Spitzenkandidaten im TV-Duell: Schulz treibt eine routinierte Merkel
Merkel spielt ihre Erfahrung aus, Schulz gibt sich zupackender - und in wichtigen Positionen stimmen die Kandidaten überein. Eine neue große Koalition ist nicht ausgeschlossen. Ein Kommentar.
Wer die 97 Minuten, in denen Angela Merkel und Martin Schulz versuchten, ein Millionenpublikum von sich zu überzeugen, wirklich als Entscheidungshilfe nutzen wollte, der hat sie nun. Nach diesem Abend kann jedenfalls niemand mehr sagen, der sozialdemokratische Herausforderer habe gegen die christdemokratische Amtsinhaberin keine Chance, es mangele ihm an Profil und Überzeugungskraft.
Nein, zu erleben waren da zwei von sich selbst und ihrer Sache überzeugte Profis, die bei aller Übereinstimmung in demokratischen Grundüberzeugungen dennoch von völlig unterschiedlicher Ausstrahlung waren. Hier Angela Merkel, die abwägende, sich nur ungern ins Offene wagende Bundeskanzlerin, die ihre Erfahrung ausspielte und sich immer wieder auf Gespräche mit Ministern oder anderen Regierungschefs bezog und so den Amtsbonus einsetzte. Dort Martin Schulz, der durch Überzeugungskraft und Eindringlichkeit die Routine der Langzeitregierungschefin bloßstellte.
Das verlief alles ganz fair, keiner von beiden war je aggressiv, in Gesten und Mimik zeigten sie durchaus Übereinstimmung in wichtigen Positionen. Aber sobald es darum ging, klare Kante zu zeigen, Alternativen zu bieten, überzeugte Martin Schulz mehr.
Beim Türkei und Kritik an der Autoindustrie gibt Schulz den Takt an
Am deutlichsten wurde das beim Thema Türkei. Schulz will, sollte er Kanzler werden, dem Europäischen Rat vorschlagen, die EU-Beitrittsgespräche mit der Türkei zu beenden. Merkel konterte das mit der Notwendigkeit, sich in Europa abzustimmen und dem Hinweis, dass sie noch nie für den Beitritt der Türkei zur Europäischen Union gewesen sei. Das klang dann doch merkwürdig unentschlossen, denn den europäischen Konsens als Voraussetzung hatte Schulz ja eben vorgeschlagen.
Auch in einem zweiten Punkt war er Treibender: bei der Frage des Umgangs mit den Betrügereien der Autoindustrie. Schulz fordert die Einrichtung des juristischen Instruments der Musterfeststellungsklage, damit sich Geschädigte zusammenschließen und damit das Prozessrisiko gegen Großkonzerne auf viele Schultern verteilen könnten. Da nannte die Kanzlerin den entsprechenden Vorstoß der SPD erst unausgereift, wollte ihn dann aber vom – sozialdemokratischen – Justizminister prüfen lassen. Und reagierte verdutzt, als Schulz ihr anbot, er würde gleich morgen deswegen seinen sozialdemokratischen Parteifreund Heiko Maas anrufen.
Und noch ein weiteres Mal zwang er sie, deutlich zu werden: beim Thema Rente mit 70. Es bleibt beim 67. Lebensjahr, bestätigte Merkel, so, als habe es nicht von führenden Christdemokraten massive Forderungen nach Ausdehnung der Lebensarbeitszeit gegeben.
Merkel und Schulz könnten auch zusammen
Wer nun meint, da habe sich eine Konstellation abgebildet, die eine neue große Koalition ausschlösse, der irrt. Die beiden können miteinander, sind sich erkennbar durchaus nicht unsympathisch. Mit Martin Schulz bekämen die Deutschen einen Kanzler, der der überzeugtere und überzeugendere Europäer ist. Mit Angela Merkel behielten die Bürger eine Regierungschefin, von der sie wüssten, was sie haben.
Im Schlusswort bot die sich als Mischung aus Erfahrung und Neugier an, mit der als Kanzlerin man „das gemeinsam schaffen“ könne. Martin Schulz zeichnete eine Vision dessen, was der Mensch in 60 Sekunden aufbauen und zerstören könne. Ein schönes Bild.
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