Sichere Herkunftsländer im Asylrecht: Gesetzesänderung zur Abweisung der Roma
Drei Balkanstaaten sollen als sichere Herkunftsländer gelten – dann würden Roma in Deutschland kein Asyl mehr bekommen. Am Freitag entscheidet der Bundesrat - aber vielleicht vertagt er sich auch.
Die große Koalition will die drei Balkanländer Serbien, Mazedonien und Bosnien-Herzegowina als „sichere Herkunftsstaaten“ einstufen. Für diese Gesetzesänderung benötigt die Bundesregierung aber die Zustimmung des Bundesrats. Dort verfügt Schwarz-Rot über 27 Stimmen, Sachsen könnte auch dabei sein. Das bedeutet: Mindestens eines der sieben grün mitregierten Länder oder das rot-rote Brandenburg müsste das Vorhaben mittragen. Die Kompromisssuche verläuft schwierig – gut möglich, dass die Entscheidung deshalb noch einmal vertagt wird.
Sichere Herkunftsländer – was bedeutet das für die deutsche Asylpolitik?
Die Asylanträge von Flüchtlingen aus diesen Ländern könnten dann schneller abgelehnt werden. Aus Sicht von Menschenrechtsorganisationen ist das absolut inakzeptabel. Pro Asyl warnt: „Sollte es zu einem Deal kommen, ist zu befürchten, dass der Druck auf die Grünen zunehmen wird, weiteren Gesetzesverschärfungen zuzustimmen.“ Vor einem „Tabubruch“ warnt die Organisation, indem das Recht auf Asyl zur Verhandlungsmasse werde. Amnesty International argumentiert, in den Balkanstaaten seien Minderheiten wie etwa Homosexuelle „weitgehend schutzlos rassistischen Übergriffen ausgesetzt“. Die deutsche Amnesty-Generalsekretärin Selmin Caliskan sagt weiter, Ausgrenzung und Diskriminierung von Roma hätten in den Balkanstaaten eine „derartige Dimension, dass sie existenz- und lebensgefährdend sein können“. Die Zahl der Asylanträge von Bürgern aus Serbien, Mazedonien und Bosnien-Herzegowina war in den vergangenen Jahren stark gestiegen. Ein Antrag hat aber in aller Regel keinen Erfolg, weil nicht von politischer Verfolgung ausgegangen wird.
Wie wird der Bundesrat entscheiden?
Im Bundestag haben Linke und Grüne das Gesetz abgelehnt. Ob es in der Länderkammer auch so läuft – und ob neben Brandenburg auch die Länder mit grüner Regierungsbeteiligung die Novelle ablehnen, war bis zum Donnerstagabend nicht klar. Im Bundesrat haben Länder mit Regierungsbeteiligung der Grünen gemeinsam mit dem rot-rot regierten Brandenburg eine Mehrheit von 38 der insgesamt 69 Stimmen. Dass ein Land aus dieser Phalanx ausbricht, erwarteten weder Landespolitiker der Union noch der SPD. Nur wenn mindestens eines der Länder mit den von CSU, großen Koalitionen oder schwarz-gelb regierten Ländern stimmt, hat das Gesetz daher eine Chance. Ausnahme ist dabei Bremen, dessen drei Stimmen nicht für eine Mehrheit reichen würden.
In zahlreichen Sitzungen wurde nach einem Kompromiss gesucht. Kanzleramtsminister Peter Altmaier (CDU) verhandelte am Donnerstag erneut mit den Ländern mit grüner Regierungsbeteiligung, nachdem er zuvor Kontakt zu den Regierungsfraktionen im Bundestag gesucht hatte. Erwartungen richteten sich dabei vor allem an den grünen Ministerpräsidenten von Baden-Württemberg, Winfried Kretschmann, der am Nachmittag mit dem Parteirat der Grünen und den grünen Vize-Regierungschefs der anderen Bundesländer zusammenkam. Kretschmann hatte sich für eine stärkere finanzielle Entlastung der Kommunen durch den Bund eingesetzt. Möglich ist also, dass sich die Bundesregierung die Zustimmung mit Finanzhilfen beispielsweise bei der Unterbringung von Flüchtlingen erkauft. In Unions-Kreisen wurde der Eindruck erweckt, dass bei den Grünen ein sachorientiertes Länderlager von den Bundespolitikern an einem Einlenken gehindert werde. Selbstkritisch wurde jedoch eingestanden, dass man wegen der Landtagswahlen wochenlang keinen Kontakt zu den Grünen gesucht habe.
In Kreisen der Länder hieß es, die Gespräche zu einer Einigung würden „schwierig“ verlaufen. Es sei in der Öffentlichkeit kaum zu vermitteln, dass die Grünen quasi in letzter Minute ihre Haltung ändern und das umstrittene Gesetz doch noch billigen. An diesem Freitag im Bundesrat ist neben einer Vertagung (die als wahrscheinlichste Lösung galt) eine Ablehnung des Gesetzes möglich – mit der Folge, dass die Bundesregierung den Vermittlungsausschuss anrufen könnte. Auch der Bundesrat könnte von sich aus die Vermittlung verlangen.
Warum das Thema vor allem für die Grünen heikel ist
Warum ist das Gesetz so umstritten?
Vor allem für die Grünen ist das Thema heikel: Schließlich steht die Partei dafür, dass keinem Menschen das Grundrecht auf Asyl verwehrt werden darf. In den Ländern mit grüner Regierungsbeteiligung hatte es die Hoffnung gegeben, in Gesprächen mit der Bundesregierung deutliche Verbesserungen für Flüchtlinge durchsetzen zu können. So macht sich die Partei dafür stark, das Asylbewerberleistungsgesetz abzuschaffen und die Flüchtlinge in die Sozialsysteme einzugliedern, was auch die Kommunen finanziell entlasten würde. Die Grünen fordern einen schnelleren Zugang zum Arbeitsmarkt ohne Vorrangprüfung sowie eine Abschaffung der Residenzpflicht. Vor der Sommerpause hatte es erste Gespräche zwischen Kanzleramtschef Altmaier und Vertretern der Länder gegeben. Doch nach Darstellung der Grünen gibt es bislang kein ernsthaftes Angebot – womöglich auch aus Angst vor der rechtspopulistischen AfD.
Bei den Grünen ist aber ohnehin umstritten, ob sie sich auf einen Kompromiss einlassen sollten. In den vergangenen Tagen gab es deutliche Warnungen, einen Deal mit der Bundesregierung einzugehen. „Das Recht auf Asyl gilt ohne Kompromisse“, heißt ein im Internet veröffentlichter Appell, der seit Montag von zahlreichen prominenten Grünen-Politikern aus Bund und Ländern unterschrieben worden ist. Neben Bundestagsvizepräsidentin Claudia Roth gehören etliche weitere Bundestags- und Europaabgeordnete zu den Unterzeichnern. „Dass die Länder eine reine Abschottungspolitik mittragen, geht gar nicht“, sagte auch die Vorsitzende der Grünen Jugend, Theresa Kalmer, dem Tagesspiegel. Es seien zwar richtige Forderungen, das Asylbewerberleistungsgesetz abzuschaffen und Arbeitserleichterungen durchzusetzen. „Wenn Flüchtlinge gar nicht mehr nach Deutschland kommen können, ist das ein fauler Kompromiss“, meint Kalmer.
Auch Grünen-Fraktionschefin Katrin Göring-Eckardt hatte zuletzt im Bundestag davor gewarnt, Flüchtlingsgruppen gegeneinander auszuspielen. Einem Kompromiss würden die Grünen wohl nur dann zustimmen, wenn die Situation der Roma nicht aus dem Blick gerät, die offiziell in den Balkanstaaten nicht als verfolgt gelten. Der Grünen-Vorsitzende Cem Özdemir sagt: „Wenn die Regierung bereit ist, die Sache ideologiefrei anzugehen und lösungsorientiert zu arbeiten, werden wir uns Lösungen sicher nicht verschließen.“ Als mögliche Gegenleistungen für ein Ja im Bundesrat nennt er die Abschaffung „absurder Regelungen“ wie der Vorrangregelung für Deutsche, die Flüchtlingen eine Arbeitsaufnahme erschwert, sowie der bislang geltenden Residenzpflicht. Der Gesetzentwurf sieht bisher nur eine Verkürzung der Sperrfrist für eine Arbeitserlaubnis vor.
Wie wichtig ist eine Lösung des Problems für die Koalition?
Laut sagt es niemand, klar ist es trotzdem allen: Der Umgang mit den Asylbewerbern ist für die große Koalition und speziell die Unionsparteien eine Angelegenheit von fast strategischer Bedeutung. Die Landtagswahlen in Sachsen, Thüringen und Brandenburg haben einmal mehr gezeigt, wie leicht sich Populisten vom Schlag der Alternative für Deutschland (AfD) die Ängste und Abneigungen von Wählern zunutze machen können. Auch die historischen Erfahrungen mit dem rasanten Aufstieg der „Republikaner“ in den 90er Jahren lassen es für CDU und CSU geraten erscheinen, sich nicht in eine lange Debatte über ein „Asylproblem“ zu verwickeln. CDU-Chefin Angela Merkel dürfte zumindest auch an die Asylfrage gedacht haben, als sie als beste Strategie gegen die AfD die Lösung von Problemen ausgab, die die Wähler der neuen Konkurrenz bewegen.
CSU-Chef Horst Seehofer hat auf die Herausforderung mit den traditionellen Reflexen der Union reagiert. Der Bayer droht mit Kontrollen an den Grenzen zu Österreich, damit Balkan- und Afrika-Flüchtlinge gar nicht erst ins Land kommen. Merkel und ihre Leute setzen auf eine weniger lautstarke Lösung. Ein langer Konflikt um die Asylfrage würde nach ihrer Einschätzung nur der AfD nutzen, schon weil es der CDU niemand abnehmen würde, wenn sie sich jetzt plötzlich als Law-and-order-Partei geben würde. „Das wäre ein bisschen sehr durchsichtig“, vermutet einer aus der CDU-Spitze.
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