Zustimmung zum Asylkompromiss: Kretschmann bringt die Grünen in Rage
Der Bundesrat hat die Änderung des Asylrechts beschlossen. Mit dem Ja zum umstrittenen Kompromiss bringt Winfried Kretschmann die Grünen gegen sich auf. Was ist da passiert?
Es ist ein Zufall im Terminkalender, sonst könnte man es für Selbstironie halten. Doch bei den Grünen herrscht am Freitag nicht heitere Gelassenheit, sondern ohnmächtiger Zorn. Die Bundestagsfraktion debattiert am Vormittag auf einem „Freiheitskongress“ über ihr grünes Selbstverständnis. Zur gleichen Zeit zeigt Winfried Kretschmann ein paar hundert Meter weiter, wie weit seine Freiheit reicht. Der Ministerpräsident Baden-Württembergs stimmt im Bundesrat dem Asylgesetz zu, das die drei Balkanstaaten Serbien, Bosnien-Herzegowina und Mazedonien zu sicheren Herkunftsländern erklärt. Kretschmann hat sich auf einen Kompromiss mit der Bundesregierung eingelassen. Doch seine Freiheit spaltet die Grünen.
Wie kam der Kompromiss zustande?
Bereits vor der Sommerpause traf sich Kanzleramtsminister Peter Altmaier drei Mal mit Spitzen der Bundes- und Landesgrünen. Denn um ihr Asylgesetz durch den Bundesrat zu bekommen, brauchte die Koalition mindestens ein von Grünen mitregiertes Land. Öffentlich feuerte die Öko-Partei gegen den Regierungsplan. Doch in den Runden ging es, das bestätigen beide Seiten, durchweg sachlich zu.
Altmaier, als Schwarz-Grüner der ersten Stunde mit seinen Gegenübern gut vertraut, bot einen Tausch an: Wir verbessern die Lebens- und Arbeitsbedingungen der Flüchtlinge, die schon in Deutschland sind – dafür sagen die Grünen Ja. Angela Merkels Hausmeier trug vor allem zwei Argumente vor. Erstens helfe das geltende Asylrecht den Sinti und Roma gar nicht, die das Gros der Flüchtlinge vom Balkan stellen – bis auf wenige Ausnahmen müssten sie sowieso zurück nach Hause. Aber, zweitens, ihre Asylverfahren blockierten die Verwaltungen, die sich doch um die Verfolgten aus Syrien oder den Irak kümmern müssten. Altmaier wusste dabei, dass alle Landesregierungen unter massivem Druck ihrer Kreise und Gemeinden stehen, die oft kaum noch wissen, wohin mit Flüchtlingen.
Ende August übermittelte der Kanzleramtschef das Angebot schriftlich. Am Mittwoch gab es ein weiteres vertrauliches Treffen, am Donnerstag früh das letzte Angebot. Alle Beteiligten waren da schon ziemlich sicher, dass Kretschmann einschlagen wollte – und der Hesse Tarik Al-Wazir am liebsten gleich mit. Dass er dann doch bei der Parteilinie blieb, erklären Parteifreunde damit, dass er nicht allzu schwarz-grün erscheinen wollte.
In einer langen Nachtsitzung des Grünen-Parteirats prallten die Positionen am Donnerstag zusammen. Doch alle Versuche scheiterten, Kretschmann wenigstens zu einem Aufschub zu bewegen, der vielleicht noch ein paar weitere Zugeständnisse gebracht hätte, mindestens aber den unschönen Eindruck eines Geheimdeals etwas verwischt hätte. Am Freitag trägt der Schwabe im Bundesrat den Brief vor, in dem er seinen Parteifreunden seine Motive erläutert. Er halte den Asylkompromiss von 1993 weiter für falsch, doch erziele der aktuelle Kompromiss „substanzielle Verbesserungen, für die wir teilweise seit Jahren kämpfen.“
Was macht das mit den Grünen?
In seinem Beschluss vermied der Parteirat knapp den offenen Bruch: Das Gesetz sei „zynisch“ und der Kompromiss „unzureichend“, aber andere Abwägungen von Länderkabinetten „respektieren wir“. Doch tags darauf bricht sich der Unmut Bahn. „Ich halte die Entscheidung für falsch“, sagt Anton Hofreiter. Der Chef der Bundestagsfraktion ist genervt. Der Innenpolitiker Volker Beck beschimpft den Parteifreund wie sonst nur politische Gegner: „Heute wurde das Menschenrecht auf Asyl für einen Appel und ein Ei verdealt!“ Der Ärger über Kretschmanns Freiheit beherrscht die Gespräche am Rande des Freiheitskongresses. Als ein Aktivist Flugblätter von der Balustrade im Paul-Löbe-Haus wirft und „Schande“ ruft, erhält er von den Anwesenden Applaus.
Selbst Leute, die ein gewisses Verständnis für die Situation Kretschmanns als grün-bürgerlicher Landesvater haben, sorgen sich um die Wirkung dieses Tages. Bisher war die Partei klar aufseiten aller Flüchtlinge und Asylbewerber. „Man kann uns jetzt vorwerfen, dass wir nach guten und schlechten Flüchtlingen unterscheiden“, fürchtet ein Grüner. Ein paar hundert Meter weiter hat genau das schon angefangen. „Andere sind umgefallen, wir nicht“, ätzt in den Gängen des Bundesrats Torsten Albig, Chef der rot-grünen Regierung in Schleswig-Holstein. Und im Plenum schimpft der Sozialdemokrat, man dürfe Flüchtlinge nicht „in gute und schlechte“ teilen.
Wie sieht der Kompromiss genau aus?
Baden-Württemberg stimmt dem Vorhaben der Bundesregierung zu, Bosnien- Herzegowina, Serbien und Mazedonien zu „sicheren Herkunftsstaaten“ zu erklären. Ministerpräsident Kretschmann lobte, man habe dafür eine „ substanzielle Verbesserung“ der Lage von Flüchtlingen erhalten. Tatsächlich geht der Kompromiss uralte Streitpunkte zwischen den politischen Lagern an – auch wenn er sie nicht wirklich abräumt: Die umstrittene Residenzpflicht wird auf das erste Vierteljahr in Deutschland begrenzt. Sie schränkte die Bewegungsfreiheit von Asylbewerbern bisher drastisch ein. Nicht einmal zur Arbeitssuche, Weiterbildung oder für Verwandtenbesuche dürfen sie bisher den Landkreis verlassen, in dem die Behörden sie untergebracht haben. Außerdem wird es ihnen nur noch in den ersten drei Monaten strikt verboten sein zu arbeiten – bisher galt dies neun Monate – und statt Essenspaketen (Sachleistungsprinzip) wird es künftig rascher Geld geben. Auch die „Vorrangprüfung“, nach der Asylsuchende erst dann für eine Arbeitsstelle zum Zug kommen, wenn es keine geeigneten deutschen oder EU-Bewerber gibt, entfällt nach 15 Monaten – aber nur drei Jahre lang. Für Akademiker und alle, die in Deutschland dringend benötigte Berufe haben, gilt die Prüfung künftig nur noch drei Monate lang.
Kritik von Flüchtlingsorganisationen
Flüchtlingsorganisationen wie Pro Asyl wiesen am Freitag auf weitere Schwachstellen dieser Zugeständnisse der Bundesregierung hin, die Kretschmann in der Länderkammer als „Maximum“ des Erreichbaren verteidigte. Die Residenzpflicht zum Beispiel wankte längst: Seit Flüchtlinge durch Camps und demonstrativen Bruch der Vorschrift auf ihre Lage aufmerksam machten, begannen einige Länder damit, sie zu liberalisieren, etwa das rot-grün regierte Rheinland-Pfalz, das sich am Freitag im Bundesrat der Stimme enthielt. Dessen Integrationsministerin Irene Alt (Grüne) ließ im Bundesrat duchblicken, dass ihre Regierung den Plänen der Bundesregierung zugestimmt hätte, wäre die bereit gewesen, das Asylbewerberleistungsgesetz ganz abzuschaffen. Nicht nur Pro Asyl gilt das Gesetz als „Instrument der Diskriminierung und Ausgrenzung“, weil es Flüchtlinge nach wie vor von ausreichender Versorgung, etwa mit Geld und Gesundheitsleistungen, abschneidet.
Schon bisher bekamen nur wenige Menschen aus Serbien, Mazedonien und Bosnien-Herzegowina – die Mehrzahl sind Roma – in Deutschland Asyl; die Aufnahme der drei Staaten unter die sicheren Herkunftsländer wird vor allem dazu führen, dass sie nun schneller abgeschoben werden können. Dass die Asylbehörden dadurch entlastet würden, dürfe „bezweifelt werden“, sagte selbst Ministerpräsident Kretschmann. Kritiker des Kompromisses befürchten zudem die fatale Wirkung, dass sich ohnehin starke Vorurteile in der Bevölkerung gegen Sinti und Roma weiter verstärken könnten.