Zwischen Wunsch und Wirklichkeit: Kramp-Karrenbauer legt einen Riss in der Koalition offen
In ihrer Rede zur Vereidigung zeichnet die Verteidigungsministerin das Bild eines trügerischen Friedens. Die SPD hingegen blendet vieles aus. Ein Kommentar.
Niemand sollte der neuen Bundesministerin der Verteidigung einen Vorwurf daraus machen, dass sie ihre erste Rede nach der Vereidigung nicht für ein Signal des Aufbruchs nutzte. Es hätte zwangsweise wie eine Distanzierung Annegret Kramp-Karrenbauers von ihrer Vorgängerin im Amt gewirkt. Und berechtigte Kritik am Wirken Ursula von der Leyens und ihren Ungeschicklichkeiten im Umgang mit der Truppe gab es ja Partei-übergreifend reichlich. Stattdessen tat die Saarländerin etwas sehr Kluges. Sie rief selbstverständliches in Erinnerung – und machte damit den Riss innerhalb der Koalition deutlich.
Ihre Vorstellung von deutscher Verteidigungs- und Sicherheitspolitik ist völlig anders als jene, die der amtierende Fraktionsvorsitzende der SPD, Rolf Mützenich, erkennen lässt. Während die Christdemokratin von einem trügerischen Bild des Friedens spricht, von der Herausforderung durch autoritäre Kräfte, fordert der Sozialdemokrat eine europäische Friedensordnung unter Einbindung Russlands. Da muss jedem klar werden, dass Kramp-Karrenbauer eine Welt beschreibt, wie sie ist, Mützenich hingegen eine, die wünschenswert wäre.
Während die Neue im Amt warnt, aus einem Reflex heraus Unterstützungsanfragen von Verbündeten sofort abzulehnen oder positiv zu bescheiden, weist der SPD-Politiker die Berufung auf Bündnisverpflichtungen und Forderungen nach einem wachsenden Verteidigungsetat pauschal zurück. Die kämen von einem Rassisten im Weißen Haus, der sich durch Unberechenbarkeit auszeichne. Dass sich 2014 in Wales alle Nato-Länder so verpflichteten, dass es sich also nicht nur um eine US-amerikanische Forderung handelt, sagte Mützenich nicht.
Die neue Ministerin erweist sich als kluge Taktikerin
Möglicherweise ist den Sozialdemokraten nicht einmal bewusst, dass Kramp- Karrenbauer mit ihrer Warnung, nicht reflexhaft zu reagieren, geschickt eine ganz aktuelle Problemstellung umschifft: Wie umgehen mit einer britischer Überlegung, zur Sicherung der Handelsschifffahrt im Golf von Oman auch um die Begleitung von deutschen Kriegsschiffen zu bitten? Da erweist sie sich als kluge Taktikerin – eine solche Frage müsste die Bundesregierung schließlich erst sorgfältig prüfen.
Dies ist nicht nur wegen der global-politischen Dimension einer derartigen Operation dringend geboten, sondern auch im Blick auf die technischen Fähigkeiten: Hat Deutschland überhaupt genug einsatzfähige Kriegsschiffe, um neben den laufenden Kommandos im Mittelmeer und vor Somalia auch noch in die Straße von Hormus einzulaufen? Die Antwort ist ein klares Nein.
Daher wehrt sich Kramp-Karrenbauer gegen den Vorwurf, sie betreibe mit dem Blick auf das angestrebte Wachstum ihres Haushaltes eine Aufrüstungspolitik. Nein sagt sie, ihr gehe es um Ausrüstung, um einsetzbare Schiffe und Panzer in jeder Einheit. Es soll nicht mehr das Material vom Nachbarbataillon ausgeliehen werden müssen. Darauf habe eine Bundeswehr, die sich aus der Mitte der Gesellschaft rekrutiert, Anspruch, auch aus Respekt. Zu dem gehören für sie auch öffentliche Gelöbnisse in allen Bundesländern.
Was Horst Köhler einst sagte, ist heute selbstverständlich
Die Mischung aus Diplomatie, Einsatz der Bundeswehr und Entwicklungshilfe nennt die neue Ministerin vernetzte Friedenspolitik, direkte Friedenssicherung. Wie schnell sich die Welt verändert, wie selbstverständlich alle Nato-Staaten heute auch Militär zur Sicherung der Handelswege einsetzen, zeigt ein Blick zurück in den Mai 2010. Da trat Bundespräsident Horst Köhler zornig zurück, weil es an einer Äußerung von ihm heftige Kritik in der Politik und in Medien gegeben hatte.
Köhler hatte, auf dem Rückflug von einem Besuch bei der Bundeswehr in Afghanistan, auf eine Journalistenfrage gesagt, es sei vorstellbar, dass „im Zweifel, im Notfall auch militärischer Einsatz notwendig ist, um unsere Interessen zu wahren, zum Beispiel freie Handelswege, zum Beispiel ganze regionale Instabilitäten zu verhindern“. Diese Kriterien erfüllen heute fast alle Auslandseinsätze der Bundeswehr.