Benny Gantz will mit Banjamin Netanjahu Israel regieren: „Ich liebe diejenigen, die enttäuscht sind“
Kooperation statt Kulturwandel: Benny Gantz wird nun doch Juniorpartner von Israels langjährigem Premier Netanjahu - er begründet das mit der Coronakrise.
Held oder Schwächling, Verräter oder Patriot? Mit seiner überraschenden Entscheidung, sich einer Regierung unter dem amtierenden Premierminister Benjamin Netanjahu anzuschließen, spaltet Israels bisheriger Oppositionsführer Benny Gantz Verbündete und Anhänger. „Das ist ein perfekter politischer Sturm“, kommentiert der Politikwissenschaftler Udi Sommer von der Universität Tel Aviv, „ein Ergebnis, das sehr wenige erwartet haben.“
Schließlich hatte der frühere Armeechef Gantz seine kurze Politkarriere auf einem Versprechen begründet: Netanjahu abzulösen und einen politischen Kulturwandel einzuleiten. Seine Kehrtwende begründete Gantz am Donnerstag mit der Krise, die das neuartige Corona-Virus und die Maßnahmen zu dessen Bekämpfung ausgelöst haben. „In diesen Zeiten des Notstands sehen Hunderttausende Bürger zu uns auf, die in den letzten Tagen ihre Lebensgrundlage verloren haben“, sagte er in einer Rede.
Wie in vielen anderen Ländern herrscht in Israel der Ausnahmezustand, die Menschen dürfen ihr Haus nur für das Nötigste verlassen. Die Arbeitslosenrate, die vor der Krise bei historisch niedrigen 3,5 Prozent lag, ist innerhalb weniger Wochen auf 20 Prozent geklettert. Über 3000 nachweislich Corona-Infizierte und zehn Todesfälle gab es bis Freitag. Die Notlage erhöhte den Druck auf beide politische Lager, eine Einigung zu finden. Seit Ende 2018 hatte in Israel eine Interimsregierung mit beschränktem Handlungsspielraum regiert.
Nicht einmal die Hälfte der Parlamentarier seiner Partei folgen Gantz -die Mehrheit bleibt in der Opposition
Aus dieser politischen Krise hat Gantz das Land nun befreit. Doch dafür zahlt er einen hohen Preis. Nur 15 Abgeordnete seiner Blau-Weiß-Partei wollen ihm in die Koalition mit Netanjahu folgen, die übrigen 18 bleiben in der Opposition. Deren Wortführer Yair Lapid warf seinem einstigen Verbündeten „Betrug an den Wählern“ vor. „Benny Gantz hat ohne Kampf aufgegeben und ist in Netanjahus Regierung gekrochen“, sagte er in einer Pressekonferenz. Die Zeitung „Israel Hayom“ dagegen, bekannt für ihre Nähe zu Netanjahu, veröffentlichte einen ungewohnt freundlichen Artikel über Gantz, lobte sein „Rückgrat“ und feierte seine Entscheidung als „Gantz’ persönlichen Unabhängigkeitstag“.
Die Ministerposten der neuen Regierung sollen ersten Berichten zufolge gleichmäßig aufgeteilt werden zwischen Gantz’ und seinen Anhängern auf der einen und Netanjahus Parteienblock auf der anderen Seite. Festgeschrieben werden soll zudem, dass Gantz nach anderthalb Jahren das Amt des Premiers übernimmt – auch wenn kaum ein Kommentator daran glaubt. „Es ist nicht klar, wie Gantz Netanjahu zwingen kann, sein Versprechen zu halten“, sagt der Politikwissenschaftler Udi Sommer. Sollte die Koalition dann zerbrechen und es zu Neuwahlen kommen, hätte Gantz kaum eine Chance: Schließlich hat seine Entscheidung, sich Netanjahu anzuschließen, ihn nicht nur Teile der eigenen Partei gekostet, sondern auch seine Glaubwürdigkeit gegenüber den Wählern.
Denn mit dem erklärten Ziel, Netanjahu abzulösen, war Gantz Ende 2018 in die Politik gewechselt. Mehrfach hatte er ausgeschlossen, einem Premier zu dienen, der wegen ernster mutmaßlicher Vergehen unter Anklage steht. Netanjahu wird Betrug, Untreue und Bestechlichkeit vorgeworfen; sein Prozess wurde kürzlich wegen der Corona-Krise verschoben. Nach der Parlamentswahl Anfang März, der dritten innerhalb eines Jahres, hatte Gantz das Mandat zur Regierungsbildung erhalten und zunächst mit der Option einer Minderheitsregierung links der Mitte geflirtet, toleriert von den arabischen Parteien. Stattdessen wird er nun Juniorpartner jenes Premiers, dessen PR-Strategen ihn in vergangenen Wahlkämpfen als psychisch labil, verwirrt und unfähig dargestellt hatten.
Wenn nicht in der Sache, so blieb sich Gantz zumindest im Stil treu: Mit einer gewohnt konzilianten Botschaft wandte er sich am Freitag an seine Kritiker. „Ich umarme diejenigen, die wütend sind. Ich liebe diejenigen, die enttäuscht sind“, schrieb er auf Facebook. „Ich werde nicht lügen: Die Entscheidung ist mir sehr schwer gefallen. Aber ich bin damit absolut im Reinen.“
Mareike Enghusen