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In Fukushima stapeln sich fünf Jahre nach dem Unglück Müllsäcke, die mit kontaminierter Erde gefüllt sind. 16 000 solcher Zwischenlager gibt es derzeit.
© Toru Hanai/REUTERS

Fünf Jahre nach der Atomkatastrophe: Fukushima ist eine Katastrophe ohne Ende

Am 11. März 2011 sind im japanischen Fukushima drei Atomkraftwerke durchgebrannt. Auf dem Gelände haben sich riesige Mengen kontaminierten Wassers angesammelt. Und niemand weiß wohin mit dem Atommüll.

Was Heinz Smital jedes Mal wieder bedrückt, wenn er die Region Fukushima besucht, ist die leise Verzweiflung der Menschen, die ihre Häuser nach der Atomkatastrophe am 11. März 2011 verlassen mussten. Viele sind weggezogen, vor allem, wenn sie Kinder haben, berichtet der Physiker, der für die Umweltorganisation Greenpeace arbeitet. Erst vor wenigen Tagen ist er von einer neuen Messkampagne zurückgekehrt. Etwa 100 000 Menschen leben weiterhin in Notunterkünften. Einige von ihnen haben Smital berichtet, dass die Regierung angekündigt habe, vom kommenden Jahr an eine Rückkehr in die Sperrgebiete zuzulassen. Das hat nach Smitals Informationen für die Betroffenen vor allem eine Konsequenz: „Wer sein Haus im Sperrgebiet mit Krediten finanzieren musste, zahlt weiter für ein wertloses Haus, das er auch nie mehr verkaufen kann.“ Und neue Kredite, um anderswo neu anzufangen, könnten sie nicht aufnehmen. Auf eine Entschädigung von der Betreiberfirma der drei durchgebrannten Atomkraftwerke in Fukushima Daiichi, Tepco, warten die Betroffenen seit Jahren – vergeblich.

Erde wird abgetragen - und in 16 000 Zwischenlagern abgestellt

Um die verstrahlten Gebiete wieder bewohnbar zu machen, versucht die japanische Regierung, den Boden zu dekontaminieren. Das heißt: Blätter und Vegetation werden mit den oberen Bodenschichten abgetragen. Das Material wird in schwarze Müllsäcke verpackt und lagert auf derzeit rund 16 000 Lagerplätzen. Niemand weiß, was damit passieren soll. An sich, sagt Smital, sei das eine taugliche Methode, die Strahlenwerte zu senken. Aber: Das Gebiet ist von Wald umgeben. Bäume lassen sich nicht dekontaminieren. Greenpeace hat zum fünften Jahrestag der Katastrophe eine Zusammenfassung der Forschung vorgelegt, in der die Auswirkungen der Radioaktivität auf Ökosysteme an Land und im Meer vorgestellt werden. In Bäumen werden die bei der Katastrophe freigesetzten radioaktiven Elemente Cäsium 137, Cäsium 134 und Strontium 90 eingelagert – und bei Regen oder im Jahreszeitenverlauf wieder freigesetzt. Mit dem Ergebnis, dass gerade dekontaminierte Flächen durch den Regen oder die mitgeführte verstrahlte Erde wieder neu verunreinigt werden.

Jede technische Lösung schafft neue Probleme

Die grüne Atomexpertin Sylvia Kotting-Uhl, die ebenfalls mehrfach vor Ort war, sagt: „Der GAU (größter anzunehmender Unfall) von Fukushima Daiichi ist nicht bewältigt und es ist nicht klar, ob er je bewältigt werden wird.“ Die Katastrophe zeige „mit immer neuen Problemlagen, dass hier Mensch und Technik an ihre Grenzen gestoßen sind“. Sie hält es für einen Ausdruck von Hybris, „Atomkraft beherrschen zu wollen“. Dass sie mit den Grenzen der Technik nicht übertrieben hat, zeigt ein Blick in den aktuellen Bericht der Gesellschaft für Reaktor- und Anlagensicherheit (GRS), der in wenigen Tagen veröffentlicht werden wird.

Rund 7000 Arbeiter sind täglich auf der Baustelle mit den havarierten Atomkraftwerken in Fukushima beschäftigt. Ein Ende der Aufräumarbeiten ist nicht abzusehen.
Rund 7000 Arbeiter sind täglich auf der Baustelle mit den havarierten Atomkraftwerken in Fukushima beschäftigt. Ein Ende der Aufräumarbeiten ist nicht abzusehen.
© Toru Hanai/dpa

Die GRS untersucht im Auftrag der Bundesregierung die eigentlich vier Atomunfälle nach dem Erdbeben und Tsunami in Japan. Einmal im Jahr trägt die GRS den Wissensstand über den Unfallverlauf und die Bewältigungsversuche zusammen. Demnach dürfte der Atomkern im Reaktor 1 vollkommen geschmolzen sein. Wo er genau ist, ist unklar. Aber Tepco geht davon aus, dass er sich aus dem Reaktordruckbehälter nach unten in den Zementboden gefressen hat – und dort irgendwo noch steckt. Der Kern im Reaktor 3 ist demnach stark zerstört, wenn auch womöglich nicht vollständig geschmolzen. Im Reaktor 2 gibt es große Zerstörungen und eine Teilschmelze, vermuten die Tepco-Experten.

Allerdings ist es schwierig, genaue Informationen zu ermitteln. Mit Sonden an Ballons, Schiffchen mit Kameras und Messgeräten sowie Robotern versucht sich das Unternehmen einen besseren Überblick über die Lecks in den Druckbehältern und über die Strahlenbelastung zu machen. Im vergangenen Jahr hat Tepco dabei zwei kleine Roboter in Raupenform im Reaktor 1 verloren. Der erste verklemmte sich schon nach zwei Tagen, ein zweiter konnte nach vier Tagen keine Daten und Bilder mehr senden, weil die Elektronik der Geräte wegen der hohen Strahlungsbelastung in die Knie ging. Solange Tepco nicht weiß, wo die geschmolzene Kernmasse genau liegt, und welche Geräte trotz der Strahlenbelastung in diesem Umfeld funktionieren können, ist eine Bergung der Atomkerne nicht möglich.

Der Platz für das kontaminierte Wasser wird knapp

Aber das womöglich größte Problem auf dem Gelände der havarierten Anlagen sind nach wie vor die kontaminierten Wassermassen, die bewältigt, gereinigt und gelagert werden müssen. Wegen der zerstörten Druckbehälter dringt nach wie vor Kühlwasser aus den Reaktoren ins Grundwasser ein. Damit das Grundwasser von den Bergen nicht mehr durch das Reaktorgelände fließt und so belastet wird, sind in den vergangenen drei Jahren Spundwände gebaut worden, die das Grundwasser abhalten sollen. Das Grundwasser wird abgepumpt, von Cäsium und Strontium gereinigt und, wenn die Strahlenbelastung gering genug ist, in den Pazifik gepumpt. Was die Techniker bisher nicht im Griff haben, ist die Belastung mit radioaktivem Tritium. Um das schwere Wasserstoffatom aus dem Wasser zu entfernen, ist der Einsatz sehr teurer und zum Teil noch nicht verfügbarer Technik nötig. Die Grundwassermenge ist seither gesunken, berichtet Tepco. Doch gleichzeitig fließt mehr stark kontaminiertes Wasser aus den Reaktoren nach, weil sich die Druck- und Strömungsverhältnisse des Grundwassers verändert haben. Mitte Januar lagerten nach GRS-Informationen 782 000 Kubikmeter in Wassertanks auf dem Gelände. Doch die Lagerkapazität lässt sich höchstens auf 870 000 Kubikmeter erhöhen.

Ein 100-Milliarden-Dollar-Problem

Bisher sind in der Region 113 Fälle von Schilddrüsenkrebs bei Kindern festgestellt worden. Mehr als 300 000 Kinder werden regelmäßig daraufhin untersucht. Nur in einem Fall erwies sich das Geschwür als gutartig. Die wirtschaftlichen Kosten für Japan werden auf 100 Milliarden Dollar geschätzt.

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