mehreren Interviews auf das Thema angesprochen. „Ich kann Ihnen sagen, dass die Deutschen unsere Besorgnis teilen und entschlossen sind, schnell, wirksam und geschlossen zu reagieren“, sagte Blinken auf die Frage, ob die Bundesregierung zu zurückhaltend in der Krise sei. Der deutsche Vizeadmiral hatte bei einem Auftritt in Indien Verständnis für Russlands Staatschef Wladimir Putin geäußert.

US-Präsident Joe Biden hatte sich über die Krise mit Moskau am Wochenende mit seinem Sicherheitsteam beraten. Der „New York Times“ zufolge steht nun die Entsendung von US-Soldaten sowie von Kriegsschiffen und Flugzeugen zu Nato-Verbündeten im Raum. Die US-Regierung zeigte sich diesbezüglich zuletzt eher zurückhaltend. Die Zeitung berief sich auf mehrere nicht namentlich genannte Beamte. Aus dem Weißen Haus gab es für derartige Pläne zunächst keine Bestätigung.

Zu den Optionen gehöre die Entsendung von 1000 bis 5000 Soldaten in osteuropäische Länder, mit der Möglichkeit, diese Zahl zu verzehnfachen, wenn sich die Lage verschlechtere, hieß es in dem Bericht. Eine Entscheidung werde noch in dieser Woche erwartet.

Auf die Frage, ob die USA US-Soldaten in die Ukraine im Falle einer Invasion schicken würden, reagierte US-Außenminister Blinken am Sonntag ausweichend. Die Nato selbst werde weiterhin in erheblichem Maße gestärkt werden, falls Russland erneute Aggressionen verübe, sagte er. Biden hatte eine Entsendung von US-Soldaten in die Ukraine zuvor ausgeschlossen. Die USA unterstützen die Ukraine mit militärischem Material. Aktuell sind dem Pentagon zufolge weniger als 200 Militärs der Nationalgarde von Florida in der Ukraine im Einsatz.

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Bei dem Treffen in Brüssel soll nun der Umgang mit als inakzeptabel erachteten Forderungen Russlands Thema sein. Zudem wird erwartet, dass Blinken über die Krisengespräche mit seinem russischen Kollegen Sergej Lawrow in Genf berichtet. Nach Angaben des Auswärtigen Dienstes der EU wird sich Blinken per Videokonferenz zu einem physischen Treffen der europäischen Minister zuschalten. Für die Bundesregierung wird Außenministerin Annalena Baerbock erwartet.

Angesichts eines massiven russischen Truppenaufmarsches in der Nähe der Ukraine wird im Westen befürchtet, dass der Kreml einen Einmarsch in das Nachbarland planen könnte. Für möglich wird allerdings auch gehalten, dass nur Ängste geschürt werden sollen, um die Nato-Staaten zu Zugeständnissen bei Forderungen nach neuen Sicherheitsgarantien zu bewegen. Erklärtes Ziel Russlands ist es etwa, dass die Nato auf eine weitere Osterweiterung verzichtet und ihre Streitkräfte aus östlichen Bündnisstaaten abzieht. Die Nato, aber auch die EU lehnen diese Forderungen als inakzeptabel ab.

Die USA passten auch ihre Reisehinweise für die Ukraine und Russland an. Für beide Länder wurde bereits zuvor von Reisen abgeraten - es gilt weiterhin die höchste Gefahrenkategorie 4. Für die Ukraine warnt die US-Regierung nun konkret vor der zunehmenden Bedrohung durch russische Militäraktionen - zuvor war neben Corona vor den „zunehmenden Bedrohungen seitens Russlands“ die Rede. Das Außenministerium machte deutlich, dass es im Falle eines Einmarsches Russlands keine Evakuierungsaktion geben werde - US-Bürgerinnen und -Bürger sollten sich nun um kommerzielle Flüge bemühen.

US-Außenminister Blinken bekräftigte, dass Russland versuche, die Ukraine zu destabilisieren, um die Regierung in Kiew zu stürzen. Dabei nahm er auch Bezug auf die Warnung aus London, wonach Russland angeblich massiv politischen Einfluss in der Ukraine nehme und eine pro-russische Führung in Kiew etablieren wolle. Derartiges Vorgehen sei Teil des russischen „Werkzeugkastens“. (dpa)

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