UN-Vollversammlung zu Syrien: Putin gibt den Takt an, nicht Obama
Erst sprachen sie in der Generaldebatte, später kamen die Präsidenten Russlands und der USA zum Gespräch zusammen - im Zentrum die Frage, wie der Krieg in Syrien beendet werden könnte.
Wladimir Putin genießt seinen Coup. Vor seinem von der Weltgemeinschaft mit Spannung verfolgten Auftritt vor den Vereinten Nationen ließ er sich von dem populären amerikanischen Moderator Charlie Rose interviewen. Im US-Fernsehen versicherte er, dass sich sein Land nicht an Militäroperationen „in Syrien oder anderen Staaten“ beteiligen würde. Zugleich schränkte er ein, dass dies „derzeit nicht geplant“ sei. Dabei baut Russland gerade seine militärische Präsenz in Syrien massiv aus.
Machttaktisch geschickt trat Putin vor der UN-Vollversammlung am Montag als derjenige an, der im Syrien-Konflikt lieber die diplomatische Initiative ergreift – und drohte damit den US-Präsidenten Barack Obama bloßzustellen, der auf den Vorstoß aus Moskau nur noch reagieren konnte.
Schon 2013 stand Obama vor den Vereinten Nationen und musste nach dem Einsatz von Giftgas in Syrien der Welt erklären, was rote Linien eines US-Präsidenten wert sind. Im vergangenen Jahr zwang die Terrormiliz „Islamischer Staat“ (IS) Obama zum Handeln: In der Nacht vor seiner Rede vor den UN gab er da den Befehl zum Bombereinsatz über syrischem Hoheitsgebiet.
Und heute? Nach einem Jahr gibt es mehr Länder, die willens sind, sich an Luftangriffen gegen den IS in Syrien und dem Irak zu beteiligen. Das Einflussgebiet des IS hat sich vergrößert, und immer mehr Freiwillige aus allen Himmelsrichtungen schließen sich den Terroristen an. Und nun wird Obama wieder von einem vorgeführt, der weniger Skrupel hat als der US-Präsident: von Putin, der als wichtigster Unterstützer Assads gilt.
Putin: Die USA haben den Nahen Osten verunsichert
Der russische Präsident nutzte seinen Auftritt vor den UN für eine Abrechnung mit den USA. Der Versuch, Demokratie in den Nahen Osten zu exportieren, habe zum Zerfall von Staaten und damit zum Aufstieg des IS geführt, so Putins Argumentation. „Die sogenannte moderate Opposition in Syrien, vom Westen bewaffnet und ausgebildet, ist zum IS übergelaufen.“ Im Syrien-Konflikt vertritt Russland die Auffasssung, dass nur mit Staatschef Baschar al Assad und dessen Truppen der IS effektiv bekämpft werden könne.
Obama: Assad ist ein Tyrann
In der Generaldebatte kritisierte Obama diese Einschätzung und nannte Assad einen „Tyrannen“, der Fassbomben auf Kinder werfen lasse. Der US-Präsident sagte, Realismus erfordere, dass für ein Ende der Kämpfe Kompromisse nötig seien, aber Realismus erfordere auch einen Übergang zu einer neuen Führung in Syrien – ohne Assad.
Der Rede Obamas war hektische Diplomatie vorausgegangen. Für sieben Uhr morgens hatte US-Außenminister John Kerry ein Außenministertreffen einberufen, um mit Führungsanspruch eine politische Linie mit den anderen Staaten zu suchen. Bei dem Treffen im New Yorker Palace Hotel war auch der deutsche Außenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) dabei. Nach der Sitzung sagte er: „Man darf nicht zu viel Optimismus in die Gespräche legen.“ Eine internationale Kontaktgruppe könne aber „eine Grundlage“ zur Erarbeitung einer Lösung sein.
Doch auch hier war Putin den USA schon zuvorgekommen: Russland verkündete am Montag vor allen anderen Beteiligten die Bildung einer internationalen Syrien-Kontaktgruppe. Die Vertreter der „einflussreichsten ausländischen Mächte“ sollten noch im Oktober zusammenkommen, sagte Vizeaußenminister Michail Bogdanow in Moskau – neben Russland und den USA sollen der Kontaktgruppe der Iran, Saudi-Arabien, Ägypten und die Türkei angehören. Diese Staaten mit gegensätzlichen Interessen im Syrien-Konflikt an einen Tisch zu bekommen, galt als besonders schwierig.
Vor seiner Rede und dem Treffen mit Obama gibt sich Putin offensiv
Vor den UN forderte Putin „eine breite Koalition gegen den Terror, ähnlich der Anti-Hitler-Koalition“. Und noch bevor Putin seine Rede überhaupt begonnen hatte, bemühte sich die russische Führung bereits um eine eigene Koalition im Nahen Osten: Moskau verständigte sich mit Syrien, dem Iran und dem Irak auf eine Zusammenarbeit. In einem gemeinsamen Lagezentrum in Bagdad sollen die Militärgeheimdienste der vier Länder ihre Erkenntnisse austauschen. Ausgerechnet in Bagdad – auch dies kann als gezielter Affront gegen die US-Politik gewertet werden.
Putins Position, dass es nur mit Assad eine Lösung für Syrien geben kann, erhält auf internationaler Ebene wachsende Unterstützung. Zuletzt hatte Bundeskanzlerin Angela Merkel gesagt, man müsse mit vielen Akteuren reden, „auch mit Assad“.
Parallel zu der diplomatischen Offensive hatte Russland die konkrete militärische Unterstützung für Assads Regime deutlich verstärkt und damit Fakten geschaffen. So bauten russische Truppen einen Luftwaffenstützpunkt in der Stadt Latakia aus, russische Kampfflugzeuge waren Medienberichten zufolge bereits im Einsatz, gesteuert von syrischen Piloten.
Am späten Nachmittag (nach europäischer Zeit kurz vor Mitternacht) kamen Obama und Putin am Rande der UN-Vollversammlung zum Gespräch zusammen. Und auch wenn sich Kerry mit seinem russischen Gegenüber Sergej Lawrow noch direkt vor den Reden zusammengesetzt hatte: Auf die Sprachregelung zur Syrien-Krise warten selbst die Außenminister gespannt. Für die Öffentlichkeit gab es vorerst jedoch nur ein kurzes Händeschütteln der beiden Präsidenten.