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Ungenutzter Übergang. Bisher trauen sich die Einwohner nicht, Ost-Ghouta zu verlassen.
© Louai Beshara/AFP

Kampf ums syrische Ost-Ghouta: "Fünf Stunden Feuerpause sind schlimmer als nichts!"

Der Arzt Mohamad Katoub im Interview über die brüchige Waffenruhe in seiner Heimat Ost-Ghouta, die anhaltende Offensive des Regimes und die Angst der Menschen vor Vertreibung.

Herr Katoub, für fünf Stunden am Tag sollen die Waffen in Ost-Ghouta schweigen. Wird die Waffenruhe eingehalten?

Nein. Die Intensität der Angriffe ist im Vergleich zur vergangenen Woche zwar deutlich zurückgegangen. Aber die Offensive des syrischen Regimes geht weiter. Viele Zivilisten sind in den vergangenen Stunden durch Bombardements gestorben. Noch immer kommen ständig Menschen in unsere Krankenhäuser, die verwundet wurden und dringend behandelt werden müssen.

Hilft den Menschen denn eine mehrstündige Feuerpause?

Fünf Stunden sind nichts! Sie sind sogar viel schlimmer als nichts!

Inwiefern?

Weil Staaten, die auf das Waffenstillstandsabkommen gedrängt haben, sich jetzt ruhig verhalten werden. Obwohl die Menschen nach wie vor getötet werden.

Das Assad-Regime hat eigenen Angaben zufolge einen Fluchtkorridor für Zivilisten geschaffen. Wird der genutzt?

Wir haben bisher keine Informationen über Menschen erhalten, die in regierungstreue Gebiete fliehen.

Es ist immer wieder davon die Rede, dass Islamisten in Ost-Ghouta die Menschen daran hindern zu fliehen. Stimmt das?

Unserer Kenntnis nach hat die Nusra-Front, der syrische Ableger der Terrororganisation Al Qaida, nur sehr begrenzte Macht in Ost-Ghouta. Und keiner der vorgeschlagenen Übergänge zum Gebiet der Regierung wird von den Islamisten kontrolliert. Wir hören von unseren Mitarbeitern an Ort und Stelle, dass die Leute einfach Angst davor haben, in die von der Regierung beherrschten Gebiete gebracht zu werden. Sie haben überhaupt kein Vertrauen. Niemand traut Versprechungen wie freies Geleit.

Mohamad Katoub ist Arzt und stammt aus dem belagerten Ost-Ghouta. Er gehört der Hilfsorganisation Syrisch-Amerikanische Medizinische Gesellschaft an.
Mohamad Katoub ist Arzt und stammt aus dem belagerten Ost-Ghouta. Er gehört der Hilfsorganisation Syrisch-Amerikanische Medizinische Gesellschaft an.
© Privat

Die Einwohner sind seit Tagen unter Dauerbeschuss. Wie wirkt sich das aus?

Es gibt schlimme Verletzungen, Amputationen, Unterernährung, viele Todesfälle aufgrund des Beschusses und fehlender Medikamente. Und sehr viele Menschen sind schwer traumatisiert.

Viele fürchten, Ost-Ghouta droht das gleiche Schicksal wie Aleppo. Sie auch?

Die Situation ist jetzt vielleicht sogar noch viel schlimmer als vor gut einem Jahr in Aleppo. Die Einwohner von Ost-Ghouta wissen nicht, wohin sie fliehen sollen. Denn in den wenigen Gebieten, die nicht vom Regime kontrolliert werden, gibt es für sie keinen Platz mehr.

Die im Norden gelegene Provinz Idlib etwa, wo nach dem Fall von Aleppo Ende 2016 zig Tausende eine Bleibe gefunden haben, ist inzwischen völlig überfüllt – und vor Angriffen der Regierung nicht sicher. Die Menschen haben deshalb große Angst davor, vertrieben zu werden.

Die Fragen stellte Christian Böhme.

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