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Geht als nächstes vom Netz. Das Kernkraftwerk Grafenrheinfeld in Bayern wird Ende des Jahres 2015 stillgelegt.
© Imago

Nuklear-GAU von Fukushima: Deutschland ist schlecht geschützt

Vor drei Jahren havarierte Fukushima. Und Deutschland beschloss den Atomausstieg. Aber auch hier werden noch viele Meiler betrieben. Wie sicher sind sie?

Drei Jahre nach Beginn der Atomkatastrophe in Fukushima sind viele Fragen zum sicheren Betrieb von Atomkraftwerken noch nicht beantwortet. Denn trotz Atomausstiegs sind auch hierzulande noch jahrelang Meiler in Betrieb. Zwar hat die Reaktorsicherheitskommission (RSK) schon 2011 überprüft, wie „robust“ sie im Falle eines lang andauernden Stromausfalls wären. Doch welche konkreten Konsequenzen aus dem Geschehen in Japan zu ziehen sind, ist noch immer unklar.

Ist Deutschland auf einen schweren Atomunfall wie in Fukushima vorbereitet?

Nicht gut genug. Zu diesem Schluss ist nach dreijähriger Beratung Mitte Februar auch die Strahlenschutzkommission (SSK) gekommen, die 2011 vom Umweltministerium um Hilfe gebeten worden war. Am Montag ist die Empfehlung der SSK, die sogenannten Planungszonen rund um die Atomkraftwerke zu vergrößern, veröffentlicht worden. Ob diese Empfehlungen umgesetzt werden, ist allerdings noch offen. Denn für den Katastrophenschutz sind die Länder zuständig. Bundesumweltministerin Barbara Hendricks (SPD) kündigte am Montag an, die SSK-Empfehlung an die Innenministerkonferenz der Länder weiterzuleiten und sich auch auf europäischer Ebene für eine Überarbeitung der Pläne zum Bevölkerungsschutz einzusetzen.

Schon 2012 hatten Experten des Bundesamts für Strahlenschutz (BfS) damit begonnen, die konkreten Unfallerfahrungen aus Fukushima anhand mehrerer deutscher Atomkraftwerke zu berechnen. Diese Daten stellte das BfS der Strahlenschutzkommission zur Verfügung, deren Facharbeitskreis über die Frage diskutierte, ob die 2008 festgelegten Planungszonen noch die richtigen sind. „Ich freue mich, dass sich nunmehr die Empfehlungen an unsere Vorschläge anlehnen“, sagte BfS-Chef Wolfram König dem Tagesspiegel. Die Debatte war durchaus kontrovers. In der SSK-Empfehlung heißt es nun: „Die Festlegung des für die Notfallplanung zugrundeliegenden Unfallspektrums wurde stärker an den potenziellen Auswirkungen als an der berechneten Eintrittswahrscheinlichkeit von Unfällen orientiert.“ Darin ist die Kontroverse zusammengefasst. Die einen waren der Auffassung, dass die Planungszonen vergrößert und die Notfallplanung besser auf das tatsächliche Unfallgeschehen abgestimmt werden müssten. Andere befürchteten, dass damit nur Panik verbreitet werde, und dass es schwer bis unmöglich werden würde, im Notfall die behördlichen Entscheidungen zu erklären.

Die Empfehlung sieht nun vor, die sogenannte Zentralzone von zwei auf fünf Kilometer rund um ein Atomkraftwerk – ein deutsches oder ein ausländisches im Grenzgebiet – zu vergrößern. In dieser Zone würden die Bewohner nach dem Eingehen eines Alarms zunächst gebeten, das Haus nicht zu verlassen und die Fenster geschlossen zu halten. Die Bewohner bis zum Alter von 45 Jahren müssten mit Jodtabletten versorgt werden, um die Aufnahme von radioaktivem Jod 131 zu blockieren und so Schilddrüsenkrebs vorzubeugen. Personen, die älter als 45 Jahre sind, sollten auf diese Prophylaxe lieber verzichten, weil bei ihnen so starke Nebenwirkungen zu erwarten wären, dass der Nutzen den Schaden nicht mehr übersteigt. Die zuständigen Behörden in dieser Zentralzone sollten darauf vorbereitet sein, alle Einwohner innerhalb von sechs Stunden aus dem Risikogebiet herauszubringen.

Die Mittelzone soll von zehn auf 20 Kilometer um Atomkraftwerke vergrößert werden. In dieser Zone könnten die Bewohner ebenfalls gebeten werden, im Haus zu bleiben. Dort müssten besonders gefährdete Menschen, also Schwangere und Kinder sowie Jugendliche unter 18 Jahren, mit Jodtabletten versorgt werden. Wenn der Wind die Radioaktivität verbreitet, würden die Bewohner womöglich ebenfalls ihre Häuser verlassen müssen – allerdings nicht alle, sondern nur diejenigen, die gefährdet werden könnten.. In dieser Zone sollten sich die Behörden darauf vorbereiten, gefährdete Bevölkerungsgruppen innerhalb von 24 Stunden außerhalb der Gefahrenzone unterzubringen. Die sogenannte Außenzone soll von 25 auf 100 Kilometer erweitert werden. In dieser Zone müssten die Behörden je nach Ausbreitungslage entscheiden, wie die Bevölkerung am besten geschützt werden kann.

Wie muss die Kommunikation im Katastrophenfall aussehen?

In Fukushima lief und läuft vieles falsch. Nur zögerlich kamen die Informationen, sie waren teilweise widersprüchlich, was Betroffene umso mehr verunsichert. „Behörden und Experten sollten klare, knappe und präzise Informationen geben“, sagt Georg Ruhrmann von der Universität Jena, der sich unter anderem mit Risikokommunikation befasst. „Das heißt: kurze, leicht verständliche Sätze, die den Betroffenen deutlich machen, welche Risiken drohen und auch welche nicht.“ Das sei gerade beim Thema Kernkraft wichtig, da hier das Risiko als besonders groß wahrgenommen wird. Das hängt auch damit zusammen, dass Radioaktivität weder sichtbar ist noch anderweitig wahrgenommen werden kann. „Die Menschen müssen sich auf die Messungen verlassen, das setzt viel Vertrauen in die verantwortlichen Firmen und Behörden voraus“, sagt Ruhrmann. Deren Informationshoheit ist durch die modernen Medien aber geringer geworden. „Im Internet werden Neuigkeiten schnell und über Grenzen hinweg verbreitet“, sagt er. Vor diesem Hintergrund bezweifelt er, dass sich die Betroffenen an die behördlich festgelegten Planungszonen überhaupt noch halten werden.

Wie steht es um die Sicherheit der deutschen Atomkraftwerke?

Die Empfehlungen für eine bessere Vorbereitung auf Notfälle der Gesellschaft für Reaktorsicherheit (Weiterleitungsnachricht vom Februar 2012) sowie die Empfehlungen der RSK sollen von den Atomkraftwerksbetreibern umgesetzt werden. In einem Aktionsplan ist festgehalten, wo die Empfehlungen umgesetzt wurden, und wo nicht.

Die preiswerten Vorschläge sind überwiegend umgesetzt. Fast alle Atomkraftwerke verfügen über mehr Batteriekapazität und Notstromaggregate, um Stromausfälle besser zu bewältigen. Doch je umfangreicher die Nachrüstungen wären, desto stärker stehen die Atomaufsichtsbehörden der Länder unter Druck, auf Auflagen zu verzichten, zumal die letzten Atomkraftwerke Ende 2022 vom Netz gehen werden. Allerdings nehmen die Sicherheitsprobleme mit dem Alter der Anlagen zu: Materialverschleiß, konzeptionelle Sicherheitsmängel, aber auch die Belastungen, wenn Atomkraftwerke relativ schnell runtergefahren werden müssen, um an wind- und sonnenreichen Tagen das Netz nicht so zu überlasten, dass es zum Stromausfall kommt.

Hat sich Deutschland mit dem Atomausstieg isoliert?

In 31 Ländern der Welt wurden 2013 insgesamt 427 Atomkraftwerke betrieben. 2002 war der Höhepunkt der globalen Atomkraftnutzung, damals waren 444 Anlagen in Betrieb. Die Atomkraftwerke sind im Schnitt 28 Jahre alt. 190 davon sind sogar älter als 30 Jahre. Aktuell werden in 14 Ländern insgesamt 66 Atomkraftwerke neu gebaut. Allerdings werden acht dieser Anlagen bereits seit 20 Jahre als „im Bau“ gelistet. Für 45 der im Bau befindlichen Anlagen gibt es keinen Termin, von wann an sie tatsächlich Strom liefern sollen. 23 weitere haben mehrfach Bauverzögerungen erlebt. Zwei Drittel der Anlagen entstehen in Russland, China und Indien. 2012 sind drei Reaktoren neu ans Netz gegangen, sechs wurden stillgelegt. Das hat der Pariser Atomexperte Mycle Schneider für seinen jährlichen Statusbericht ermittelt. Atomenergie ist zu teuer, zu kompliziert und entsteht überhaupt nur noch dort, wo die Energiewirtschaft staatlich finanziert wird. Im Wettbewerb werden ohne hohe Subventionen keine Atomkraftwerke gebaut. Das hat Großbritannien gerade erfahren, wo der Neubau mit einer hohen Einspeisevergütung über einen Zeitraum von 35 Jahren gesichert werden soll.

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