Brandenburg: Neue preußische Farbenlehre - Bündnis CDU - Linke?
CDU und Linke könnten nach der Landtagswahl eine Koalition eingehen. Die Mutterparteien sind entsetzt. Was ist los in Brandenburg? Fragen und Antworten zum Thema.
- Antje Sirleschtov
- Thorsten Metzner
- Stephan Haselberger
- Matthias Meisner
Es ist ein Tabubruch für die Union, die einst im Osten Wahlkampf mit einer Rote-Socken-Kampagne machte: Doch nun hat in Brandenburg der CDU-Parteivorsitzende Ingo Senftleben, zugleich Oppositionsführer im Landtag, eine Koalition der Christdemokraten mit den Linken nach der Brandenburg-Wahl im Herbst 2019 nicht ausgeschlossen. Ähnlich hatte sich zuvor bereits die neue Linke-Landesvorsitzende und Sozialministerin Diana Golze geäußert. Dabei galt das Flächenland, das seit 2013 von Ministerpräsident Dietmar Woidke (SPD) regiert wird, bisher als Bastion der Sozialdemokraten.
Warum wird ausgerechnet hier über ein CDU/Linke-Bündnis diskutiert?
Brandenburg ist anders geworden. Das Land galt als „Herzkammer“ der Sozialdemokratie im Osten: Seit 1990 hat die SPD hier alle Landtagswahlen gewonnen, stellte mit den populären Landesvätern Manfred Stolpe (1990 bis 2002), Matthias Platzeck (2002 bis 2013) und dem jetzigen Amtsinhaber Dietmar Woidke ununterbrochen den Ministerpräsidenten. Und heute? Die SPD ist eingebrochen, alles ins Rutschen geraten: Nach den letzten Umfragen und nach dem Ergebnis der Bundestagswahl im Land läuft es es 2019 auf einen Vierkampf von SPD, CDU, AfD und Linken hinaus, die zuletzt alle mit Werten zwischen 17 bis 23 Prozent nicht weit auseinander liegen: Bislang hatte sich die SPD, die seit 2009 mit den Linken regiert, den Juniorpartner immer aussuchen können. Nun würde es für klassische Zweier-Bündnisse nicht reichen, ja selbst für Rot-Rot-Grün nicht. Das zwingt die Parteien – intern oder wie jetzt öffentlich – zu neuen Überlegungen. Senftleben hat es so formuliert, er wolle die politische Farbenlehre erweitern.
Warum ist die SPD so schwach geworden?
Die mittlerweile 28 Jahre an der Macht haben offenkundig zu Verschleiß, zu Auszehrungen geführt, zu Ernüchterungen und Enttäuschungen in der Bevökerung. Bei der Bundestagswahl schnitt die SPD in Brandenburg (17,6) erstmals schlechter ab als die Partei bundesweit. Die Erosion läuft schon länger, ist aber mit dem Erstarken der AfD, der Flüchtlingskrise aber auch der Schwäche der Regierung selbst beschleunigt worden. Die Absage der vermurksten Kreisreform, das wichtigste Projekt Woidkes dieser Legislaturperiode, ist das eklatanteste Beispiel dafür. Auch sonst läuft das Regierungsgetriebe nicht rund, vor allem bei der SPD. Selbst das Fundament in den Kommunen ist brüchig geworden: Bei der Oberbürgermeisterwahl in Frankfurt/Oder, die der pragmatische wie charismatische Linke Renè Wilke gewann, holte die SPD jüngst nur 5 Prozent. Oder Cottbus, einst Wahlkreis von Manfred Stolpe, in Aufwallung um Flüchtlingskriminalität und rechte Übergriffe: Die AfD würde in Cottbus nach einer Infratest-Umfrage mit 29 Prozent stärkste Partei vor der Union. Die SPD, die 2014 zur Landtagswahl hier noch 31 Prozent holte, stürzte auf 15 Prozent ab. Für Brandenburg mit einer eher konservativ, unaufgeregten Bevölkerung, sind das dramatische Entwicklungen.
Was würde ein Regierungsverlust für die Bundes-SPD bedeuten?
Bei der Bundestagswahl fielen die Genossen in Sachsen, Sachsen-Anhalt, Thüringen und Mecklenburg-Vorpommern auf den vierten Platz zurück. Würde dieser Trend bei der Brandenburger Landtagswahl bestätigt, wären alle Hoffnungen auf Erholung zerstört. „Um im Osten weiter eine führende Rolle zu spielen, muss das Land Brandenburg in SPD Hand bleiben“, sagt Stefan Zierke, der im Bundestag den Wahlkreis Uckermark und Barnim vertritt. Er wisse, dass Ministerpräsident Woidke dafür kämpfen werde, sagt der Abgeordnete und fordert: „Dabei muss die Bundes-SPD und die Landespartei ihn mit aller Kraft unterstützen.“
Warum enttäuscht Woidke?
Die Autorität von Dietmar Woidke, der als profilierter Innenminister 2013 das Amt übernahm, reicht nicht an die seiner Vorgänger Manfred Stolpe und Matthias Platzeck heran und hat gelitten: Im September 2014 waren noch 70 Prozent der Brandenburger zufrieden mit seiner Arbeit, Ende 2017 nach der vermurksten und abgesagten Kreisgebietsreform noch 54 Prozent – so schlechte Werte hatten weder Stolpe noch Platzeck.
Warum bricht Senftleben das Tabu?
Er will Ministerpräsident werden. Er ist der Herausforderer. Und er hat durchaus Chancen. Er will die SPD, das ist das taktische Kalkül, verunsichern und zugleich für die CDU neue Spielräume erarbeiten, im Kern: Machtoptionen. Er reagiert auch darauf, dass die Linken in Brandenburg ohnehin quasi eine sozialdemokratische Partei sind. Geschickt knüpft er dabei an die Konsensmentalität in Brandenburg an. Er hat die schwierige Union in Brandenburg, einst der schwächste Landesverband konsolidiert, inhaltlich breiter aufgestellt. Er kann es sich leisten, den Stein ins Wasser zu werfen, ohne einen Aufstand zu provozieren.
Hält er sich auch eine Koalition mit der AfD offen?
Nein. Er will zwar im Falle eines Wahlsieges der Union Gespräche mit allen Parteien führen, auch mit der AfD, die hier vom strammen Rechtsaußen Andreas Kalbitz geführt wird. Doch unter Senftleben hat die Union in Brandenburg – im gegensatz zu Sachsen – die Flüchtlingspolitik der Kanzlerin immer unterstützt.
Was treibt die Linke zur CDU?
An der Basis rumort es, wenn über solche Bündnisse speukuliert wird. Das Führungspersonal war schon immer weiter. Es war der Brandenburger Fraktionschef und damalige Bundesvorsitzende Lothar Bisky, der schon 1999 im Tagesspiegel prophezeite, dass es auf längere Sicht auch CDU–Linke-Bündnisse geben werde: „Irgendwann ja. Denn es ist auf längere Sicht eine Neuorientierung der Parteienlandschaft in der Bundesrepublik zu erwarten. Es kann sein, dass sich die CDU verändert. Mit wem wir koalieren, wird auch davon abhängig sein, wohin die Sozialdemokratie abdriftet. Ich halte meinen Kopf offen: Wenn die CDU bereits gelegentlich die SPD mit sozialdemokratischer Politik überholt, kann die PDS sich nicht borniert auf die SPD fixieren“, sagte Bisky. Auch der heutige Fraktionschef Ralf Christoffers hat schon über Linke-CDU-Bündnisse geredet.
Ist so ein Bündnis überhaupt realistisch?
Natürlich sind die Gräben tief, berührt es die Seelen in der Union wie auch der Linken, schon zwischen SPD und Linken in Brandenburg blockieren Differenzen in Sicherheits- und Flüchtlingspolitik etwa die überfällige Aufstockung des Verfassungsschutzes. Trotzdem: Bei der Landtagswahl in Brandenburg scheint alles möglich, selbst ein Bündnis aus CDU, SPD und Linken, erst Recht, wenn es noch Grüne und FDP in den Landtag schaffen, was realistisch ist. Die Mark steuert auf bunte Verhältnisse zu.
Wie wird die Entwicklung in der Bundes-CDU aufgenommen?
Teils mit verständnislosem Kopfschütteln, vor allem aber mit offener Ablehnung quittierten am Mittwoch Unionspolitiker in Berlin und im Bundestag die geplante Öffnung der Brandenburger Landespartei für eine Koalition mit der Linkspartei. Abgesehen von punktueller politischer Arbeit auf Kommunalebene hat sich die CDU bisher jeder Zusammenarbeit mit den Linken entzogen. Bis hin zu dem erst wenige Wochen zurückliegenden Beschluss der Unionsfraktion im Bundestag, inhaltlich jede Verständigung mit der AfD genauso wie mit den Linken zu verweigern. Dass die Union derartige Zusammenarbeit ablehnt, hat historisch-inhaltliche, aber genauso taktische Gründe. Zum einen wirft man den Linken fehlende Auseinandersetzung mit der SED und der Staatssicherheit vor. Vor allem aber steht der Verweis darauf, dass Teile der Linken das politische System der Bundesrepublik grundsätzlich und eine Einbindung Deutschlands in das westliche Wertesysteme ablehnen. Einst führte die CDU auf Bundesebene bewusste „Rote-Socken“-Wahlkämpfe und auch heute fehlt in keiner Auseinandersetzung mit der SPD im Wahlkampf die offen formulierte Warnung, eine SPD, die auf Länderebene mit den Linken koaliert, werde dies früher oder später auch auf Bundesebene tun.
Würde nun mit Brandenburg erstmals ein schwarz-rotes Bündnis unter Beteiligung der Linken auf Landesebene entstehen, verlören all diese Argumente sofort ihre politische Kraft. Vor allem wegen dieser Gefahr für die gesamte Partei wird die neue Generalsekretärin Annegret Kramp-Karrenbauer am Mittwoch mit Brandenburgs CDU-Chef Senftleben telefoniert haben. Später ließ Kramp-Karrenbauer wissen: „Wir sehen die Linkspartei weiterhin kritisch, weil in ihr Gruppen wie die Kommunistische Plattform das politische System bekämpfen, für das wir stehen. An der klaren Abgrenzung nach rechts und nach links halten wir fest.“ Dies habe sie Senftleben „deutlich gemacht“. Ob ihn jedoch die Kritik des Konrad-Adenauer-Hauses an seinem Kurs zum Umdenken bewogen hat, darf bezweifelt werden. Ein Abgrenzungs-Versprechen von Senftleben konnte sie offenbar nicht erwirken.
Was sagt die Linke?
Eine Lockerungsübung – aber ohne Bedeutung über Brandenburg hinaus. So wird in der Linkspartei der Vorstoß von CDU-Landeschef Senftleben gesehen. „Das ist doch nur ein Versuch der CDU, Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen“, sagt Linken-Parteichefin Katja Kipping dem Tagesspiegel. „Die Linke steht für soziale Gerechtigkeit. Die CDU steht für Sozialchauvinismus. Das passt einfach nicht zusammen.“ Dass nach den Ost-Landtagswahlen im Herbst 2019 – außer in Brandenburg auch in Sachsen und Thüringen – womöglich völlig neu gedacht werden muss, sehen allerdings auch einige Linken-Politiker. Bei der Wahl 2019 in Sachsen gilt sogar als denkbar, dass AfD und Linke auf mehr Landtagssitze kommen als alle anderen Fraktionen zusammen. Die Linke könnte in diesem Fall die Frage gestellt bekommen, ob sie bereit ist, eine schwarz-rote Landesregierung zu tolerieren, damit nicht CDU und AfD regieren.
Sachsens Linke-Fraktionschef Rico Gebhardt sagt zu solchen Gedankenspielen: „Eine schwierige Regierungsbildung in Sachsen ist denkbar. Aber die Brandenburger Verhältnisse sind mit sächsischen Verhältnissen nicht zu vergleichen. Brandenburg war schon immer ein anderes Pflaster.“ Gebhardt spielt auf die Positionierung der Sachsen-CDU am innerparteilich rechten Rand an und erklärt, die CDU selbst mache es mit ihrem Verhalten undenkbar, dass es eine Zusammenarbeit mit ihr geben könnte. Auch eine Tolerierung an von der CDU angeführten Regierung sei – Stand heute - „vollkommen ausgeschlossen“.
Im Bundestag hatte die Unionsfraktion im Februar einstimmig einen formalen Beschluss gefasst, laut dem eine inhaltliche Zusammenarbeit sowohl mit der Linken als auch mit der AfD ausgeschlossen ist. SPD und Grüne hatten CDU und CSU zuvor aufgefordert, auf eine strikte Abgrenzung zur Linken zu verzichten. Die Linke warf damals der CDU/CSU-Fraktion eine „gefährliche Gleichsetzung von Rot und Braun“ vor, es gebe diesbezüglich bei der Union eine „lange antidemokratische Tradition“. Dass die Unionsfraktion sich im Bundestag so klar gegen eine Kooperation mit der Linken in Sachfragen entschied , darf als deutliches Indiz dafür gelten, dass zwischen CDU und Linkspartei grundsätzlich absehbar nichts läuft, vom möglichen Sonderfall Brandenburg einmal abgesehen.