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Rettungseinsatz. Allein an einem einzigen Tag Ende Januar wurden 800 Menschen geborgen, die die europäische Küste zu erreichen versuchten.
© dpa

Migration: Flüchtlinge kommen wieder über die Mittelmeerroute

Im Januar ist die Zahl der Landungen in Süditalien sprunghaft gestiegen. Roms Deals mit der schwachen libyschen Regierung scheinen nicht mehr zu funktionieren.

Nach Monaten der relativen Ruhe verzeichnet Italien seit Anfang 2018 wieder eine massive Zunahme von Flüchtlingen über die Mittelmeerroute. Noch ist nicht klar, ob bereits von einer Trendwende gesprochen werden kann.

Die derzeit wieder steigenden Flüchtlingszahlen in Italien schlagen sich auch in alarmierenden neuen Daten zu Fluchtopfern auf dem Mittelmeer nieder. Allein am letzten Samstag im Januar wurden bei fünf verschiedenen Einsätzen in internationalen Gewässern vor der libyschen Küste rund 850 Flüchtlinge gerettet. Mindestens drei Frauen aus Afrika sind nach Angaben der italienischen Küstenwache ertrunken; weitere 30 Personen wurden vermisst. Bei einem der Rettungseinsätze war auch das Motorschiff Aquarius der Hilfsorganisation SOS Méditerranée dabei, die mit der italienischen Küstenwache zusammenarbeitet.

Zahlen alarmieren die Regierung - bald wird gewählt

Die Besatzung der „Aquarius“ sprach anschließend von „schrecklichen Szenen“: Es seien so viele Menschen im Wasser gewesen, dass man „überall gleichzeitig“ hätte sein müssen. Vier Babys seien bereits bewusstlos im Wasser getrieben und hätten reanimiert werden müssen; zwei Mütter seien vor den Augen der Retter ertrunken, berichtete der Kapitän der „Aquarius“, Klaus Merkel.

Die Ereignisse sind der Beleg für eine Entwicklung, die das italienische Innenministerium bereits wieder in Alarmbereitschaft versetzt hat: Die sogenannte Mittelmeerroute von Libyen nach Sizilien und Kalabrien ist wieder reaktiviert worden. Dank diverser Abkommen mit der – wenig durchsetzungsfähigen – Regierung des libyschen Premiers Fayez al Sarraj in Tripolis sowie mit diversen Milizenführern und Bürgermeistern war es dem italienischen Regierungschef Paolo Gentiloni und seinem Innenminister Marco Minniti gelungen, den Flüchtlingsstrom über das Mittelmeer ab dem vergangenen Sommer drastisch zu reduzieren.

Mehr Landungen als im Januar des Rekordjahrs 2016

Doch seit Anfang 2018 scheinen die libyschen Partner Italiens nicht mehr willens oder in der Lage zu sein, das Ablegen der Boote zu verhindern. Bis zum vergangenen Wochenende sind seit Jahresbeginn bereits wieder 3580 Migranten in Italien angekommen. Das sind deutlich mehr als sogar im selben Zeitraum des bisherigen Rekordjahres 2016, in dem bis zum 27. Januar 2668 Flüchtlinge registriert worden waren. Es sind auch mehr als im vergangenen Januar, als die italienisch-libyschen Abkommen noch nicht existierten und 2790 Flüchtlinge an der italienischen Küste ankamen.

Laut italienischen Medienberichten sind in den ersten vier Wochen des Jahres 2018 auch schon wieder mindestens 230 Menschen auf der Mittelmeerroute ertrunken – eine erschreckend hohe Zahl. Insgesamt waren in Italien im Rekordjahr 2016 rund 181 000 Flüchtlinge angekommen; im vergangenen Jahr waren es noch knapp 120 000 gewesen.

Helfer haben nicht genug Schiffe

Im libyschen Chaos ist der wichtigste Partner der Europäer, Fayez al Sarraj, unter Druck geraten. Dies belegen die Angriffe von Milizen gegen den Flughafen der Hauptstadt Tripolis. Möglich ist auch, dass einige der Milizenführer, die von Italien für die Bekämpfung des Schlepperwesens fürstlich bezahlt werden, die bevorstehenden Parlamentswahlen dort ausnützen, um den Preis für ihre Dienste noch zusätzlich in die Höhe zu treiben, wie etwa die Zeitung „La Repubblica“ spekulierte. Die Eindämmung der Flüchtlingsströme im letzten Jahr war einer der wichtigsten Erfolge der Mitte-links-Regierung von Paolo Gentiloni und dient nun im Wahlkampf als zugkräftiges Argument. Das ist gefährdet, sollten die Flüchtlingszahlen in den verbleibenden vier Wochen bis zu den Parlamentswahlen vom 4. März hoch bleiben. In den Umfragen liegt ohnehin bereits eine Allianz ausländerfeindlicher Parteien wie Forza Italia oder Lega Nord vorn.

Die Präsidentin von SOS Méditerranée Italia, Valeria Calandra, betonte, dass die derzeit eingesetzten Schiffe der EU, der italienischen Küstenwache und der NGOs nicht ausreichten, um die 300 Seemeilen breite „Search-and-Rescue-Zone“ vor Libyen abzudecken. „Es besteht dringender Bedarf an zusätzlichen Einheiten; wir erneuern unseren Appell an die Regierungen Europas, konkrete Maßnahmen zu ergreifen, um diesen Tragödien ein Ende zu setzen.“

Wieder eine Migrationskonferenz mit Afrikanern

Die Lage im Mittelmeer stand auch im Zentrum einer Migrationskonferenz, zu der sich am Dienstag auf Einladung des italienischen Außenministers Vertreter europäischer und afrikanischer Länder in Rom trafen. Wie Außenminister Angelino Alfano vor Beginn des Treffens erklärte, sollte es dabei vor allem darum gehen, „die Lebensbedingungen der Migranten in den Transitländern human zu gestalten und lokalen Einheiten dabei zu helfen, dem Menschenhandel übers Mittelmeer Einhalt zu gebieten“. Von EU- Seite waren neben Italien Deutschland, die Niederlande, Frankreich, Malta und Spanien vertreten, als Herkunfts- und Transitländer waren Ägypten, Äthiopien, Tschad, Algerien, Tunesien, Niger und Sudan geladen, ebenso Vertreter der Internationalen Organisation für Migration (IOM), der europäischen Sicherheitsorganisation OSZE und des UN-Flüchtlingswerks UNHCR.

EU- und afrikanische Regierungen treffen sich immer öfter zum Thema Migration. Die Konferenz in Rom unter dem Titel „Solidarität und Sicherheit“ war dort bereits die zweite in nur einem halben Jahr. Besprochen wurden daher auch die „Fortschritte in der Verringerung des Migrantenzustroms und Schutz der Migranten, die seit letztem Jahr gemacht wurden“. Erst im November hatte ein Gipfeltreffen der EU mit teils denselben afrikanischen Ländern darüber beratschlagt, wie Migration nach Europa möglichst verhindert werden könne.

Menschenrechtsorganisationen kritisieren, dass diese Partnerschaften mit Afrika den EU-Grenzschutz an Regimes mit fragwürdiger Menschenrechtsbilanz abtreten. Zudem stabilisiere das Geld, das vorgeblich in Entwicklung fließt, um die Lebensbedingungen der Migranten zu verbessern, autoritäre oder Gewaltherrschaften.

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