Krieg in Syrien: Jeder kämpft auf eigene Rechnung
Russlands Militäroffensive lässt den Konflikt in Syrien eskalieren. Welche Interessen und Ziele verfolgen die verschiedenen Kriegsparteien?
Seit einer Woche fliegen russische Kampfflugzeuge Angriffe auf Gegner des syrischen Präsidenten Baschar al Assad und Stellungen des „Islamischen Staats“ (IS). Der Bürgerkrieg tritt damit in eine neue Phase. Wer was in Syrien will – ein Überblick.
Präsident Baschar al Assad
Als der junge Baschar im Jahr 2000 die Herrschaft übernahm, war er für viele Syrer ein Hoffnungsträger. Man traute dem studierten Augenarzt zu, das Land wirtschaftlich und politisch zu öffnen. Doch rasch zeigte sich, dass der Wunsch nach Freiheit kein Gehör fand. Vermutlich sah Assad in möglichen Reformen eine Bedrohung seiner Macht. Daran hat sich bis heute nichts geändert. Im Gegenteil. Als im Zuge des Arabischen Frühlings 2011 die Demonstrationen für mehr Demokratie begannen, ging das Regime mit großer Brutalität dagegen vor.
Aus dem Aufstand wurde ein blutiger Krieg, bei dem bisher 250.000 Menschen starben. Die weitaus meisten Syrer starben durch Bombardements, die Assad anordnete. Denn für den 50-Jährigen steht fest: Jeder, der gegen ihn kämpft, ist ein Terrorist. Und er will sich auf keinen Fall aus dem Amt vertreiben lassen – koste es, was es wolle. Die Kompromisslosigkeit gründet auch auf Angst. Denn würde Assad stürzen, hätte das wohl existenzbedrohende Folgen für seinen Clan und die Alawiten.
Dennoch hat der Diktator die Kontrolle über weite Teile des Landes verloren. Ohne die Unterstützung durch Russland und den Iran hätte er sich nicht an der Macht halten können. Nun haben Moskaus Intervention und die nach Europa drängenden Flüchtlinge Assads Lage auf einen Schlag verbessert. Selbst erklärte Gegner wie die Türkei oder Deutschland sehen im Despoten nun – zumindest vorübergehend – einen potenziellen Partner im Kampf gegen den gefürchteten „Islamischen Staat“.
Der „Islamische Staat“
Die Terrormiliz ist der größte Profiteur des Bürgerkriegs. Seit dem Beginn des Aufstands gegen Assad hat sie jedes entstehende Machtvakuum erfolgreich gefüllt. Gestützt auf brutale Unterdrückung, große militärische Schlagkraft – der IS verfügt über mehrere zehntausend Kämpfer – und religiösen Fanatismus beherrschen die Dschihadisten inzwischen einen Großteil des zerfallenden Landes. Ihren Erfolg verdanken die „Gotteskrieger“ nicht zuletzt dem Despoten in Damaskus. Assad ließ die Islamisten lange Zeit gewähren, griff ihre Stellungen nicht an und machte mit ihnen sogar Geschäfte.
Diese Kooperation hatte einen einfachen Grund: Der IS fügte auch der bewaffneten Opposition schweren Schaden zu – sehr zur Freude des syrischen Diktators. Doch inzwischen sind die bärtigen Extremisten zu einer ernsthaften Bedrohung geworden. Denn am Ziel, ein „Kalifat“ zu errichten, hält der „Islamische Staat“ nach wie vor fest. Dass die Luftschläge unter Führung der USA den Islamisten wenig anhaben, liegt vor allem an deren strategischem Geschick. Die „Heiligen Krieger“ passen sich den militärischen Gegebenheiten an. Zum Beispiel, indem sie sich besser tarnen.
Der Iran
Ein in Interessengebiete aufgeteiltes Syrien – darauf setzen die Mullahs in Teheran. Konkret würde das bedeuten, das schmale, bevölkerungsreiche Gebiet zwischen der Hafenstadt Latakia und Damaskus bliebe unter Assads Kontrolle, der große Rest sich selbst überlassen. Das ist der Erkenntnis geschuldet, dass an eine Rückeroberung des ganzen Landes schon lange nicht mehr zu denken ist. Doch auf den syrischen Machthaber und sein Regime will der Iran auf keinen Fall verzichten. Zu viel hat die Führung der Islamischen Republik für Assads Überleben investiert, zu viel steht bei dessen Sturz auf dem Spiel.
Fast von Anfang an war der Krieg in Syrien auch ein Kampf zwischen dem schiitischen Iran und dessen sunnitischem Erzfeind Saudi-Arabien um die Vorherrschaft in der Region. Deshalb unterstützt der Iran Assad mit Geld, Waffen und Militärausbildern. Zudem kämpft die libanesische Hisbollah als Teherans verlängerter Arm aufseiten der Regierungstruppen. Und jetzt greift Teheran offenbar auch direkt in den Krieg ein. Hunderte iranischer Soldaten sollen in Marsch gesetzt worden sein, um die russische Luftoffensive am Boden zu flankieren. Ihr vorrangiges Ziel: Stellungen der gemäßigten Rebellen.
Russland
Moskaus wichtigstes Ziel ist es, Assad im Amt zu halten und das fragile Machtgefüge im Nahen Osten neu auszutarieren. Syrien ist Russlands wichtigster Partner in der Region, das Land gewährt Moskau einen Zugang zum Mittelmeer. Doch es geht Putin nicht nur um den Schutz Assads. Der russische Präsident nutzt den Syrien-Konflikt, um zu zeigen, dass Moskau als Großmacht auf die Weltbühne zurückgekehrt ist. Zum Austausch von Geheimdienstinformationen bildete Russland eine Koalition mit Syrien, dem Iran und – zum besonderen Ärger der Amerikaner – mit dem Irak.
Das russische Außenministerium war es auch, das die Bildung einer internationalen Kontaktgruppe zur Lösung des Syrien-Konflikts angekündigt hatte. Die Botschaft: Nicht in Washington, sondern in Moskau sollen die Weichen für die Zukunft der Region gestellt werden. Moskaus Intervention hat noch einen anderen Grund. Seit Putin als KGB-Mann in Dresden das Ende der DDR mit ansah, fürchtet er kaum etwas so sehr wie Volksaufstände. Die Proteste auf dem Maidan in der Ukraine oder der Arabische Frühling sind für die Machtelite im Kreml warnende Beispiele. Putin erklärte daher vor den UN, die Demokratiebewegungen hätten die Länder im Nahen Osten ins Chaos gestürzt.
Die USA
Amerika sieht sich zweifach bedroht: Auf der einen Seite durch die sunnitischen Terrornetzwerke von Al Qaida über den „Islamischen Staat“ bis hin zu deren Terrorablegern im Jemen. Auf der anderen Seite steht die schiitische Militanz, ihre Geldgeber und Unterstützer – namentlich der Iran und die Hisbollah. In Syrien kreuzen sich beide Linien auf der Landkarte. Die USA haben deshalb ein vitales Interesse daran, in Syrien ein säkulares, von schiitischer Dominanz unabhängiges Regime unter Einbeziehung aller Volksgruppen zu errichten. Der sunnitische Terrorismus droht andernfalls die Gestalt eines Staates anzunehmen.
Neben dem Entsetzen über die Gräuel des Assad-Regimes und des IS spielen deshalb für die Regierung in Washington geostrategische Interessen in Syrien eine zentrale Rolle. Nach dem Zweiten Weltkrieg hatten die USA nach und nach die Aufgabe einer Stabilisierungsmacht für den Nahen Osten übernommen. Das sicherte den Vereinigten Staaten sowohl die Versorgung mit Öl als auch treue Alliierte in der Region. Doch der Arabische Frühling hat dieses System zum Einsturz gebracht. In der Auseinandersetzung mit Russland über die Rolle des syrischen Staatspräsidenten ringen Washington und der Kreml also nicht ausschließlich um einen Despoten. Es geht vor allem um Macht und Einfluss.
Die Türkei
Als direkte Nachbarin Syriens und Akteurin mit Regionalmachtsambitionen verfolgt die Türkei das strategische Ziel, einen politischen Wandel in Damaskus herbeizuführen, der aus Syrien einen berechenbaren und wenn möglich von sunnitischen Muslimen beherrschten Partner macht. Kurz- und mittelfristig will Ankara versuchen, die Destabilisierung der 900 Kilometer langen Grenze zum Nachbarland zu beenden, die Expansion des Machtbereichs der syrischen Kurden zu verhindern, den IS zurückzudrängen und den Zuzug weiterer Flüchtlinge aus Syrien zu vermeiden. Die Anwesenheit der zwei Millionen Syrer im Land könnte sich in den kommenden Jahren zu einem sozialen Problem für die Türkei entwickeln, wenn die Neuankömmlinge auf Dauer bleiben und nicht in die Gesellschaft integriert werden.
In den ersten Jahren des Syrien-Konfliktes setzte Ankara auf eine politische und militärische Unterstützung von Rebellengruppen mit dem Ziel, Assad zu stürzen. Dieses Vorhaben ist gescheitert. Das Erstarken des IS und die Intervention Russlands haben eine Kursänderung bewirkt: Die Türkei sucht nun einen stärkeren Schulterschluss mit ihren westlichen Partnern. So dürfen die USA türkische Luftwaffenstützpunkte für Angriffe auf den IS benutzen. Mithilfe dieser Partnerschaft will Ankara unter anderem den Plan durchsetzen, im Norden Syriens eine Pufferzone einzurichten, um dort die Entstehung eines Kurdenstaates zu verhindern.