Anti-Islam-Demonstrationen in Europa: Pegida-Aktionstag endet als Flop - und teils mit Gewalt
Pegida vernetzt sich - und hetzt gegen die Kirchen. Neonazis greifen in Prag Gegendemonstranten und Polizei an. Kundgebungen in Calais und Amsterdam werden aufgelöst.
In Dresden haben tausende Anhänger der fremdenfeindlichen Pegida-Kundgebung gegen Masseneinwanderung demonstriert. Im Rahmen eines Aktionstages "Festung Europa" sprachen Redner am Samstag von einer "Völkerwanderung, die immer weniger etwas mit Kriegen zu tun hat". Scharfe Attacken gab es gegen die Kirchen, die sich für Flüchtlinge einsetzen: Im Umgang "mit koranischen Gesinnungstätern gehe es "nicht um Nächstenliebe".
Pegida-Anhänger Ernst Cran aus Nürnberg warf den Kirchen auf der Dresdner Kundgebung weiter vor, Teil des "Rund-um-Ausverkaufs" Deutschlands zu seien. Wegen sinkender Kirchenmitglieder würden christliche Gotteshäuser in Moscheen umgewandelt. Moscheen dagegen seien "kulturelle Degenerationsräume", sagte der Pegida-Aktivist aus Bayern. Die Menge quittierte die Rede mit gegen die Kirche gerichteten "Volksverräter"-Rufen.
Dresden war der Hauptkundgebungsort des Aktionstages, der ursprünglich in 14 europäischen Städten stattfinden sollte. Geplante Liveschaltungen unter anderem aus Prag und Bratislava nach Dresden misslangen. Auch eine Übertragung aus Warschau, wo Pegida-Frontfrau Tatjana Festerling vor einigen hundert Anhängern sprach, scheiterte aus, wie es hieß, technischen Gründen.
In Sprechchören forderten die Teilnehmer der Dresdner Versammlung "Merkel muss weg", "Wir sind das Volk" und "Abschieben". Sie skandieren "Widerstand". Pegida-Anführer Lutz Bachmann fiel als Redner aus. "Er liegt flach", gab sein Mitstreiter Siegfried Däbritz bekannt. Däbritz forderte unter anderem die Wiederaufnahme der Bewachung und Kontrolle der EU-Außengrenzen sowie der innereuropäischen Grenzen.
Allein bei Pegida in Dresden waren 15.000 Teilnehmer erwartet worden. Die Forschungsgruppe "Durchgezählt" schätzte die tatsächliche Teilnehmerzahl bei Pegida in Dresden auf 6000 bis 8000. In den anderen Städten waren bei den Kundgebungen von Pegida und ihren Partnern jeweils nur ein paar Dutzend oder ein paar hundert Menschen auf der Straße.
Weniger Gegendemonstranten als erwartet
Allerdings hielt sich auch der Gegenprotest in recht kleinem Rahmen. Bei der zentralen Gegenkundgebung auf dem Theaterplatz waren laut "Durchgezählt" etwa 2500 bis 3500 Menschen. Es gab außerdem mehrere kleinere Gegendemos. "Wir lassen nicht zu, dass von Dresden Signale der Hetze ausgehen, wir stehen hier, weil wir wollen, dass Dresden Herz zeigt", sagte Sachsens stellvertretender Ministerpräsident Martin Dulig, der auch Landesvorsitzender der SPD ist, bei einer Kundgebung des Bündnisses "Herz statt Hetze" und des DGB. Als Vertreter der Landesregierung wolle er ein klares Zeichen gegen Fremdenfeindlichkeit setzen.
Dulig rief den Menschen auf dem Theaterplatz zu: "Wir sind die Mehrheit und das müssen wir immer wieder sagen und zeigen." Das große Friedensprogramm Europa dürfe nicht geopfert werden, "schon gar nicht für ein völkisches Europa", sagte Sachsens Wirtschaftsminister mit Blick auf die europaweiten Demonstrationen von Pegida-Anhängern. Politiker stünden in der Verantwortung, Ängste zu nehmen und Vertrauen aufzubauen. "Stellen wir uns mutig der Integration", forderte Dulig.
"Leider überlässt die Mehrheit der Dresdner immer noch Pegida ihre Stadt und wundert sich dann über den schlechten Ruf ihrer Stadt", schrieb der sächsische Linken-Chef Rico Gebhardt auf Twitter.
Die Gegenveranstaltungen zum Pegida-Aktionstag hatten mit einem Gottesdienst in der Synagoge begonnen. "Dresden fremdelt", sagte der Pfarrer der benachbarten Frauenkirche, Holger Treutmann, mit Blick auf die Pegida-Kundgebung. In seiner Predigt stellte der Pfarrer die Angst vor dem Fremden in den Mittelpunkt und erinnerte an den Exodus, den Auszug der Israeliten aus Ägypten, die einst auch Fremde in einem anderen Land gewesen seien.
Neben den Glaubensgemeinschaften hatten zahlreiche Bündnisse, Parteien und Gewerkschaften in Dresden Gegenveranstaltungen organisiert. Die Polizei hatte im Vorfeld mit rund 25.000 Teilnehmern auf beiden Seiten gerechnet, darunter 10.000 Demonstranten gegen Pegida. Rund 1000 Polizisten aus mehreren Bundesländern sollten befürchtete Zusammenstöße verhindern.
Pegida hatte unter dem Motto "Festung Europa" zu einer "Internationalen Demonstration gegen Masseneinwanderung und Islamisierung" aufgerufen - mit Aufmärschen vom estnischen Tartu bis zur irischen Hauptstadt Dublin. Die erste Demonstration des Tages fand im australischen Canberra statt, wo sich rund 400 Menschen zur Unterstützung von Pegida versammelten.
Die fremdenfeindliche Bewegung hatte im Vorfeld - mit unterschiedlichem Erfolg - versucht, sich europaweit zu vernetzen, mit Rechtspopulisten und auch Rechtsextremisten.
Kontakte zu Rechtsextremisten und Rechtspopulisten
In Polen ist das beispielsweise die auch im Unterhaus vertretene rechtsextremistische Bewegung Ruch Narrodonay. In Polen demonstriert wurde in Warschau, der Aufmarsch in Breslau dagegen wurde kurzfristig abgesagt. Nationalistische Fußballfans hatten den Pegida-Organisatoren vorgeworfen, die Stadt "insgeheim germanisieren" zu wollen.
Vor einigen Hundert Teilnehmern, darunter Skinheads und militante Fußballfans, erinnerte Pegida-Frontfrau Festerling an den Kampf von "Polen und Litauern, Sachsen und Österreichern" bei der Verteidigung Wiens gegen die Türken im 17. Jahrhundert. Damals habe das Heer des polnischen Königs das christliche Abendland gerettet. Nun gelte: "Lasst uns gemeinsam die Schlacht gegen die Islamisierung führen."
Brandanschlag gegen autonomes Kulturzentrum in Prag
In Tschechien gelang Pegida der Schulterschluss mit der rechtspopulistischen tschechischen Partei Usvit, die seit drei Jahren im Parlament sitzt. Die fremdenfeindliche Stimmung ist in diesem Land besonders ausgeprägt. Dennoch konnte Pegida dort nicht besonders groß mobilisieren. "Mehr Touristen und Journalisten als Demonstranten", berichtete ARD-Korrespondent Stefan Heinlein vom Aufmarsch in Prag. Die tschechische Nachrichtenagentur CTK nannte unter Berufung auf die Polizei eine Teilnehmerzahl von 500.
In der tschechischen Hauptstadt kam es zu Angriffen auf Pegida-Gegner - maskierte Neonazis griffen deren Demonstration an. Es flogen Flaschen und Feuerwerkskörper. Die Polizei setzte mehrere Hundertschaften ein, um die beiden Gruppen zu trennen.
Abseits der Demonstrationen wurde am Abend ein Brandanschlag auf das autonome Kulturzentrum "Klinika" in Prag verübt, wie CTK ebenfalls berichtete. Die Polizei fahnde nach etwa 20 Maskierten, die drei Molotow-Cocktails auf das Gebäude geworfen haben sollen, in dem Kleider für Flüchtlinge gesammelt wurden. Das Zentrum bietet auch Sprachkurse an. 19 Menschen seien aus dem Gebäude gerettet worden. Mehrere Personen erlitten Rauch- und Schnittverletzungen. Das Feuer war schnell gelöscht.
In Calais Zusammenstöße mit der Polizei
Im nordfranzösischen Calais kam es bei der Pegida-Demonstration zu Zusammenstößen mit der Polizei. Die Sicherheitskräfte lösten den verbotenen Aufzug der fremdenfeindlichen und antiislamischen Bewegung unter Einsatz von Tränengas auf, wie ein AFP-Journalist berichtete. Mehrere Menschen wurden festgenommen.
Etwa 150 Teilnehmer hatten sich trotz des Demonstrationsverbots vor dem Bahnhof von Calais im Zentrum der Hafenstadt versammelt. Dort riefen sie Slogans wie "Wir sind hier zu Hause!" oder "Journalisten - Kollaborateure". Demonstranten sangen die französische Nationalhymne und schwenkten französische Flaggen.
Frankreichs sozialistischer Innenminister Bernard Cazeneuve hatte das Verbot der Pegida-Demonstration in Calais am Mittwoch mit der Gefahr der "Störung der öffentlichen Ordnung" begründet. Das Verbot für alle Gruppen, die "Spannungen, Spaltung und Gewalt hervorrufen", werde so lange gelten wie nötig, sagte er. Am Rand von Calais leben etwa 3700 Flüchtlinge unter miserablen Bedingungen in einem Lager; sie wollen von dort aus nach Großbritannien. In Frankreich wurde nicht der Front National als Verbündeter gewählt, sondern der Republikanische Widerstand, eine Splittergruppe.
Pegida-Aufmarsch in Amsterdam aufgelöst
Die Pegida-Kundgebung in Amsterdam wurde nach Angaben von Pegida-Organisator Däbritz wegen einer Bedrohung abgesagt. Bei der Kundgebung in Dresden sagte Däbritz, vermutlich sei für diese Bombendrohung des linksextremistische Spektrum verantwortlich. "Die Sicherheit der Teilnehmer geht vor", erklärte er.
Laut einem Bericht der Zeitung "Volkskrant" ordnete Bürgermeister Eberhard van der Laan die Auflösung des Pegida-Aufmarsches in Amsterdam an. Vorausgegangen seien Auseinandersetzungen zwischen Gegnern und Anhängern von Pegida. Die Polizei nahm mehrere Menschen fest.
In der Schweiz misslang es ganz, eine Demonstration zu veranstalten - eine Kundgebung von Pegida Schweiz in Basel, die dort schon am 3. Februar stattfinden sollte, wurde von den Behörden verboten. Obwohl Pegida die Politik von Regierungschef Viktor Orban gutheißt, war in Ungarn keine Demonstration geplant - weder gibt es eine institutionalisierte Zusammenarbeit mit Orbans Fidesz-Partei, noch mit der rechtsextremistischen Jobbik-Partei.
Dresden nazifrei: Lutz Bachmann ist größenwahnsinnig
Ob die von Pegida angestrebte Vernetzung nachhaltig Erfolg hat, ist umstritten. Der Dresdner Politikwissenschaftler Hans Vorländer hat in seinem erst dieser Tage vorgelegten neuen Buch über die "Empörungsbewegung" festgestellt: "Der Versuch, Dresden und Sachsen zum Ausgangspunkt einer gesamteuropäischen Bewegung zu machen, muss vorerst als gescheitert angesehen werden."
Ähnlich sieht das Silvio Lang, Sprecher des Bündnisses Dresden nazifrei. Er sagte dem Tagesspiegel: "Lutz Bachmanns Größenwahn zeigt sich in der Vorstellung, das provinzielle Dresden könnte Zentrum einer neu-rechten Mobilmachung in Europa sein." Eine solche Bewegung habe lange vor Pegida ihren Anfang genommen und werde auch ohne Pegida vorangetrieben.
Der Grünen-Europaabgeordnete Sven Giegold erklärte: "Diese Leute wollen aus Europa eine Festung des Fremdenhasses machen." Dennoch: "Man darf diese Rechtsextremen nicht stärker machen als sie sind. Bisher konnten sich Rechtsradikale auf Dauer nicht erfolgreich über Landesgrenzen hinweg organisieren."
Tillich setzt auf Dialog mit den Pegida-Anhängern
Der sächsische Ministerpräsident Stanislaw Tillich (CDU) setzt bei seiner Strategie im Umgang mit Pegida weiterhin auf einen Dialog mit den Anhängern der Anti-Islam-Bewegung. "Unsere Herausforderung ist es, die Anhänger im Dialog zurückzuholen", sagte Tillich den Zeitungen der Funke-Mediengruppe. Allerdings sei "zunehmend die Staatsanwaltschaft gefragt", wenn die Redner bei den Kundgebungen offen zur Gewalt gegen Ausländer und Politiker aufrufen.
Tillich zeigte sich sich skeptisch gegenüber Forderungen, Pegida zu verbieten. Dafür gebe es in der Verfassung hohe Hürden. Er betonte, man müsse zwischen den Organisatoren und den Teilnehmern unterscheiden, die wegen "einer vielschichtigen Unzufriedenheit" bei den Demonstrationen mitliefen. Am Gegenprotest des Bündnisses "Herz statt Hetze" nahm der sächsische Regierungschef - anders als sein Stellvertreter Dulig von der SPD - nicht teil. (mit AFP, dpa, epd)