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Gregor Gysi und Sahra Wagenknecht
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Bundestagswahlkampf der Linkspartei: Gysi und Wagenknecht: Getrennter Paarlauf

Sie sind die Zugpferde der Linken: Gregor Gysi, der Gaukler, und Sahra Wagenknecht, die Ernste. Aber gemeinsame Auftritte gibt es nicht. Schließlich könnten sie sich gegenseitig die Schau stehlen.

Der Leipziger Linken-Vorsitzende tanzte aus der ostdeutschen Reihe. Volker Külow wollte einfach nicht verstehen, dass der bundesweite Wahlkampfauftakt der Linkspartei in seiner Heimatstadt mit Gregor Gysi als Hauptredner, aber ohne Sahra Wagenknecht über die Bühne gehen sollte. Die ist doch, meint er, die eigentliche Heldin der Partei.

Jetzt steht der bärtige Parteifunktionär, gelernter Diplom-Lehrer für Marxismus-Leninismus und seit 2007 Chef des Stadtverbandes, in seinem roten T-Shirt ziemlich vergnügt zwischen den Bürgerhäusern auf dem Markt im Zentrum. Er hat Wagenknecht gefragt, ob sie auch auftreten mag – und sie hat zugesagt. „Diese kleine Freude gönn’ ich mir“, dachte sich Külow, obwohl er sich mit seiner Aktion, wie er zugibt, parteiintern „nicht nur Freunde gemacht“ habe.

Gysi und Wagenknecht sind die beiden wichtigsten Politiker der Linken. Und zugleich auch Rivalen. Sie, die Lebensgefährtin von Oskar Lafontaine, über dessen Rückzug Gysi nicht ganz unfroh ist. Er, mit dem Anspruch, der einzige echte Generalist zu sein. Gysi sieht die geläuterte Ex-Wortführerin der Kommunistischen Plattform dagegen lediglich in der Fachfrau-Rolle, Finanzmärkte, Euro-Krise. Und die historische Mission beansprucht er sowieso für sich – die Regierungsbeteiligung im Bund. Wenn es so weit kommen sollte, will Gysi zur Stelle sein.

"SPD und Grüne müssen sich gewaltig bewegen"

Im Juni auf dem Bundesparteitag in Dresden rief der Fraktionsvorsitzende in die Kongresshalle am Elbufer: „Bewegen müssen sich SPD und Grüne, und zwar gewaltig, und das muss unsere Offensive ausmachen.“ Gysi wollte der Partei wieder eine Aufgabe geben, eine „Option in die Zukunft“, und seitdem gab es kein Interview von ihm, in dem er nicht an diese Idee erinnert. Erst ein wenig hatte sich die Partei berappelt nach Dauerstreit, nach einer Serie von Wahlniederlagen im Westen. Und es ist nur ein paar Monate her, da fürchteten Funktionäre noch die Fünfprozenthürde – jetzt machen die Demoskopen ihnen Hoffnung, dass die Linke dem 11,9-Prozent-Rekord, der 2009 mit Lafontaine erreicht worden war, recht nahe kommen könnte.

„Aller guten Dinge drei“, so steht es nach Külows erfolgreicher Intervention auf den Plakaten zur Leipziger Kundgebung. Wobei die Dritte, die junge Dresdnerin Katja Kipping, nur die Moderatorin ist für Nummer eins und zwei. Der Marktplatz ist voller Menschen, vorn links vor der Bühne steht eine knallrote Marx-Statue aus Kunststoff. Kipping, seit knapp 15 Monaten Parteivorsitzende, kündigt an: die „großartige Rede“ einer „Buchautorin und Doktorin“. Dann steigt Wagenknecht auf die Bühne, altrosa Kleid, adrett wie stets. Die gebürtige Jenaerin und Neu-Saarländerin liest vom Blatt ab, die gleiche Rede wie tags zuvor in Trier und Pirmasens. Ihre Themen: die Großmachtpolitik in Syrien, der schwarz-rote „Kuschelkurs“, und, so wirft sie es Angela Merkel vor, immer würden nur die Banken und Millionäre gerettet.

Linksbündnis bei Sahra Wagenknecht nur Nebenthema

Ein mögliches Linksbündnis – bei ihr ist das nur ein Nebenthema. Da müsse die SPD schon die Agenda 2010 abwickeln wollen und sich nicht noch zu ihr bekennen, sagt Wagenknecht. Und dann mit Steinbrück, „dem Bankenfreund“? Geht ja wohl gar nicht. Die Leute auf dem Markt applaudieren, sie tritt ab, nun umringt von vielen, die noch mehr wollen von ihr: Autogramme, gemeinsame Fotos. Einer hat sich von seinem Nachbarn, einem Hobbykünstler, sein Idol in Öl malen lassen, sie signiert nun das Bild von ihr genauso wie auch das Buch „Gysi trifft Zeitgenossen“, das ein anderer Fan mitgebracht hat. „Wie bei einem Popstar“, juchzt Wagenknechts Pressesprecher.

Gregor Gysi
Gregor Gysi ist erst als zweiter dran, Wagenknecht schon auf dem Weg zum Bahnhof.
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Als Gysi endlich auch eintrifft, ist Wagenknecht schon auf dem Weg zum Bahnhof. Erst spät am Abend muss sie bei Anne Will sein, die beiden hätten sich durchaus sehen können. Doch die linke Welt ist ein wenig kompliziert – und noch ist nicht vergessen, dass der Führung im Januar um des Parteifriedens willen nichts anderes übrig blieb, als acht großteils kaum bekannte Spitzenkandidaten zu berufen, weil Gysi das Duo mit Wagenknecht nicht wollte, sie ihn aber auch nicht allein an der Spitze. Überhaupt nur fünf Termine vor dem 22. September gibt es, wo Gysi und Wagenknecht beide gebucht sind. Was noch lange nicht heißt, dass sie zusammen auf der Bühne stehen. Bisher sind sie sich im ganzen Wahlkampf nicht einmal begegnet. Gemessen am selbstzerstörerischen Potenzial, das die Partei unter Klaus Ernst und Gesine Lötzsch entfaltete, sind das Scharmützel. Doch den Beteiligten ist das dann schon wichtig: Wer ist bekannter, wer ist belastbarer, wer erreicht welche Milieus, wer führt künftig die Fraktion, wer also steigt auf, wer ab?

Auf dem Weg zum Zug läuft Sahra Wagenknecht an einem Gysi-Großplakat vorbei. Solche gibt es außer von ihm überhaupt nur noch von ihr. Von beiden zusammen, nach dem Vorbild des Duos Gysi-Lafontaine 2005 und 2009, wurden erst gar keine gemacht. Die Wahlkämpfer in Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen und Berlin haben aber auch die Solo-Plakate mit Wagenknecht erst nicht haben wollen. Was Wagenknecht die nun von den Parteiarbeitern verbreitete Statistik versaute, denn von Gysi gibt’s nun doppelt so viele Großplakate wie von ihr – leicht genervt ist sie von solchen Animositäten.

Bundesweiter Anspruch mit Lafontaine

Die PDS als Volkspartei mit Akzeptanz, das geht maßgeblich auf Gysis Konto. Den bundesweiten Anspruch der Linken aber hat er nur zusammen mit Lafontaine umsetzen können. Dass es nicht lange gut ging zwischen den beiden, dass er sich von dem Saarländer „maßlos gereizt“ fühlte, gab Gysi erst im Rückblick zu. Der pragmatische Berliner Bundestagabgeordnete Stefan Liebich zählt zu denen, die Gysi auch in der neuen Fraktion unbedingt dabei haben möchte. Er sagt: „Gregor will jetzt zeigen, dass es auch ohne Oskar geht. Auch wenn er das natürlich nie zugeben wird.“

Wobei – mit seinem gewaltigen Einsatz belegt Gysi indirekt, dass er sich weiter von seinem früheren Kompagnon emanzipieren will, der nun im Wahlkampf hauptsächlich noch seiner Freundin Wagenknecht in Nordrhein-Westfalen hilft, die dort die Spitzenkandidatin ist. Auch die Angelegenheit mit den Ermittlungen der Hamburger Staatsanwaltschaft rund um seine früheren Stasikontakte hat Gysi verdrängt, die Behörde will erst nach der Wahl zu Potte kommen. Für fast 200 Wahlkampftermine hat er zugesagt, und noch am Vorabend des 22. September will er sich bei Stefan Raabs „TV total“ stellen. Er ist dabei beim Kinderschminken in Bochum, tiefer Westen, und Volksredner beim Friedensfest am ehemaligen NVA-Standort Strausberg. Tonangebend und immer auch als Unterhaltungskünstler. Als Gysi an einem Montagabend in der Berliner Kalkscheune sein neues Buch vorstellt, gibt er damit an, um 6 Uhr 15 aufgestanden zu sein, später müsse er noch zum Fernsehen, nachts um eins wohl werde er erst im Bett sein. „Ziemlich anstrengend“, sagt er. Dann rechnet er dem Publikum vor, dass er zu 90 Prozent Politiker sei, zu sechs Prozent Anwalt und zu vier Prozent Publizist. Und Privatmann? Der Moderator fragt das nicht. Doch über heikle Fragen geht Gysi sowieso hinweg. An diesem Abend etwa über die, ob er nicht ein bisschen was habe „vom Narren am Tisch der Mächtigen“?

Ein Trommler, ein Fahnenträger, los geht's

Gysi redet in solchen Momenten einfach weiter, immer weiter. Wer will denn aufhören, gerade wenn er Rückenwind verspürt? Ruhelos wirkt er bei einem Kiez-Spaziergang im Schöneberger Norden. Die hier chancenlose Direktkandidatin Azize Tank, früher mal Migrantenbeauftragte in Charlottenburg-Wilmersdorf, hat eingeladen. „Er sieht so verträumt aus“, sagt einer aus dem Bezirksvorstand, als das Gysi-Plakat aus dem Lastenfahrrad geholt wird. Doch als der Spitzen-Linke dann eingetroffen ist, zeigt er sich so unermüdlich wie in jeder Linken-Hochburg auch. Ein Trommler, ein Fahnenträger, los geht’s.

Gysi hat den Schornsteinfegern in der Kneipe über die Regeln ihres Handwerks ebenso etwas zu sagen wie wenige Meter weiter den Anwohnern, die gegen Luxuswohnungen protestieren. Azize Tank lotst ihn zu Migranten-Initiativen, in einen türkischen Supermarkt, ein Reisebüro, einen Spätkauf, eine Kindertagesstätte. Zwischendurch verteilt er Noten für die Wahlplakate am Wegesrand. Anekdote folgt auf Anekdote, seinen Gedankensprüngen ist zuweilen kaum zu folgen. Ein Friseur steht vor seinem Salon, im Gespräch mit ihm kommt Gysi auf einen Film, in dem auch Udo Walz eine Rolle spielt. Dann erläutert er: „In der DDR haben Welten gelegen zwischen einer Verkäuferin in einem Fischladen und der in einem Intershop.“ Und lässt den Coiffeur verdutzt stehen. Der Linken-Vorsitzende Riexinger hat im Januar Gysi bei dessen Feier zum 65. Geburtstag gelobt, dieser sei jemand, mit dem man sich hervorragend unterhalten könne, ohne selbst viel sagen zu müssen.

Gregor Gysi und die Einsamkeit

Einmal hält Gysi auf dem Spaziergang inne. Er ist zu Gast beim Verein Harmonie, der sich um die Integration von Zuwanderern aus Russland einsetzt, und fragt die Leiterin nach den größten Schwierigkeiten. „Die Einsamkeit“, sagt die, erkennbar arbeitet es jetzt bei dem Politiker. Ist das auch seine aktuell größte Schwierigkeit? Muss er an die erst kurz zurückliegende Scheidung von seiner Frau Andrea denken? Daran, dass er im Sommer allein Urlaub gemacht hat, an das Unwohlsein abends beim Essen im Hotel auf den Azoren? Ins Gästebuch der „Harmonie“ schreibt Gysi dann: „Ohne Ihr Engagement wären viele Menschen einsam – ein schlimmer Zustand.“

„Politik. Macht. Einsam.“ war vor knapp einem Jahr ein Porträt über Gysi im „Stern“ betitelt. Sein Biograf Jens König zeichnete das Bild eines Mannes, der drei Herzinfarkte erlitten hat, dessen Ehe zerbrach und dessen Partei in Trümmern liegt. Königs Kronzeugen waren vertraute Genossen von Gysi, Dietmar Bartsch, André Brie. Der inzwischen verstorbene Lothar Bisky ließ sich so zitieren: „Gysi ist wie ein Gaukler. Er braucht die Bühne, auf der er seine Kunststücke vollführen kann. Das ist ihm zur zweiten Natur geworden.“

Wagenknecht fand diese Geschichte damals unfair. Vielleicht sei sie für Gysi lehrreich gewesen, meint dagegen Ulrich Maurer – nun wisse er besser, was er von seinen alten Bekannten zu halten habe. Der scheidende Fraktionsvize sitzt bei starkem Kaffee in seinem Abgeordnetenbüro, seine letzte Sitzungswoche. Maurer raucht eine seiner gewohnheitsmäßig in der Mitte durchtrennten Zigaretten und lobt Gysi, das brillante Wahlkampf-„Schlachtross“: „Wie man sieht, hat’s ihn eher motiviert. Besser als das letzte Mal, der gute Gregor.“ Und das Verhältnis von Gysi zu Wagenknecht? Keine Sorge, sagt Maurer: „Das Verhältnis der beiden ist wesentlich harmonischer als das zwischen Gabriel, Steinmeier und Steinbrück.“ Aus Erfolgsinteresse würden sowohl Gysi als auch Wagenknecht „sehr professionell handeln“, Eifersüchteleien dürfe man sich nicht leisten.

Bundesminister wollen beide nicht werden

Wagenknecht holt sich, bevor sie in den ICE nach Berlin steigt, noch einen geeisten Kaffee mit Vanillearoma. Gerade gehe es nur mit viel Koffein, sagt sie. Wahlkampf ist eigentlich nicht ihr Ding. Sie klagt über Stress. Sie komme gar nicht mehr dazu, ein Buch zu lesen. „So möchte ich nicht auf Dauer leben.“ Im bequemen Ledersessel des Fernzugs lobt sie, dass Bundestagsabgeordnete eine Netzkarte für die 1. Klasse haben, weil es sich dort abgeschotteter sitzt. Und sie lobt Gysi für Fähigkeiten, die sie nicht hat, „witzig sein, unterhalten, da gibt es wenige, die das so gut können“. Vormachen soll aber auch ihr keiner was. Sie ist jetzt 44, Gysi 21 Jahre älter. Aber noch viel länger will sie nicht die Frau in der zweiten Reihe sein.

Am Kabinettstisch würden sich Wagenknecht und Gysi nicht in die Quere kommen. Gysi will über angebliche Außenminister-Pläne nur aus Spaß geplaudert haben. Auch Wagenknecht verneint das Interesse am Regierungsamt: „Minister ist nicht mein Lebenstraum. Dann ist man nur noch in der politischen Maschinerie.“ Kurz vor dem Ausstieg am Südkreuz lächelt sie – was gar nicht oft vorkommt – und kommentiert Gysis Vorhaben, das Amt des Vorsitzenden der Bundestagsfraktion auch nach der Wahl allein auszuüben. Selbstverständlich würde sie Gysi die Generalisten-Rolle „nie absprechen“, versichert sie. „Doch ich würde sie für mich genauso beanspruchen.“

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