Politik in Deutschland und Frankreich: Lieber ein Wahlkampf zum Gähnen als Brüllerei und Verachtung
Verschnarchtes TV-Duell? Unsere Kolumnistin hat eine außergewöhnliche Debatte gesehen, die es so in Frankreich nicht gegeben hätte.
Nein, ich habe mich keinen Augenblick gelangweilt, als ich mir Sonntagabend das Duell zwischen Angela Merkel und Martin Schulz angeschaut habe. Während ganz Deutschland auf dem Sofa döste, während die Kommentatoren „langweilig!“ stöhnten, saß ich fasziniert vor dem Fernseher.
Vermutlich denken Sie, dass mein Leben sehr öde sein muss, wenn sogar eine verschnarchte Debatte ihm Farbe gibt, aber es bleibt dabei: In meinen Augen war es eine ganz außergewöhnliche Debatte. Ich habe die beiden genau beobachtet, drei Wochen vor der Wahl: nicht ein einziges Mal eine erhobene Stimme oder eine Beleidigung, ja nicht einmal eine hübsch verpackte Gemeinheit. Kein einziges Mal haben Angela Merkel und Martin Schulz sich gegenseitig unterbrochen. Kein „Aber Monsieur, Sie haben doch keine Ahnung, was Sie da von sich geben!“ Kein „Aber Madame, Sie belügen die Deutschen!“ Kein Schulterzucken, zum Himmel gerichtete Augen, entnervte Seufzer. Nicht die Spur von Emotion auf den völlig gleichmütigen Gesichtern. Jetzt noch eine Tasse Tee und Plätzchen, und es wäre richtig gemütlich geworden. Gegenseitiger Respekt, Ausgewogenheit, Sachlichkeit… diese Begriffe kamen mir in den Sinn, während ich die Debatte verfolgte. Ein schönes Beispiel für „Konfliktpartnerschaft“. Als ich das Wort zum ersten Mal hörte, glaubte ich, mein Gesprächspartner habe die entgegengesetzten Wörter versehentlich nebeneinander gestellt. Wir Franzosen sind an Drama und Brüllerei gewöhnt, uns ist diese subtile Kombination fremd.
In Frankreich ist es Show - eine deprimierende
Wenn Sie am vorigen Sonntag wegen Angela Merkel und Martin Schulz gähnen mussten, haben Sie noch nie ein Wahlduell à la française erlebt. Das letzte zum Beispiel, bei dem sich im Mai vor der zweiten Wahlrunde Marine Le Pen und Emmanuel Macron gegenüberstanden. Anderthalb Stunden offene Aggression bei ihr, eisige Verachtung bei ihm. Ein kurzer Auszug wird Sie über die französische Dialogkultur aufklären. Sie schreit enthemmt: „Monsieur Macron ist der Kandidat der wilden Globalisierung, der Uberisierung, der Prekarisierung, der sozialen Brutalität, des Kriegs jeder gegen jeden!“ Er mustert sie mit angestrengter Gelassenheit: „Madame Le Pen, Ihre Strategie besteht ausschließlich aus Lügen, Vorschläge haben Sie dagegen keine.“ Nein, die Franzosen sind nicht auf dem Sofa eingeschlafen. Das ist wenigstens eine Show! Aber was für eine deprimierende. Konnte man sich nach der deutschen Debatte wenigstens sagen, dass man seine Stimme guten Gewissens einem der beiden geben konnte, hatte man am Ende des französischen Zweikampfs nichts Neues gelernt, außer dass der junge Politiknovize unbedingt über diese blonde Furie siegen musste.
Duell? Ein viel zu edles Wort
Noch etwas. Für die Medienshow im Wahlkampf passt das schöne Wort „Duell“ nicht. Ein Duell ist kein schwungloser Wortwechsel, wie Angela Merkel und Martin Schulz ihn sich geliefert haben. Ein Duell hat nichts mit dem entwürdigenden Streit zu tun, wie er in Frankreich zu sehen war. Duell… ein so edles Wort. Man duelliert sich wegen der Liebe oder der Ehre, mit der Feuerwaffe oder dem Degen, auf Leben und Tod. Heute gehört das Wort nur noch in die Romane.
Aus dem Französischen von Elisabeth Thielicke. Am 10. September um 11 Uhr stellt Pascale Hugues ihr neues Buch „Deutschland à la française“ (Rowohlt) im Cinema Paris, Kurfürstendamm 211, 10719 Berlin, vor. Karten im Vorverkauf bei der Buchhandlung Ferlemann & Schatzer (Tel. 030/86396067) und im Cinema Paris.