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Pegida-Aufmarsch im Rahmen des Europa-Aktionstags am vergangenen Sonntag in Dresden.
© Hannibal Hanschke/Reuters

Rassismus bei AfD, Pegida & Co.: In Sachsen spricht man auch mit Hetzern

In kaum einem anderen Bundesland gibt es so viele Angriffe gegen Flüchtlinge und Anschläge auf Heime. Dresden ist die Heimstatt von Pegida. Was treibt die Menschen um? Eine Spurensuche.

Die Rassisten haben wieder zugeschlagen. Allein am vorvergangenen Wochenende wurden in Sachsen vier Asylheime angegriffen. Steine flogen auf Flüchtlingsunterkünfte in Chemnitz und Grimma. In den Leipziger Stadtteilen Meusdorf und Holzhausen wurde versucht, geplante Flüchtlingsunterkünfte anzustecken. Der Leipziger Polizeipräsident Bernd Merbitz reagierte mit einem Alarmruf: Es herrsche im gesamten Land „eine Pogromstimmung, die eine kreuzgefährliche Intensität“ bekomme.

Warum Sachsen? Die Entwicklung ist bedrückend: In diesem Bundesland gibt es besonders viele Angriffe gegen Flüchtlinge und Anschläge gegen deren Unterkünfte. In Dresden können die „Patriotischen Europäer gegen die Islamisierung des Abendlandes“ Woche für Woche montags zu ihren Aufmärschen Tausende, manchmal Zehntausende versammeln, die sächsische Landeshauptstadt ist zur Hauptstadt der Pegida-Bewegung geworden. Wieso ist es im Freistaat gesellschaftsfähig, wenn „besorgte Bürger“ „Lügenpresse“ grölen und mit der Parole „Merkel muss weg“ Stimmung gegen die „Wir schaffen das“-Ansage der deutschen Bundeskanzlerin machen?

Hans Vorländer und andere Dresdner Politikwissenschaftler nennen in ihrem neuen Buch über die „Empörungsbewegung“ Pegida mögliche Gründe. Der besondere Erfolg von Pegida im Freistaat könne zu tun haben mit dem „Selbst- und Traditionsbewusstsein“ der Sachsen. Der starke „landsmannschaftliche Zusammenhalt“ sei auch unter dem DDR-Regime gepflegt worden. Nach 1990 habe eine ausnahmslos CDU-geführte Politik dann weiter auf „sächsische Selbstbehauptung“ gesetzt – es war eines der Erfolgsrezepte des ersten Ministerpräsidenten Kurt Biedenkopf. Vorländer und seine Kollegen beschreiben, kollektiv und auch öffentlich würden feindliche Einstellungen gegenüber „Fremden“ artikuliert. Sie schlussfolgern, es gebe in Sachsen einen „besonders unverhohlen gepflegten ethnokulturellen Zentrismus“. Oder, anders ausgedrückt, „eine Art sächsischen Chauvinismus“.

Sachsens Ministerpräsident Stanislaw Tillich (CDU) im Januar bei der Dialogveranstaltung "Miteinander in Sachsen". Die Gesprächsreihe wurde als Reaktion auf Pegida ins Leben gerufen.
Sachsens Ministerpräsident Stanislaw Tillich (CDU) im Januar bei der Dialogveranstaltung "Miteinander in Sachsen". Die Gesprächsreihe wurde als Reaktion auf Pegida ins Leben gerufen.
© Arno Burgi/dpa

Es gibt nicht nur im Freistaat fremdenfeindliche Stimmungen, aber dort sind sie besonders auffällig. Die quasi als Staatspartei seit 25 Jahren regierende CDU will das nicht sehen und spielt die Gefahren herunter. Schon während seiner Amtszeit behauptete Biedenkopf, die Bevölkerung sei gegen Rechtsextremisten immun. Heute hat er Verständnis für die Pegida-Demonstranten: Es gebe „genug Gründe in Ostdeutschland, nicht nur in Sachsen, sondern in Ostdeutschland, warum die Bevölkerung über diesen starken Flüchtlingszustrom beunruhigt ist“, sagt er. Die Islamfeinde sieht er in einer Traditionslinie mit der DDR-Bürgerbewegung: „Die Sachsen haben eine Innovation gehabt, eine politische Innovation, nämlich eine politische Gruppierung, die keine Partei ist, die sich aber in Anlehnung an frühere Protesterscheinungen in der Zeit vor der Wiedervereinigung an diese Erscheinungen anlehnen und aufmerksam machen wollen.“ Es ist ein außergewöhnlich großes Lob für eine fremdenfeindliche Bewegung.

Mag sein, dass die sächsischen Politiker Pegida "mitnehmen wollen". Mir scheint aber eher, das Gegenteil ist der Fall: Pegida nimmt die Politik mit und wird dabei salonfähig.

schreibt NutzerIn klammer

Heinrich-Böll-Stiftung: CDU in Sachsen auf Schlingerkurs

In einem Dossier der Grünen-nahen Heinrich-Böll-Stiftung heißt es, die CDU in Sachsen sei „auf Schlingerkurs“, wenn es um die Flüchtlingspolitik geht, „gespalten in Abschreckungspopulisten und Restchristen“. Auch der heutige Ministerpräsident und CDU-Landesvorsitzende Stanislaw Tillich wechselt die Tonlage mal in diese, mal in jene Richtung. Vor einem Jahr widersetzte er sich der Kanzlerin mit der Aussage „Der Islam gehört nicht zu Sachsen“. Die Randale gegen eine Flüchtlingsunterkunft in einem Baumarkt in Heidenau führte Ende August zu einem Umdenken: Dort hatte „sein Volk“ auch ihn niedergebrüllt. Tillich nahm wenige Tage später im Landtag das Wort Rassismus in den Mund und sagte, eine „enthemmte Minderheit“ würde das Land besudeln. Inzwischen schafft es Tillich, in einem Interview, einerseits die Gewaltaufrufe bei Pegida zu kritisieren und andererseits vor „Parallelgesellschaften“ zu warnen.

Und die Bevölkerungsmehrheit in Sachsen? Sie schweigt, nimmt damit auch hin, dass sich Pegida immer besser zu vernetzen versucht – mit Anti-Asyl-Initiativen, „neuen Rechten“, aber auch ausländischen Nationalisten, Hooligans und Verschwörungstheoretikern. Die AfD, deren Bundesvorsitzende Frauke Petry seit 2014 im Dresdner Landtag sitzt, lehnt bisher eine Kooperation mit Pegida ab. Die Stimmung gegen Flüchtlinge heizt die rechtsradikale Partei aber in ähnlicher Weise an, wie es zuvor die NPD getan hat, die bei der Wahl im Herbst vorvergangenen Jahres nach zwei Wahlperioden nur knapp aus dem Landtag geflogen war.

Fast 200.000 Menschen gefällt Pegida-Seite auf Facebook

Fast 200 000 Menschen haben die Pegida-Seite auf Facebook mit einem „Gefällt mir“ markiert – CDU und SPD kommen zusammen auf weniger Likes. Die Organisation behauptet, bei ihren Demonstrationen würden sich „friedliche Spaziergänger“ versammeln. Die Wirkung der Hetze aber entfaltet sich, oft auf erschütternde Weise. Da weigert sich ein Feuerwehrmann, ein brennendes Flüchtlingsheim zu löschen. Fackelmärsche gegen Asylsuchende werden organisiert, in die sich dann auch Kinder und alte Menschen einreihen, anderswo gibt es Sitzblockaden.

In Dresden brüstet sich René Jahn, Mitgründer von Pegida und früherer Stellvertreter Lutz Bachmanns, damit, Kontakte unter anderem zu einem Oberkirchenrat der evangelischen Landeskirche, einer früheren PDS-Bundestagsabgeordneten und einem CDU-Kreisvorstandsmitglied zu haben – jenem CDU-Mann übrigens, der die Empörung darüber genoss, dass er Merkel mit Hitler verglichen hatte. Pegida soll nicht ausgegrenzt, sondern mitgenommen werden. Auch der Dresdner Oberbürgermeister Dirk Hilbert (FDP) wirbt für den „gesellschaftlichen Diskurs“ mit einer „breiten Bürgerschaft“. Und Sachsen-Regierungschef Tillich sagt auf die Frage nach der Strategie gegen Pegida: „Wir setzen weiter auf unsere Bürgerdialoge, wir sprechen mit den Pegida-Anhängern.“ Viel mehr Anerkennung kann sich Pegida kaum wünschen.

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