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Verteidigungsministerin Christine Lambrecht (SPD) beim Antrittsbesuch bei Marinechef Kay-Achim Schönbach
© Bernd Wüstneck/AFP

Skandal um den Chef der deutschen Marine: Ein Admiral bringt die Regierung in Verlegenheit

Marinechef Schönbach bringt mit scharfer Kritik am Ukraine-Kurs sich selbst ums Amt - und bugsiert zugleich die Regierung in schweres Fahrwasser.

Sich in aussichtsloser Lage selber zu versenken zählt bei der Kriegsmarine zur uralten Tradition. Der deutsche Marinechef Kay-Achim Schönbach allerdings vollführte das Manöver völlig ohne Not.

Der Vizeadmiral hatte auf einem Forum in Indien die Position der eigenen Regierung im Ukraine-Konflikt für Unsinn erklärt.

Jetzt ist er seinen Posten los, die Bundesregierung allerdings nicht das Problem. Denn die Ukraine nimmt die losen Sprüche des Spitzenmilitärs zum Anlass, die deutsche Haltung zu ihrem Land und speziell das Nein zu Waffenhilfen unter Generalverdacht zu stellen.

Schönbachs Rückzug war zwangsläufig. Seine eigenwillige Lageeinschätzung im kleinen Kreis indischer Verteidigungsexperten war zwar nicht für die Öffentlichkeit gedacht. Aber weil das Institut den Auftritt aufzeichnete, kann mittlerweile jeder nachhören, wie der Vizeadmiral es für „Nonsens“ erklärt, dass Russland die Ukraine angreifen wolle.

Dem russischen Präsidenten Wladimir Putin gehe es nur um Augenhöhe mit dem Westen, befand der Militär: „Es ist leicht, ihm den Respekt zu geben, den er will – und den er wahrscheinlich auch verdient.“

Und weil er gerade dabei war, erklärte er Russland auch noch zum notwendigen Verbündeten des Westens gegen China und die annektierte Krim für endgültig verloren.

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Am Samstag paddelte der Vizeadmiral erst bei Twitter zurück („persönliche Meinung“, „klarer Fehler“) und kam zuletzt der Vorladung bei Generalinspekteur Eberhard Zorn durch den Rücktritt zuvor.

Für die Bundeswehr ist der Fall damit vorerst erledigt. Die Amtsgeschäfte übernimmt bis auf Weiteres der Vizeinspekteur, Konteradmiral Jan Christian Kaack.

Für Verteidigungsministerin Christine Lambrecht (SPD) und die ganze Regierung fängt der Fall aber erst an. Denn so quer Schönbachs Weltsicht zum Kabinettskurs steht, so richtig lag er doch in seinem Rücktrittsschreiben mit der Einschätzung, sein Abgang sei nötig, um weiteren Schaden von Marine und Bundeswehr, „vor allem aber der Bundesrepublik Deutschland“ zu nehmen.

Vizeadmiral Schönbach erklärt seine Welt beim indischen Manohar Parrikar Institute for Defence Studies and Analyses
Vizeadmiral Schönbach erklärt seine Welt beim indischen Manohar Parrikar Institute for Defence Studies and Analyses
© Manohar Parrikar Institute via REUTERS

Der Schaden ist groß. Die Regierung in Kiew hatte sofort die deutsche Botschafterin Anka Feldhusen einbestellt. Der ukrainische Botschafter in Berlin, Andrej Melnyk, erhob in einem „Welt“-Interview schwere Vorwürfe. Aus den Worten eines der ranghöchsten Offiziere spreche „deutsche Arroganz und Größenwahn“. Das stelle Deutschlands Glaubwürdigkeit und Verlässlichkeit „massiv in Frage“.

Melnyk zog sogar historische Parallelen: „Die Ukrainer fühlen sich bei dieser herablassenden Attitüde unbewusst auch an die Schrecken der Nazi-Herrschaft erinnert, als die Ukrainer als Untermenschen behandelt wurden.“

Auf die Geschichte verwies auch Melnyks Chef, Außenminister Dmytro Kubela. Per Twitter warf er den Deutschen am Samstag vor, die Geschlossenheit gegen Putin zu untergraben und ihn regelrecht zum Angriff zu „ermutigen“.

In der „Welt am Sonntag“ legte Kubela nach: „Die Ukraine hat immense Verluste und Zerstörungen im Zweiten Weltkrieg erlitten.“ Der einzig angemessene Schluss aus der Vergangenheit sei heute, „uns zu erlauben, uns zu verteidigen.“

Lambrecht nennt Waffenlieferungen "aktuell nicht hilfreich"

Der historische Appell zielt direkt auf die Ampel-Koalition. Denn mit einer ziemlich allgemein gehaltenen Verantwortung für die Geschichte argumentieren auch Grüne und SPD, nur begründen sie damit umgekehrt die Zurückhaltung bei der Waffenhilfe. Verteidigungsministerin Lambrecht bekräftigte diese Haltung am Wochenende mit dürren Worten. Es sei Konsens in der Regierung, dass Waffenlieferungen „aktuell nicht hilfreich“ seien.

Zugleich kündigte die Sozialdemokratin für Februar die Lieferung eines kompletten Feldlazaretts an, Ausbildung inklusive.

Das erinnert an alte Zeiten. Schon unter Helmut Kohl wurde Sanität entsandt, um Verwicklungen in Kriege oder gar Kampfhandlungen zu vermeiden.

Die Doktrin reichte bis in den Irak-Krieg, als die rot-grüne Regierung ABC-Spürpanzer an die kuwaitische Grenze verlegte. Offiziell sollten sie Kuwait gegen einen Angriff Saddam Husseins mit Chemiewaffen beistehen. Stationiert waren sie aber hintersinnigerweise direkt neben einem Aufmarschcamp der Amerikaner.

Zu der Zeit stand die Bundeswehr längst in Afghanistan, und der Kosovo-Krieg lag Jahre zurück. Die heutige Situation erinnert eher wieder an diesen ersten massiven deutschen Kriegseinsatz. Auch damals nutzten die Gegner der Intervention historische Argumente. Vor allem Grüne warnten, Deutschland dürfe nicht Krieg führen in einer Region, in der Hitlers Wehrmacht gehaust hatte.

Farbbeutel auf den Außenminister - Joscha Fischer beim Bielefelder Grünen-Parteitag 1999
Farbbeutel auf den Außenminister - Joscha Fischer beim Bielefelder Grünen-Parteitag 1999
© picture alliance / Gero Breloer/dpa

Damals drehte Joschka Fischer das Argument und seine Partei um. Beim legendären Bielefelder Parteitag 1999 hielt der erste grüne Außenminister seiner Partei die Alternativen vor: „unser gutes friedenspolitisches Interesse und Gewissen“ bewahren – oder gerade aus Verantwortung für die Menschen eingreifen und den Serbenführer Slobodan Milosevic stoppen. Ein Farbbeutel flog, aber die Partei folgte ihrem Vormann.

Die Situation ist nicht direkt vergleichbar, in einem Punkt allerdings schon: Durch Putins Aufmarsch verliert das Argument an Plausibilität, man dürfe den seit Jahren schwelenden Konflikt nicht durch Aufrüstung anheizen. Bei der FDP, die zu Kohls Zeiten sogar gegen Bundeswehreinsätze im Ausland vor das Verfassungsgericht zog, ist ein Umdenken im vollen Gange.

Auch auf Grüne macht das, wenn man genau hinhört, durchaus Eindruck. Als die Vorsitzende des Verteidigungsausschusses, Agnes-Marie Strack-Zimmermann, neulich forderte, den Koalitionsvertrag in diesem Punkt zu „überdenken“, wies der Grünen-Vorsitzendenbewerber Omid Nouripour den Vorstoß der FDP-Frau nicht kategorisch zurück.

„Letale“, also tödliche Waffen kämen nicht in Frage, wiederholte Nouripour die amtliche Position. Aber den Einwurf der Kollegin Strack-Zimmermann, ergänzte der Außenpolitiker aus dem Realo-Lager in Fischers Heimatstadt Frankfurt, verstehe er schon auch als „Aufruf zum Nachdenken“.

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