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Der deutsche Außenminister Sigmar Gabriel (SPD) traf sich Anfang November informell mit seinem türkischen Amtskollegen Mevlüt Cavusoglu in Antalya.
© dpa

Deutschland und Türkei: Neue alte Freundschaft

Wie die Außenminister Sigmar Gabriel und Mevlüt Cavusoglu das deutsch-türkische Verhältnis wieder reparieren wollen.

Wenn es nach der Freundlichkeit der Signale im Vorfeld ginge, müsste das Treffen des türkischen Außenministers Mevlüt Cavusoglu mit seinem deutschen Kollegen Sigmar Gabriel (SPD) am Samstag in Goslar eigentlich ein Erfolg werden. Nach Monaten böser Töne zwischen Ankara und Berlin signalisierte Gabriel dem Nato-Partner am Freitag, deutsche Rüstungsexporte könnten wieder aufgenommen werden, wenn der Fall des inhaftierten Journalisten Deniz Yücel erst einmal gelöst sei. Das klang wie ein Versprechen: Tust du mir einen Gefallen, tu’ ich dir auch einen.

Aber auch Cavusoglu warf sich ins Zeug. Vor dem Besuch bei seinem „Freund“ Gabriel warb er in der deutschen Öffentlichkeit für einen „Neustart“ der Beziehungen. Der Funke Mediengruppe sagte er, statt „Megafon-Diplomatie“ brauche es eine „empathischere Sprache“ und mehr Verständnis für die Gegenseite. Um beides dürften sich Gabriel und Cavusoglu bei dem Gespräch in Goslar, der Heimatstadt Gabriels, bemühen. Schon bei Gabriels Besuch in Casovuglos Wahlkreis Antalya Anfang November hatten die Politiker auf die übliche diplomatische Routine weitgehend verzichtet und ohne ihre Mitarbeiterstäbe miteinander geredet.

Womöglich hat die türkische Seite bald Anlass, den Preis einzufordern, den Gabriel in Aussicht stellt. Denn im Fall des seit zehn Monaten inhaftierten Yücel mehren sich die Indizien, dass es bald zu einer Entscheidung kommen wird. Die Zeitung „Welt“ berichtete nun, die türkische Regierung habe nach neun Monaten ihre Stellungnahme beim Verfassungsgericht zur Beschwerde ihres Korrespondenten gegen die U-Haft eingereicht. Yücels Anwälte hätten nun zwei Wochen Zeit für eine Reaktion. Danach könnte das höchste türkische Gericht einen Beschluss fällen. Die Verfassungsrichter würden womöglich einer Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte in Straßburg zuvorkommen - und damit einen potenziellen Gesichtsverlust der Türkei vermeiden.

Es wäre eine bemerkenswerte Entwicklung, wenn sich die Beziehungen nach einem Jahr des erbitterten Streits zwischen Ankara und Berlin wieder normalisieren würden – und die Entspannung könnte über Deutschland hinausreichen. Im vergangenen Jahr hatte Präsident Recep Tayyip Erdogan seine Politiker-Kollegen in Westeuropa noch als Nazis und Islamfeinde beschimpft. Doch kürzlich sprach er von „alten Freunden“ in der EU, mit denen er „keine Probleme“ habe.

Die Wahlen 2019 in der Türkei bilden den Hintergrund der Charme-Offensive

Dreh- und Angelpunkt der Neuentdeckung der „alten Freunde“ in Europa sind die im kommenden Jahr anstehenden Wahlen in der Türkei, bei denen Erdogan sein Präsidialsystem vollenden will. Unter anderem aus wirtschaftlichen Gründen will er vorher die Beziehungen zu den EU-Staaten normalisieren. So hatte Deutschland im Streit um inhaftierte Bundesbürgern die staatlichen Hermes-Bürgschaften für Türkei-Geschäfte deutscher Unternehmen begrenzt.

Auch politische Motive befördern die Wiederannäherung an die Europäer. Im Nahen Osten ist die Türkei isoliert; mit wichtigen Staaten wie Saudi-Arabien und Ägypten gibt es erhebliche Differenzen. Das Verhältnis zu den USA, dem wichtigsten westlichen Verbündeten, ist ebenfalls zerrüttet. Zum Streit um die amerikanische Unterstützung für die Kurden in Syrien tritt der türkische Verdacht, dass Washington in eine Verschwörung gegen die Regierung Erdogan verwickelt ist.

Vor diesem Hintergrund ist Erdogans ausgestreckte Hand Richtung Europa als taktisches Manöver zu sehen, sagt Aykan Erdemir, ein ehemaliger türkischer Parlamentsabgeordneter, der für die Denkfabrik „Foundation for Defense of Democracies“ in Washington arbeitet. Einen grundsätzlichen Wandel hin zu einer proeuropäischen Politik kann Erdemir bei dem Präsidenten nicht erkennen: Erdogan werde zu seiner „feindseligen Rhetorik“ zurückkehren, wenn es seinen wahltaktischen Überlegungen entspreche.

Bereits am Freitag traf Erdogan Frankreichs Präsident Emmanuel Macron zum Arbeitsessen im Elyséepalast. Bei dem Gespräch ging es um den Kampf gegen Terrorismus, Europathemen, Menschenrechte, aber auch um Syrien – und Wirtschaftsbeziehungen zwischen den beiden Ländern. „Wir haben heute gemeinsame Interessen“, sagte Macron, „die erste ist der Kampf gegen Terrorismus.“

Auch wenn der Besuch in Goslar schöne Bilder und freundliche Statements produzieren sollte: Allein eine Lösung für Deniz Yücel wird nicht ausreichen für den von Cavusoglu gewünschten „Neustart“ der Beziehungen – zumindest dann nicht, wenn es nach deutschen Außenpolitikern geht. „Erst mit der Wiederherstellung rechtsstaatlicher Prinzipien kann es weitere Fortschritte geben“, warnt etwa SPD-Fraktionsvize Rolf Mützenich. Ähnlich sieht das der CDU-Außenpolitiker Jürgen Hardt: Wenn die Türkei wirklich zur „europäischen Wertegemeinschaft“ zurückkehren wolle, so sagt er, müsse sie den Ausnahmezustand aufheben, die Unabhängigkeit der Justiz und die Freiheit der Presse wiederherstellen sowie alle Personen freilassen, „die ohne Anklage schon lange in türkischen Gefängnisses sitzen“.

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