„Ein historischer Fortschritt, der überfällig war“: Kipping begrüßt Kompromissbereitschaft der Bundes-CDU
Nun doch: Die Bundes-CDU gibt Thüringen Spielraum. Linken-Chefin Katja Kipping spricht im Interview über das schwierige Verhältnis zur Union.
Katja Kipping (42) ist seit 2012 Bundesvorsitzende der Linken. Die Sächsin führt die Partei in einer Doppelspitze mit Bernd Riexinger. Ob sie auf dem Bundesparteitag im Juni in Erfurt erneut für das Amt antritt, ist bisher offen.
Frau Kipping, die CDU diskutiert lebhaft über die in Thüringen geplante Zusammenarbeit mit der Linkspartei. Sind Sie froh, einen Keil in die Reihen der Christdemokraten getrieben zu haben?
Ich bin vor allem froh, dass die Zivilgesellschaft mit einer klaren Gegenwehr auf den Dammbruch reagiert hat, auf die Kumpanei von CDU und FDP mit der AfD. Und ich bin natürlich froh, dass sich nun nach der Wahl eines FDP-Ministerpräsidenten von Gnaden der AfD eine Lösung abzeichnet wie Thüringen a) wieder zu Handlungsfähigkeit und b) zu Neuwahlen kommt. Für das, was dort Rot-Rot-Grün zusammen mit der CDU vereinbart hat, würde ich den Begriff Zusammenarbeit nicht verwenden.
Sie haben eben geschmunzelt. Sie haben dem Kompromiss zwischen Rot-Rot-Grün auf der einen und der CDU auf der anderen Seite am Freitagabend selbst eine „historische Dimension“ gegeben. Was spricht gegen den Begriff „Zusammenarbeit“?
Innerhalb des demokratischen Spektrums sind Die Linke und die Union politische Gegenpole.
Die Thüringer CDU hat am Montag vom CDU-Bundesvorstand laut MDR-Recherchen grünes Licht für eine punktuelle Zusammenarbeit mit Rot-Rot-Grün bekommen. Demnach soll eine solche Zusammenarbeit bei einzelnen Projekten erlaubt sein. Ein Schritt in die richtige Richtung?
Das ist ein historischer Fortschritt, der überfällig war.
Bodo Ramelow versucht, den Begriff „Zusammenarbeit“ für die Erfurter Vereinbarung zu vermeiden. In Anspielung auf den Hamburger CDU-Bundesparteitagsbeschluss aus dem Jahre 2018, der Koalitionen oder „ähnliche Formen“ der Zusammenarbeit sowohl mit der AfD als auch mit der Linkspartei ausschließt, sagt er, keine Partei müsse „wie auch immer geartete Parteibeschlüsse missachten“. Wenn es angeblich gar nicht um die Duldung oder Tolerierung einer von der Linkspartei geführten Minderheitsregierung geht, warum regen sich Paul Ziemiak, Jens Spahn und Friedrich Merz so auf?
Was Ziemiak, Spahn und Merz da gerade betreiben, sind aggressive Abwehrkämpfe von Politikern, deren Beschlüsse längst durch die Zeit überholt sind. Dazu kommt: In der CDU gibt es ein Machtvakuum. Es ist unklar, wer die Partei in der Post-Merkel-Zeit führen wird. Deshalb gibt es einen krassen innerparteilichen Wahlkampf. Im Konrad-Adenauer-Haus wird immer noch durch eine westdeutsche Brille auf den Osten geschaut.
Die agieren, als ob sie dort unter Bedingungen westdeutscher Mehrheiten der Bonner Republik leben, wo sich CDU oder SPD als Volksparteien jeweils einen kleinen Juniorpartner suchen. Das funktioniert im Osten so nicht. Wenn man demokratische Mehrheiten will, gibt es Situationen, wo man an der Linken nicht vorbeikommt.
Das heißt, Sie appellieren, dass auch die CDU den früheren Ministerpräsidenten Ramelow am 4. März mit im ersten Wahlgang ins Amt bringt?
Die CDU hat am 5. Februar in Kauf genommen, dass es einen Ministerpräsidenten von Gnaden der AfD gibt. Nach Kemmerichs Rücktritt hat sie eine Übergangslösung mit der ehemaligen CDU-Ministerpräsidentin Christine Lieberknecht ebenso abgelehnt wie rasche Neuwahlen. Nun steht sie mit in der Verantwortung, dafür zu sorgen, dass es im ersten Wahlgang eine klare Mehrheit aus dem demokratischen Spektrum für Bodo Ramelow gibt.
Muss der Unvereinbarkeitsbeschluss der CDU in puncto Linke gekippt werden?
Die Gleichsetzung von linken Demokraten mit völkischen Faschisten, die Hufeisentheorie, ist inhaltlich und normativ nicht zu halten. Deshalb muss die CDU die Ausgrenzung der Linken beenden. Das heißt nicht, dass wir zusammen in eine Regierung gehen sollen.
Christine Lieberknecht, beinahe Ministerpräsidentin für den Übergang, fühlte sich mit Blick auf die Vorgänge in den vergangenen Wochen in Thüringen an Weimar erinnert. Sehen Sie das auch so?
Es gibt Parallelen zwischen den 20er Jahren des vergangenen Jahrhunderts und diesem Jahrzehnt. Es ist auch heute offen: Kippt die Gesellschaft in Richtung einer Zusammenarbeit von Konservativen und Neoliberalen mit völkischer Rechter - oder werden eher demokratische Kräfte gestärkt? Die aktuelle Entwicklung in Thüringen stimmt mich eher optimistisch.
Die Lehre aus Weimar: Demokraten sollten zusammenstehen gegen Anti-Demokraten. Übertragen auf heute heißt das ...
… dass es keine Kumpanei mit der AfD geben darf, niemals und nirgendwo.
Wie sieht Ihre Partei die Erfurter Gespräche mit der CDU?
Wir sind begeistert über das kluge und kämpferische Agieren der Linken in Thüringen. Das staatsmännische Auftreten von Bodo und der widerständische Blumenstrauß-Wurf von Susanne Hennig-Wellsow gehören zusammen. In diesem Zusammenspiel sind wir stark.
Formieren sich nun, wo der Unvereinbarkeitsbeschluss diskutiert wird, auch die „Türöffner nach rechts“ in der CDU, jene also, die auch für eine Zusammenarbeit mit der AfD offen sind?
Leider tun sie das schon längst. Die Gefahr, dass es in der Union zu weiteren Lockerungsübungen nach rechts kommt, besteht. Es gibt ja die „Werte-Union“, die sich selbst als Brückenkopf in Richtung AfD versteht. Wir erleben in Kommunen und auch manchen ostdeutschen Landtagen geradezu eine Verbrüderung zwischen Teilen der Union und der AfD. In Sachsen-Anhalt haben 2018 auch CDU-Abgeordnete dem AfD-Antrag zur Einsetzung einer Enquete-Kommission „Linksextremismus“ zugestimmt - Vorsitzende wurde der damalige AfD-Politiker André Poggenburg. Kurzum: Die CDU muss sich entscheiden, ob sie Teil des demokratischen Spektrums ist oder ob sie auf Annäherung zur AfD setzt.
Dann hat die Hufeisen-Theorie auch Vorteile, oder? Bisher kann die CDU darauf verweisen, dass auch eine Zusammenarbeit mit der AfD tabu ist.
Wer linke Demokraten gleichsetzt in der Ausgrenzung mit der völkischen Rechten, verharmlost den Faschismus, für den die AfD steht.
Der damalige PDS-Chef Lothar Bisky hat 1999 prophezeit, dass es auf längere Sicht Bündnisse zwischen Linker und CDU geben werde. Vor der Landtagswahl 2019 in Brandenburg wurde in beiden Parteien dazu intensiv diskutiert. Wann ist es soweit?
Die Demokratie hat mehr von einer lebendigen Kontroverse zwischen Linker und Union, wohin die Reise gehen soll: Wir Linken wollen alle vor Armut schützen, die CDU verhindert dagegen jeden kleinen sozialen Fortschritt. Wir sind für Abrüstung, die Union ist vom Nato-Manöver Defender 2020 begeistert. Wir wollen das Öffentliche stärken, die CDU setzt auf Privatisierungen. Insofern ergibt es keinen Sinn, in einen Wahlkampf zu gehen mit der Ansage, danach bilden wir alle von Union bis Linke eine Regierung. Das wäre ein AfD-Aufbauprogramm. Deshalb kämpfen wir darum, dass es im Bund und in den Landtagen Mehrheiten jenseits der Union gibt.
2021 könnte es in Sachsen-Anhalt zu einer ähnlichen Konstellation kommen wie nach der Wahl Ende Oktober in Thüringen: AfD und Linke bekommen zusammen die Mehrheit der Mandate im Landtag. Bei der Landtagswahl 2016 war es schon fast soweit. Können Sie sich vorstellen, dass die Linke in einer solchen Konstellation einen CDU-Ministerpräsidenten toleriert?
Ich kann versichern, dass Die Linke niemals einen Ministerpräsident von Gnaden der AfD mitwählen wird. Wenn die CDU das auch so handhaben würde, könnte sich das Drama von Thüringen nicht wiederholen.