Die AfD und die Geschichtspolitik: Höcke findet Helfer
Björn Höcke in der AfD isoliert? Von wegen. Parteichef Jörg Meuthen agiert im Sinne des Thüringers. Wer das publik macht, wird angeprangert. Und Frauke Petry schreibt einen Brief gegen Höcke.
Freitag vergangener Woche, drei Tage nach der Brandrede von Thüringens AfD-Chef Björn Höcke in Dresden: Im Finanzausschuss des baden-württembergischen Landtags wird über eine Initiative der AfD beraten, die gut passt zu Höckes Forderung nach einer "erinnerungspolitischen Wende um 180 Grad" und seiner Auffassung von einer "dämlichen Bewältigungspolitik".
Die von AfD-Parteichef Jörg Meuthen geführte Fraktion beantragt, die Fördergelder von 120.000 Euro für die NS-Gedenkstätte Gurs in Frankreich im Haushalt zu streichen. Der neugeschaffene Posten sei in Zeiten der Haushaltskonsolidierung nicht zu erklären, begründete die AfD ihren Antrag, "die Landesregierung vernachlässigt ihre Kernaufgaben". Die anderen Fraktionen - Grüne, CDU, SPD und FDP - lehnen die AfD-Initiative ab. Anders als Meuthen und seine Kollegen empfinden sie es als richtig und wichtig, an das ehemalige Lager am Fuß der Pyrenäen zu erinnern, in das 1939 Juden aus dem badischen Landesteil deportiert worden waren. Aus allen Parteien gibt es später Kritik an der Initiative von Meuthen: Er quetsche damit "die AfD Baden-Württemberg eng an den ultra-rechten Höcke-Rand", sagte Grünen-Fraktionsvize Thekla Walker der in Ulm erscheinenden "Südwest Presse".
In der AfD ist man "hoch entrüstet"
Jetzt soll der Vorgang nach dem Willen der AfD im Stuttgarter Landtag ein parlamentarisches Nachspiel haben - aber nicht etwa, weil die Meuthen-Fraktion ihre Initiative so kurz vor dem "Tag des Gedenkens an die Opfer des Nationalsozialismus" an diesem Freitag bedauert. "Höchst entrüstet" zeigt sich die AfD Baden-Württemberg nun, weil ihre umstrittene Initiative publik wurde. Es sei ein "Skandal", dass Dokumente aus internen Sitzungen Journalisten zugespielt worden seien.
Meuthen sagte in Stuttgart: "Die Landtagsverwaltung, wie auch die im Finanzausschuss sitzenden Personen aller Fraktionen werden sich die unangenehme Frage gefallen lassen müssen, weshalb ein internes Landtagsdokument regelwidrig weitergegeben wurde. Wenn sich die Akteure im Parlament nicht an verbriefte Regeln halten, fügen sie vor allem dem Ansehen des Landtags großen Schaden zu." Die Initiative zu Gurs selbst verteidigt Meuthen: "Wenn es darum geht, den Haushalt zu konsolidieren, darf es bei einzelnen Positionen keine Tabus geben."
"Höcke ist kein Einzelfall", sagt Volker Beck
Die Fraktion teilte mit, sie erwäge rechtliche Schritte. Ob gegen den oder die Whistleblower oder auch gegen Journalisten, lässt sie in ihrer Erklärung offen. Unklar ist auch, auf welcher rechtlichen Grundlage sie sich beklagt. Zwar heißt es im Paragraphen 32 der Geschäftsordnung des Landtags, dass die Ausschussberatungen "in der Regel nichtöffentlich" seien. Aber. "Über die Ausschussverhandlungen sind Mitteilungen in der Presse möglich."
Meuthen pflegt seit längerer Zeit ein gutes und entspanntes Verhältnis zu Höcke, beide haben sich gegen Parteichefin Frauke Petry verbündet. Erst wenige Tage vor Silvester berichtete der Göttinger Politikwissenschaftler Andreas Busch auf Twitter, dass er die beiden AfD-Politiker beim vertraulichen Gespräch an einem Zweiertisch im Gasthof "Teufelskanzel" in Höckes Wohnort Bornhagen beobachtet habe. Busch entdeckte die beiden zufällig, er war auf einer Familienwanderung im Eichsfeld.
Nach der Rede von Höcke in Dresden hatte Meuthen dem SWR erklärt, er halte die Aufregung "für überzogen", man solle "da mal ein bisschen den Ball flach halten". Zur Forderung Höckes nach einer 180-Grad-Wende in der Erinnerungskultur sagte Meuthen: "Ich sage mal, wenn man es um 90 Grad drehen würde, wäre mir das lieber. Das heißt, wenn wir gleichmäßiger die verschiedenen Kapitel deutscher Geschichte beleuchten würde, als das geschieht, dann würde ich das für sinnvoll halten. Und in dem Sinne meint Höcke das."
Weit über Baden-Württemberg hinaus hatte der AfD-Antrag Entrüstung ausgelöst. Der Vorsitzende des Zentralrats der Juden in Deutschland, Josef Schuster, hatte die Initiative zu Anlass genommen, die Beobachtung von Teilen der AfD durch den Verfassungsschutz zu fordern. Auch in Stuttgart habe sich die Landtagsfraktion im vergangenen Jahr nicht durchringen können, den Wolfgang Gedeon aus der Fraktion auszuschließen, sagte Schuster. Der Zentralratsvorsitzende bewertet Gedeon wegen dessen Äußerungen in einem Buch als Holocaust-Leugner. Zusammen mit dem Antrag, die Gelder für die Gedenkstätte Gurs zu streichen, ergebe sich "hier wie bei einem Puzzle das Bild einer Partei, die sich immer mehr vom Rechtspopulismus auf dem Weg zum Rechtsextremismus befindet".
Meuthen gehörte zu jenen, die ein Parteiausschlussverfahren gegen Höcke nach dessen Dresdener Rede vorerst verhinderten. Nach dessen vorläufigen Scheitern hatte er sich "erleichtert" gezeigt. Der Grünen-Bundestagsabgeordnete Volker Beck sagte: "Höcke ist kein Einzelfall, er ist vielmehr der Führer einer AfD-internen Bewegung, die den Nationalsozialismus verharmlost und die Verbrechen der Deutschen vergessen machen will." Ähnlich äußerte sich Linken-Parteichef Bernd Riexinger.
Tatsächlich hatte die baden-württembergische AfD-Fraktion nicht nur einen Antrag im Sinne der von Höcke geforderten "erinnerungspolitischen Wende" gestellt. Sie forderte in - ebenfalls abgelehnten - Anträgen die Streichung von Posten bei der Landeszentrale für politische Bildung. Und verlangte, Zuschüsse für Fahrten zu "Gedenkstätten nationalsozialistischen Unrechts" umzuwidmen in eine Förderung für Fahrten zu "bedeutsamen Stätten der deutschen Geschichte". Das begründete sie so: "Eine einseitige Konzentration auf zwölf Jahre nationalsozialistischen Unrechts ist abzulehnen. Auch angesichts des Zuzugs von Migranten ist die Vermittlung eines positiven Bildes Deutschland und der deutschen Geschichte wichtig, um den Heranwachsenden eine positive Identifikation mit Deutschland zu ermöglichen."
Petry: Höcke bringt AfD auf den Irrweg
Derweil bezeichnet Frauke Petry die Wirkung von Höckes öffentlichen Auftritten auf den Zustand der AfD als verheerend. "Als Partei haben wir nach all diesen Auftritten dutzende Veranstaltungsorte, Unterstützer und Spender verloren", schreibt Petry in einem Brief gegen Höcke, aus dem die "Ostthüringer Zeitung" zitiert. "Auch der AfD wohlgesonnene Verbände ziehen sich zurück, und die Verankerung in der Gesellschaft wird dadurch immer schwieriger." Die Parteivorsitzende nennt neben der Dresdener Rede als Beispiele Höckes "problematische Rede über das angebliche genetisch bestimmte Fortpflanzungsverhalten der Afrikaner" im Dezember 2015 sowie seinen "Auftritt in der Jauch-Talkshow" im August 2015.
Petry wirft Höcke vor, die "Ausrichtung der AfD als parlamentarische Partei" zu behindern, um sie statt dessen als "Bewegungspartei" in seinem Sinne umzuformen. Höcke zelebriere "sein Geschichtsverständnis und verleiht ihm seine Sprache. Damit zwingt er die ganze Partei ohne Not, sich damit – eben auch öffentlich – zu beschäftigen, wann und wie er es möchte." Den damit durch Höcke der Partei aufgezeigten Weg bezeichnet Petry als "Irrweg, der die AfD von einer Partei zu einer ,Bewegung‘ umformen würde, die ihren Anspruch, demokratische Mehrheiten zu generieren, aufgäbe".
Im Landtag von Erfurt derweil verabredeten sich Abgeordnete der rot-rot-grünen Koalition und der oppositionellen CDU am Mittwoch zu einer Protest-Aktion gegen den thüringischen AfD-Fraktionschef, der in Dresden gesagt hatte: "Wir Deutschen, also unser Volk, sind das einzige Volk der Welt, das sich ein Denkmal der Schande in das Herz seiner Hauptstadt gepflanzt hat." Die Parlamentarier hielten an ihren Plätzen Plakate in die Höhe, die jeweils einen Teilausschnitt des Berliner Holocaust-Mahnmals zeigten. Für die Betrachter im Plenarsaal ergab sich so eine Gesamtansicht des Denkmals. Die AfD-Fraktion blieb zum Zeitpunkt der Aktion dem Plenarsaal fern.