Krieg in Syrien: Gewaltverzicht unter Vorbehalt
Der UN-Sicherheitsrat fordert eine Waffenruhe für Syrien. Doch die Chancen für eine Feuerpause dürften gering sein. Nach wie vor wird gekämpft.
Der französische Botschafter bei den Vereinten Nationen hatte eine böse Vorahnung. Wenn die UN sich nicht auf einen Waffenstillstand für Syrien einigen könnten, drohe der Weltorganisation selbst das „Ende“. Diese Prophezeiung des Spitzendiplomaten Francois Delattre vom Donnerstag war sicherlich gewagt. Doch sie zeigte, wie dramatisch sich die Lage darstellte.
Wieder einmal sperrten sich die Russen gegen einen Beschluss des Sicherheitsrates über eine Waffenruhe für das Kriegsland. Wieder einmal hielt Moskau eisern an seinem Bündnis mit Assad fest, der nach Einschätzung vieler einen brutalen Krieg gegen das eigene Volk führt. Und wieder einmal schauten die Vereinten Nationen der syrischen Tragödie so fassungs- wie hilflos zu.
Nervenaufreibendes Tauziehen der Diplomaten
Nun haben sich die 15 Mitglieder einstimmig auf eine Syrien-Resolution geeinigt, Russland verzichtete auf sein fast schon obligatorisches Veto. Ein tagelanges nervenaufreibendes Tauziehen ging mit einem Papier zu Ende, in dem sich die Kontrahenten auf den kleinsten gemeinsamen Nenner einigten.
Im Kern votierte der Rat für eine 30-tägige Feuerpause in dem geschundenen Land und wöchentliche Hilfslieferungen an die darbende Bevölkerung. Zudem sollen die Verwundeten und Kranken in Sicherheit gebracht werden. Auch die Belagerungen sollen aufgehoben werden – vor allem die von Ost-Ghouta durch regimetreue Einheiten. Das unfassbare Leid und die Not der etwa 400.000 Menschen in der Rebellen-Enklave östlich von Damaskus zwang den Sicherheitsrat letztendlich zum Handeln.
Während des Schacherns mit Moskaus Vertretern fühlten sich westliche Diplomaten an frühere Verhandlungen um Feuerpausen und an die von Moskau versprochenen Deeskalationszonen erinnert. Keine Waffenruhe wurde durchgehend respektiert, das Konzept der Deeskalationszonen erwies sich Farce. Denn niemand konnte oder wollte das Schweigen der Waffen durchsetzen.
Wer kann den Beschluss durchsetzen?
Nach der Resolution des Sicherheitsrates vom Samstagabend stellt sich nun wieder einmal die Frage: Wie und wer kann den Beschluss umsetzen, also durchsetzen? Eine Antwort bleiben die UN schuldig. Letztlich können nur Russlands Präsident Wladimir Putin, seine Regierung und seine Militärs die Einhaltung der Resolution garantieren.
Allein Moskau hat die Macht und die Druckmittel, das Assad-Regime zur Raison zu bringen. Doch der Kreml wird sich aller Voraussicht nicht sonderlich darum scheren. Für Putin zählt in Syrien nur eins: Die Regierung in Damaskus muss mit russischer Hilfe den seit sieben Jahren tobenden Krieg gewinnen. Diese Vorgabe gilt auch für die russische Diplomatie.
Weitere Attacken gelten als wahrscheinlich
Deshalb bestand die Führung in Moskau auf einem Passus, wonach die Waffenruhe nicht für diverse terroristische Gruppen gelten dürfe. Baschar al Assad und Russland brandmarken aber fast alle Gegner und Rebellen als Terroristen. Weitere Angriffe der Regimetruppen und ihrer Milizen auf Ost-Ghouta und andere belagerte Rebellen-Regionen sind damit wahrscheinlich.
Genau so scheint es zu kommen. Kurz nach dem Beschluss des UN-Sicherheitsrates, die Kampfhandlungen „unverzüglich“ einzustellen, bombardierte Syriens Armee Orte in Ost-Ghouta. Nach übereinstimmenden Berichten von Aktivisten wurde die Region am Sonntag mit Artillerie und Raketen beschossen. Es sollen einige Menschen dabei ums Leben gekommen sein.
Allerdings war die Intensität der Angriffe Berichten zufolge etwas geringer als in den Tagen zuvor. Es kursierten jedoch Gerüchte, eine Bodenoffensive des Regimes stünde unmittelbar bevor. Auf Twitter soll es Mitteilungen regierungstreuer Kräfte gegeben haben.
Teherans Vorbehalte
Der Iran – seit Beginn des Aufstands gegen Assad ein treuer Verbündeter des syrischen Herrschers – hat ebenfalls neue Militär-Offensiven gegen das Rebellengebiet Ost-Ghouta angekündigt. Die Vororte von Damaskus stünden zum Teil unter Kontrolle von „Terroristen“. Deshalb werde dort die „Säuberung fortgesetzt", sagte Militärstabschef Mohammed Bakeri.
Auch in der Region Afrin im Nordwesten Syriens gehen die Kämpfe zwischen dem türkischen Militär und der Kurdenmiliz YPG offenbar weiter. Ankaras Truppen und verbündete Milizen seien weiter vorgerückt und hätten mehrere Dörfer unter ihre Kontrolle gebracht, teilte die Syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte mit. mit dpa
Christian Böhme