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Wird der Osten bei der Kabinettsbildung vergessen?
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Große Koalition: Das Kabinett entfremdet Ostdeutschland von der Politik

Der Osten ohne Posten: Man fragt sich, ob viele der Wahlanalysen eigentlich schon wieder vergessen sind. Ein Gastbeitrag.

Osten ohne Posten, so lässt sich verkürzt die Diskussion um das designierte Kabinett einer möglichen neuen großen Koalition zusammenfassen. Manche mögen es antiquiert finden, nach der Herkunft der angehenden Minister und Ministerinnen zu fragen. Was qualifiziert einen denn als ostdeutschen Minister? Geht man nach dem Geburtsort, wäre nicht mal Angela Merkel eine Ostdeutsche. Doch es geht darum, der Entfremdung von und durch Politik nicht noch weiter Vorschub zu leisten.

Politik ist natürlich eine Frage des Proporzes. Jeder Landesverband will personell beteiligt werden, um sicherzugehen, dass regionale Thematiken nicht vergessen werden. Davon wiederum gibt es in den ostdeutschen Bundesländern einige: demografische Entwicklung, Wirtschaftsschwäche, AfD-Wahlerfolge. Jedes Thema für sich mag nicht allein ostdeutsch sein, aber aus ihrer regionalen Verdichtung ergibt sich eine spezifische wirtschaftliche, gesellschaftliche und kulturelle Gemengelage.

Außerdem schauen Ostdeutsche anders auf die Zukunft, weil sie eine andere Erfahrung mit politischen Brüchen und wirtschaftlichen Krisen gemacht haben. Die daraus entstehenden Erwartungen und Befindlichkeiten müssen auf höchster Ebene wahr- und ernst genommen werden.

Ebenso wichtig ist die symbolische Repräsentanz. Die notorische Anfeindung „derer da oben“ wird einfacher und härter, wenn es keinen in diesen Reihen mehr gibt, der persönlich oder inhaltlich mit den eigenen Themen verknüpft werden kann. Wer steht dafür im Moment zu Verfügung? Angela Merkel ist zwar in der DDR groß geworden, doch gilt sie nicht als Anwältin ostdeutscher Befindlichkeiten. Vielmehr ist sie zur Hassfigur im Osten geworden, weil sie sich gerade nicht von Entwertungs- und Überfremdungsängsten hat leiten lassen. Thomas de Maizière hat immerhin lange Jahre im Osten und für den Osten gearbeitet, doch wird er dem Kabinett nicht mehr angehören. Bleibt Horst Seehofer, dessen regionale Verbundenheit im Süden liegt. Er könnte aber mit dem Heimatministerium Themen setzen, die vielleicht sogar dem rechten Rand in Ostdeutschland schmecken.

Mit der Vorstellung des Personaltableaus ist der Schaden schon angerichtet

An dieser Stelle wird nun gerne eingewandt, dass in einer differenzierten Gesellschaft nicht alle Gruppen gleichermaßen auf allen Ebenen vertreten sein können. Würde man dies versuchen, wäre persönliche Eignung weniger wichtig als Herkunft, Geschlecht oder sexuelle Orientierung. Der Umkehrschluss ist aber ebenso falsch: Sind denn die westdeutschen heterosexuellen Männer die einzigen Leistungsträger in diesem Land? Denn es sind gerade sie, die die Mehrheit im Kabinett stellen werden. Und aus ihr rekrutieren sich auch die Mehrzahl aller Entscheidungsträger in der Gesellschaft, obwohl sie in diesem Land eine Minderheit sind. Sie profitieren mehr als andere von Netzwerken, in denen sie unter ihresgleichen sind.

Mit der Vorstellung des Personaltableaus ist der Schaden schon angerichtet. Denn wie ist die Vergabe gelaufen? Entweder hat niemand der Beteiligten daran gedacht, dass Angela Merkel als Repräsentantin Ostdeutschlands nicht funktioniert. Oder die ostdeutschen Stimmen in dieser Runde waren nicht stark genug, um sich durchzusetzen. Beides lässt sich nur so interpretieren, dass der Osten als nicht sonderlich wichtig angesehen wird.

Da fragt man sich, ob viele der Wahlanalysen eigentlich schon wieder vergessen sind? In Ost und West wählten vor allem diejenigen besonders häufig rechts, die der vernetzten und globalisierten Welt skeptisch gegenüberstehen. Und von diesen gibt es in den ostdeutschen Bundesländern besonders viele. Darauf kann man natürlich mit Seehofers Heimatministerium reagieren in der Hoffnung, dass die Wähler sich wieder mehr in der Politik beheimatet fühlen.

Es braucht aber auch Personen, die aktiv und öffentlich das Gespräch mit Ostdeutschen suchen. Diese sind auf vielen Ebenen nötig, um den emotionalen Überdruck abzubauen und Anbindung an das Politische herzustellen. Aktive Parteimitgliedschaft wäre besser, aber wenn es diese flächendeckend im Osten nicht gibt, dann muss eine Verbindung auf anderem Weg hergestellt werden. Es geht dabei nicht darum, für jede Angst Verständnis aufzubringen. Vielmehr wollen die Ostdeutschen ernst genommen werden, auch indem man ihnen direkt sagt, dass sie alles wollen, aber nicht alles bekommen können.

Wenn es nun keinen Minister mit ostdeutschem Hintergrund geben wird, dann sind auch andere Modelle denkbar. Eine Beauftragte für Ostdeutschland als Staatsministerin mit Sitz im Kanzleramt wäre eine Möglichkeit. Auch könnte aus der Riege der ostdeutschen Ministerpräsidenten einer oder eine ständig am Kabinettstisch sitzen. Verzichtet man hingegen ganz, den Osten bewusst im Kabinett zu repräsentieren, wird die Distanz zu „denen da oben“ noch größer werden.

- Der Autor ist Politikwissenschaftler und Mitbegründer des Bündnisses Dritte Generation Ostdeutschland.

Johannes Staemmler

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