zum Hauptinhalt
HBundeskanzlerin und CDU-Chefin Angela Merkel (M) mit den CDU-Ministern und Staatssekretären im Kabinett einer möglichen neuen großen Koalition.
© dpa/Laurence Chaperon

Kritik am neuen CDU-Kabinett: Ist Bodo Ramelow ostdeutscher als Angela Merkel?

Im neuen CDU-Kabinett gibt es - abgesehen von Angela Merkel - keinen Ostdeutschen. Das stößt auf Kritik. Doch Herkunft allein ist keine Qualität. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Malte Lehming

Ostdeutsche Politiker bemängeln, dass es keine ostdeutschen CDU-Politiker im neuen Kabinett geben wird. Der Osten bliebe ohne Posten, meinen sie. Das befördere Entfremdungsprozesse. Auch symbolische Repräsentanz sei wichtig.

Das klingt plausibel. Doch alsbald stellen sich Fragen. Wer gilt als ostdeutscher Politiker? Joachim Gauck, fünf Jahre lang Bundespräsident, gehört zweifellos ebenso dazu wie Angela Merkel, zwar in Hamburg geboren, aber in der DDR aufgewachsen. Doch nirgendwo wurden Gauck und Merkel bei öffentlichen Auftritten im vergangenen Jahr lauter ausgepfiffen als im Osten. Von einem Teil der Bevölkerung dort werden sie gehasst. Fehlt ihnen das typisch Ostdeutsche, oder ist es gerade die Nähe, die so innig abstößt?

Bodo Ramelow ist Ministerpräsident in Thüringen. Er kommt aus dem Westen, ist gläubiger Christ. Als ostdeutscher Landesvater macht er eine gute Figur. Thomas de Maizière ging nach der Wende in die neuen Länder, erst nach Mecklenburg-Vorpommern, dann wechselte er nach Sachsen, wurde Staatsminister der Finanzen, der Justiz, des Innern. Dem neuen Kabinett gehört er nicht mehr an, wäre er andernfalls als ostdeutscher Politiker durchgegangen?

Ostdeutsche Bundespolitiker gab es viele seit der Wiedervereinigung: Günther Krause, Verkehrsminister, Claudia Nolte, Familienministerin, Christine Bergmann, Familienministerin, Manfred Stolpe, Verkehrsminister, Wolfgang Tiefensee, Verkehrsminister, Johanna Wanka, Bildungsministerin, Manuela Schwesig, Familienministerin. Von 1998 bis 2005 war Wolfgang Thierse Präsident des Deutschen Bundestages.

Die Zeit heilt nicht alle Wunden, aber einige vernarben

Haben sie die politischen Entfremdungsprozesse im Osten entscheidend beeinflussen können? Vieles spricht dagegen. Phänomene wie die zunehmende Wahlabstinenz, der Aufstieg von AfD und Pegida scheinen von der Antwort auf die Frage, ob genügend Bundespolitiker aus dem Osten stammen, unabhängig zu sein. Auch das Amt eines „Beauftragten der Bundesregierung für die neuen Bundesländer“ hat wenig bewirkt, um die gesellschaftliche Spaltung zu überwinden oder das Entstehen radikaler politischer Einstellungen zu unterbinden.

Unlängst wurde der Tag gefeiert, an dem die Nach-Wende-Zeit länger dauerte als die Zeit der Mauer – 28 Jahre und ein paar Zerquetschte. Nun heilt die Zeit zwar nicht alle Wunden, aber einige vernarben. Für manche Probleme braucht es akut eine politische Repräsentanz, für andere lässt die Dringlichkeit sukzessive nach.

Bei Gründung der Bundesrepublik gab es einen Bundesminister für Angelegenheiten des Marshallplanes sowie einen Vertriebenenminister. Die Zuständigkeit des Vertriebenenministers wurde 1953 ergänzt durch Flüchtlinge und Kriegsgeschädigte. Dessen Aufgaben waren groß: Allein in Westdeutschland suchten damals rund zehn Millionen Menschen Zuflucht. Viele mussten in Lagern hausen, andere wurden zwangsweise auf Bauernhöfen oder in Privatunterkünften untergebracht. Einheimische und Neuankömmlinge mochten einander oft nicht.

Die Regierung um Bundeskanzler Willy Brandt blieb hart

Erst 1969 wurde das Bundesvertriebenenministerium aufgelöst, gegen heftigen Widerstand der Vertriebenenverbände. Sie sprachen von Ignoranz, geißelten die Auflösung als „Politikum ersten Grades“, die Probleme der Integration seien mitnichten gelöst. Doch die Regierung um Bundeskanzler Willy Brandt blieb hart. Gravierender als das Wohlstandsgefälle zwischen Vertriebenen und Einheimischen sei das zwischen Entwicklungsländern und Industriestaaten, hieß es. Gestärkt werden müsse daher das Entwicklungshilfeministerium.

Die DDR hat sich vor mehr als 28 Jahren mit dem Beitritt zur Bundesrepublik selbst abgeschafft. Im jüngsten Jahresbericht zum Stand der deutschen Einheit steht, der Neuanfang im Osten sei „mit Bravour“ gemeistert worden. Die subjektive Lebenszufriedenheit in Ost- wie in Westdeutschland habe den höchsten Wert seit der Wiedervereinigung erreicht.

Auch im Osten sinkt die Arbeitslosigkeit, sie lag 2017 dort bei 8,5 Prozent, die Wirtschaft wächst. Allerdings gibt es nach wie vor regionale Strukturschwächen sowie Unterschiede bei den Einkommen privater Haushalte. Ein besonderes Problem sei der Rückgang und die Alterung der Bevölkerung. In den Bereichen Bildung, Kinderbetreuung, schuldenfreie öffentliche Haushalte und Infrastruktur liege der Osten vor dem Westen.

Nichts spricht gegen einen ostdeutschen Bundesminister auch im nächsten Kabinett. Kann er oder sie die innere Einheit befördern? Das ist unwahrscheinlich.

Zur Startseite