Reaktionen auf Groko: „Koalition der Türkei-Feinde“
Um EU-Beitritt und Visafreiheit zeichnet sich neuer Streit ab – aber Ankara hofft auf Sigmar Gabriel.
Mit dem zaghaften Frühlingsklima in den Beziehungen zwischen der Türkei und Deutschland könnte es schon bald wieder vorbei sein. Die Leitlinien der neuen Großen Koalition in Berlin zur Türkei-Politik stehen im krassen Gegensatz zu den europapolitischen Erwartungen in Ankara: Berlin will den türkischen EU-Prozess einfrieren, während die Türkei auf neue Fortschritte hofft. In dem Moment, in dem Deutschland eine kritische Haltung gegenüber der Türkei zur Regierungspolitik erhebt, dringt Ankara erneut auf die Reisefreiheit für Türken in Europa.
„Die Türkei ist ein wichtiger Partner Deutschlands und Nachbar der EU, zu dem wir vielfältige Beziehungen haben“, heißt in der Koalitionsvereinbarung von Union und SPD. Doch gleichzeitig betonen die Koalitionäre: „Die Lage der Demokratie, von Rechtsstaatlichkeit und Menschenrechten in der Türkei hat sich seit Längerem verschlechtert. Deshalb wollen wir bei den Beitrittsverhandlungen keine Kapitel schließen und keine neuen öffnen. Visa-Liberalisierung oder eine Erweiterung der Zollunion sind erst dann möglich, wenn die Türkei die notwendigen Voraussetzungen erfüllt.“
Das ist das Gegenteil von dem, was die Türken aus Europa hören wollen. Offizielle Stellungnahmen aus Ankara dazu lagen am Freitag zunächst nicht vor – doch auch so wurde deutlich, wie sehr die neue inhaltliche Ausrichtung in Berlin türkischen Zielen zuwiderläuft. Türkische Medien bezeichneten die neue deutsche Regierung als „Koalition der Türkei-Feinde“. In der Zeitung „Yenisöz“ hieß es, „Hitlers Enkel“ hätten sich auf Türkei-Feindschaft und Terror-Unterstützung geeinigt.
Die türkische Regierung erwartet "neuen Schwung"
Am selben Tag, an dem in Berlin die Koalitionspläne vorgestellt wurden, legte die Regierung in Ankara ein Papier vor, mit dem sie der EU nachweisen will, dass sie alle Kriterien für den visafreien Reiseverkehr erfüllt. Ankara hoffe auf „neuen Schwung“ in den Beziehungen zur EU, sagte Ibrahim Kalin, der Sprecher von Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan.
Nach einem Bericht der Zeitung „Cumhuriyet“ stellt die türkische Regierung in einem Arbeitspapier zur Visafreiheit eine Änderung der Antiterror-Gesetze in Aussicht und deutet damit die Erfüllung einer wichtigen EU-Forderung an. Demnach soll klargestellt werden, dass alle Meinungsäußerungen straffrei bleiben sollen, bei denen die journalistischen Grenzen der Kritik nicht überschritten werden. Das Gesetz dient der türkischen Justiz als Grundlage für die Inhaftierung von regierungskritischen Journalisten.
Dass eine solche Novelle viel an den Realitäten im Land ändern würde, ist allerdings unwahrscheinlich. Allein seit Beginn der jüngsten türkischen Militärintervention in Syrien am 20. Januar sind rund 450 Menschen wegen Kritik am Krieg in Haft genommen worden. Zudem sitzen mehr als hundert regierungskritische Journalisten in Haft, denen aufgrund ihrer Artikel eine Unterstützung von Terrororganisationen vorgeworfen wird. Erdogan selbst hatte kürzlich Journalisten „Gärtner“ des Terrorismus genannt.
Ankara hofft dennoch auf einen Neuanfang beim geplanten Gipfeltreffen von EU und Türkei am 26. März im bulgarischen Varna. Die Nachrichtenagentur Reuters meldet, die EU wolle der Türkei eine zweite Tranche von drei Milliarden Euro für die Versorgung syrischer Flüchtlinge bewilligen. Die von Ankara erhoffte Visafreiheit und einen Ausbau der Zollunion werde es aber nicht geben.
Ankara hofft auf Sigmar Gabriel als Außenminister - jetzt wieder neu
Auch im türkisch-deutschen Verhältnis hatte in jüngster Zeit trotz vieler ungelöster Probleme eine gewisse Entspannung eingesetzt. Außenminister Mevlüt Cavusoglu betonte die Bereitschaft seines Landes, auf die Deutschen zuzugehen. Berlin dringt auf die Freilassung des deutsch-türkischen Journalisten Deniz Yücel, der seit fast einem Jahr ohne Anklage in Istanbul in Haft sitzt. Die Türkei erwartet von der Bundesrepublik die Auslieferung mutmaßlicher Drahtzieher des gescheiterten Putschversuches von 2016. Cavusoglu und der geschäftsführende Bundesaußenminister Sigmar Gabriel (SPD) konnten diese Fragen bisher nicht klären, hatten aber trotzdem ein freundschaftliches Verhältnis zueinander aufgebaut.
Als sich in den vergangenen Tagen abzuzeichnen schien, dass SPD-Chef Martin Schulz neuer deutscher Außenminister werden könnte, wurde das in Ankara deshalb mit wenig Begeisterung registriert. Die Angelegenheit sei allein Sache der Deutschen, sagte Erdogan-Sprecher Kalin. Nach dem Verzicht von Schulz auf das Amt dürfte Ankara nun wieder auf eine Fortsetzung der Zusammenarbeit mit Gabriel hoffen.