Bundespräsidenten-Kandidaten: Gabriels Vorschlag ist Merkels Dilemma
Zum vierten Mal sucht Angela Merkel einen neuen Bundespräsidenten. Die CDU-Vorsitzende muss zügig einen eigenen Kandidaten nennen – oder Steinmeier von der SPD akzeptieren. Ein Kommentar.
Mit ihrer Auswahl eines Kandidaten für das höchste Staatsamt in Deutschland hat Angela Merkel noch kein einziges Mal Glück gehabt. Horst Köhler stand bis zum Schluss mit dem politischen Betrieb in Berlin auf Kriegsfuß, Christian Wulff wurde mit Schimpf und Schande aus dem Amt getrieben. Und die Nominierung Joachim Gaucks geriet der CDU-Vorsitzenden 2012 zur persönlichen Blamage: Nachdem sie sich erst klar gegen den beliebten Kandidaten gestellt hatte, musste Merkel schließlich klein beigeben, nachdem ihr der damalige Koalitionspartner FDP im entscheidenden Augenblick die Gefolgschaft verweigerte.
Auch bei der jetzt anstehenden Suche nach einem Kandidaten für das Amt des Bundespräsidenten hat die Kanzlerin sich und die Union in ein Dilemma manövriert, aus dem ein gesichtswahrender Ausweg kaum vorstellbar ist. Was umso schwerer wiegt, als die Wahl des Präsidenten am 12. Februar 2017 den Auftakt für ein Jahr darstellt, an dessen Ende die Bundestagswahl stehen wird. Und in dem der ohnehin aufgeriebenen und zerstrittenen Union von CDU und CSU nichts Schlimmeres widerfahren könnte, als eine Niederlage ausgerechnet bei der Präsidentenwahl. Ein Wahljahr, das gleich mit einer krachenden Niederlage für die Union anfängt, haben die Spitzen von CDU und CSU Ende vergangener Woche als schlimmsten anzunehmenden Fall definiert, den es zu verhindert gilt.
Für die Kanzlerin heißt das: Es muss entweder ein Kandidat her, der (mindestens) die Stimmen von Union und SPD erhält. Oder Merkel muss einen eigenen Kandidaten der Union finden, der gegen den Kandidaten der SPD antritt und im dritten und entscheidenden Wahlgang gewinnt – und zwar ohne den Makel, mit den Stimmen der Alternative für Deutschland (AfD) zum Staatsoberhaupt gewählt zu werden. Beide sind im Augenblick nicht in Sicht.
Eigentlich könnten sich CDU/CSU und SPD über Frank-Walter Steinmeier längst einig sein
Auf Frank-Walter Steinmeier (SPD), den langjährigen Außenminister der großen Koalition, hätten sich Union und SPD womöglich einigen können. Steinmeier ist weit über das sozialdemokratische Lager hinaus beliebt und taugt – was CDU und CSU wichtig ist – nicht zum Symbol eines anstehenden rot-rot-grünen Machtwechsels. Merkel hatte sich zwar früh gegen Steinmeier gestellt, was jedoch als Positionierung in einer Zeit gewertet werden darf, als die Kanzlerin noch auf alternative Vorschläge hoffen durfte, die auch die SPD mittragen kann.
Spätestens nachdem honorige Persönlichkeiten abgesagt hatten, wie etwa der Präsident des Verfassungsgerichtes, Andreas Voßkuhle, oder Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU), hätte sich Merkel hinter Steinmeier stellen können. Das zumindest hört man bis heute aus der Union: Ein großkoalitionärer Kandidat Steinmeier wäre in Anbetracht der schwierigen politischen Zeiten durchaus auch für CDU und CSU wählbar gewesen.
Nachdem SPD-Chef Sigmar Gabriel den Außenminister jetzt allerdings zu seinem Favoriten erklärte und sich seit einer Woche immer mehr Sozialdemokraten hinter dem Vorschlag versammeln, dürfte es Merkel schwer fallen, ihrer Partei und vor allem der CSU Steinmeier noch schmackhaft zu machen. Daran ändert wohl auch der Umstand wenig, dass in der Unionsspitze Gabriels Vorstoß noch als „Vorschlag“ und nicht als Nominierung eines SPD-Kandidaten definiert wird. Mit einer solchen Interpretation kann Merkel allenfalls Zeit gewinnen bis zu dem für die nächste Woche anberaumten Treffen der Koalitionsspitzen, bei dem die Präsidentenfrage erörtert werden soll.
Die SPD wird kaum noch von Steinmeier abzubringen sein
Faktisch dürfte das Vorhaben eines gemeinsamen Kandidaten schon gestorben sein. Schließlich wurde Steinmeier vom SPD-Vorsitzenden Gabriel als möglicher Bewerber hoch gelobt, „der unser Land repräsentieren kann, aber auch die Herausforderungen unserer Zeit kennt und Antworten darauf hat“. Wen sollte Merkel anbieten, der (oder die) die SPD derart überzeugen würde, dass man kurzerhand von einem solchen Mann wieder ablässt? Gabriel dürfte das schwer fallen. Auch übrigens für den Fall, dass Merkel den baden-württembergischen Grünen Winfried Kretschmann ins Spiel bringt. Schließlich stünde der für eine schwarz-grüne Botschaft.
Welcher Kandidat würde einen dritten Wahlgang mitmachen?
Für Merkel heißt das aber: Wenn sie ihren Plan eines großkoalitionären Präsidentschaftskandidaten nicht aufgeben will, muss sie wohl Steinmeier akzeptieren, abermals eine Niederlage in dieser wichtigen Personalfrage eingestehen und – was jetzt noch schwerer fallen dürfte – nunmehr die eigenen Reihen von der Qualität eines Kandidaten Steinmeier überzeugen, den sie bisher für nicht unterstützenswert hielt. Eine Niederlage am 12. Februar wäre so zwar abzuwenden. Für Rückenwind für die Union im Wahljahr würde das aber nicht sorgen. Und auch das Misstrauen innerhalb der Union gegenüber Angela Merkel nicht verringern.
Es bliebe der CDU-Chefin, einen Unions-Kandidaten zu benennen, der das Risiko einer Kampfabstimmung im dritten Wahlgang nicht scheut. Wolfgang Schäuble (CDU) könnte das sein. Er selbst hat sich bislang noch nicht geäußert. In der CDU wächst derweil die Sorge, Merkels Kandidaten-Dilemma könnte den Parteitag Anfang Dezember überschatten und neue Gräben zwischen den Schwesterparteien aufreißen. Zehn Monate vor der Bundestagswahl.
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