Sieben Jahre Krieg: Wie Russland in Syrien neue Waffen testet
Russland redet von Feuerpause - und nutzt den Krieg zur Erprobung neuer Waffensysteme. Das jüngste Beispiel sind die Kampfjets Su-57.
Fünf Stunden Frieden täglich hatte Russlands Präsident am Montag für die belagerte syrische Rebellenenklave Ost-Ghouta angeordnet, doch am Dienstag hielt die Waffenruhe zunächst nicht. Russland macht die Rebellen dafür verantwortlich: Sie würden den sogenannten humanitären Korridor mit Mörsergranaten beschießen. Über den Korridor sollen Einwohner evakuiert werden und Hilfsorganisationen Nahrungsmittel und Medikamente in die umkämpfte Region östlich der Hauptstadt Damaskus bringen. Nach Worten eines Rotkreuz-Sprechers gibt es aber noch kein grünes Licht der Konfliktparteien für ein sicheres Geleit von Konvois. Die Rebellen wiesen Vorwürfe umgehend zurück und berichteten ihrerseits, Ost-Ghouta werde von Kampfflugzeugen aus beschossen.
Syrien ist inzwischen offensichtlich zum wichtigen Testfeld für die neueste russische Waffentechnik geworden. Mehr als 200 „Muster russischer Militärtechnik“ seien bisher während der „syrischen Operation“ erprobt worden, berichtete die Internetzeitung „gazeta.ru“ kürzlich unter Berufung auf das Verteidigungsministerium. Der russische Vizeverteidigungsminister Juri Borissow hatte im Sommer vergangenen Jahres sogar von über 600 Tests an Waffensystemen gesprochen.
Feuertaufe für Kampfflugzeuge
Das jüngste Beispiel: Anfang Februar veröffentlichte der israelische Geheimdienst Satellitenaufnahmen von russischen Kampfjets des Typs Su-57, die auf dem Flugfeld der syrischen Basis Hamaimim stationiert sind. Es handelt sich um Prototypen, die Serienproduktion dieser Stealth-Flugzeuge soll erst im kommenden Jahr beginnen. In Syrien sei kein direkter Kriegseinsatz der Maschinen geplant, gab das Moskauer Verteidigungsministerium bekannt. Vielmehr sollen Tests durchgeführt werden, „die Gefechtsbedingungen nahe kommen“. Was das konkret bedeuten könnte, ließ Moskau offen.
„Es ist offensichtlich, dass die Su-57 und die russische Luftwaffe in Syrien ihre Feuertaufe erhalten“, schrieb die Zeitung „Kommersant“ kürzlich zusammenfassend. Zwischenzeitlich war gemeldet worden, dass der Chef der Luftwaffe, Generaloberst Sergej Surowikin, höchstpersönlich das Oberkommando über die russischen Kräfte in Syrien übernehme. Dies ist jedoch vom Moskauer Verteidigungsministerium dementiert worden.
Die Gerüchte waren aufgekommen, als Anfang Februar ein Erdkampfflugzeug vom Typ Su-25 mit einer schultergestützten Boden-Luft-Rakete in der Region Idlib abgeschossen wurde. Um den Piloten Roman Filipow, der angeblich nach seiner Landung mit dem Fallschirm Selbstmord beging, um nicht in Kriegsgefangenschaft zu geraten, ist in der Folge in Russland ein regelrechter Kult inszeniert worden. Posthum verlieh ihm Putin den Titel „Held Russlands“, seine Beerdigung in Woronesh war praktisch ein Staatsakt. In den sozialen Netzwerken wird der Fliegermajor mit den Soldaten des Großen Vaterländischen Krieges – des Kampfes gegen Nazi-Deutschland im zweiten Weltkrieg – in eine Reihe gestellt. Eine Schule in Woronesh und Straßen in Woronesh und Wladiwostok sind nach Filipow benannt worden.
Mehrere tausend Söldner
Moskauer Medien veröffentlichen derweil immer mehr Details über den Einsatz russischer Söldner, die jedoch nicht von unabhängiger Seite überprüft worden können. So sollen im Kriegsgebiet nach Angaben der oppositionellen Zeitung „Kommersant“ einige Tausend Söldner der „Gruppe Wagner“ in vier separaten Einheiten im Einsatz sein. Eine Gruppe agiere hinter den Frontlinien, es gebe Artillerie- und Panzerkräfte, Pioniere und eine Nachrichteneinheit. Die Finanzierung laufe über die Aktiengesellschaft „Euro Polis“. Diese wiederum wird mit dem als „Putins Koch“ bekannt gewordenen Petersburger Milliardär Jewgeni Prigoschin in Verbindung gebracht. Seinen Spitznamen erhielt Prigoschin, weil er in der Vergangenheit als Caterer Staatsbankette für Putin ausgerichtet hatte. Russische Medien haben spekuliert, für seinen finanziellen Einsatz in Syrien erhalte Prigoschin Lizenzen zur Ölförderung in Gebieten, die von der Terrormiliz „Islamischer Staat“ befreit wurden.
Das von Außenminister Sergej Lawrow geforderte Gesetz zur Legalisierung der Söldnertruppen und Privatarmeen ist unterdessen im Entwurf fertiggestellt. Derzeit droht das russische Strafgesetzbuch Söldnern mit bis zu drei Jahren Haft, die letzte Verurteilung liegt jedoch Jahre zurück. Der Entwurf wird derzeit im Kabinett von Regierungschef Dmitri Medwedew abgestimmt. Ursprünglich war vorgesehen, das Gesetz Ende Februar oder Anfang März ins Parlament, die Duma, einzubringen. Doch wie schon bei zwei vorangegangenen Versuchen scheint es erneut Streit zwischen den Sicherheitsministerien zu geben. Die Lizenzen für die Privatarmeen soll dem Vernehmen nach das Verteidigungsministerium erteilen. Der Geheimdienst, dem auch schlagkräftige militärische Spezialeinheiten unterstehen, kämpft jedoch ebenfalls um einen direkten Zugriff.
Legaler Zugang zum Waffenmarkt
Russland könnte „dem Markt militärischer Dienstleistungen“ derzeit 100000 bis 150000 gut ausgebildete Söldner zur Verfügung stellen, schätzt die „Nowaja Gazeta“. Dabei gibt es nicht nur die „Gruppe Wagner“, sondern ein gutes Dutzend weiterer Verbände mit Namen wie „Zentr Antiterror“, „Russkorps“ oder „Tiger Top Rent Security“. Ihnen würde das Gesetz auch einen legalen Zugang zum russischen Waffenmarkt eröffnen, neben dem Staat sollen auch die Privatarmeen dann direkt beim militärisch-industriellen Komplex bestellen können. Der Reservistenverband sieht noch eine weitere Chance. Die russische Armee zählt rund fünf Millionen Reservisten. Viele von ihnen hätten nach ihrem Dienst an der Waffe Schwierigkeiten im zivilen Leben, heißt es. Mit der Legalisierung von Privatarmeen ließen sich womöglich soziale Probleme lösen.
Frank Herold