Neuer Ausschuss gegen Rassismus: Fraktionsübergreifend schließen sich Abgeordnete für mehr Vielfalt zusammen
Abgeordnete mit und ohne Migrationshintergrund wollen kulturelle Vielfalt im Parlament verankern. Antirassismus soll dauerhaft Arbeitsfeld des Bundestags sein.
Ihr Vorbild ist fast 50 Jahre alt und dennoch aktiv wie eh und je: der „Congressional Black Caucus“ in den USA, eine Gruppe afro-amerikanischer Kongressmitglieder, die sich 1971 über Parteigrenzen hinweg zusammenschlossen, um ihren Stimmen gemeinsam mehr Gehör zu verschaffen.
Seit kurzem gibt es im Bundestag eine ähnliche Vereinigung – den überfraktionellen „Parlamentskreis Vielfalt und Antirassismus“, den Abgeordnete von Union, SPD, FDP, Grünen und Linken gemeinsam ins Leben gerufen haben.
Das Ziel: Den Kampf gegen Rassismus ins Parlament zu tragen und zu zeigen, dass die kulturelle Vielfalt der Einwanderungsgesellschaft auch im Bundestag einen festen Platz haben muss.
Und dass sie dort sowieso längst angekommen ist: “Wir wollen auch nach außen deutlich machen, wie vielfältig dieses Parlament ist”, sagt die niedersächsische Grünen-Abgeordnete Filiz Polat, “zumal wir gerade dort stellvertretend für die Menschen stehen, denen von Rechtsaußen tagtäglich abgesprochen wird, Teil dieses Landes zu sein”.
„Die Anschläge von Halle und Hanau sowie die ‚Black Lives Matter‘-Bewegung haben uns gezeigt, dass wir die Leerstelle zu den Themen Vielfalt und Antirassismus im Parlament schließen müssen“, sagt der SPD-Abgeordnete Karamba Diaby, dessen Bürgerbüro in Halle auch schon Ziel eines mutmaßlich rassistisch motivierten Angriffs war. Sein FDP-Kollege Grigorios Aggelidis formuliert es so: „Als Parlamentarier sollten wir mit gutem Beispiel vorangehen und das Thema Vielfalt dauerhaft und nicht nur anlassbezogen diskutieren.“
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In der Vergangenheit habe es nur einen informellen Austausch auf den Fluren gegeben, sagt die Linken-Abgeordnete Gökay Akbulut. Doch nach den Anschlägen in Hanau, Halle, Lübeck und auf das Büro von Diaby hätten mehrere Abgeordnete das Bedürfnis gehabt, eine überfraktionelle Ebene zu schaffen. "Es geht darum, unseren Kampf gegen Rassismus zu bündeln", sagt Akbulut. In der Gruppe gebe es auch Überlegungen, beispielsweise mal gemeinsam zur Beobachtung des Prozesses gegen den Täter von Halle zu fahren.
Tatsächlich ist das Parlament hinsichtlich der kulturellen Vielfalt nicht besonders gut aufgestellt. Nur acht Prozent der Abgeordneten können eine Migrationsgeschichte vorweisen, sind entweder selbst nach Deutschland eingewandert oder haben Eltern, die das getan haben. In der Gesamtbevölkerung liegt der Anteil an Menschen mit sogenanntem Migrationshintergrund deutlich höher, bei 25 Prozent.
Zwei Treffen hat der Parlamentskreis bisher abgehalten, bis zum Ende der Legislaturperiode sollen vier weitere folgen. Noch vor der nächsten Bundestagswahl soll aus dem informellen Kreis eine förmliche Parlamentariergruppe werden. Man wolle dreierlei, sagt Polat: gemeinsam gegen Rassismus arbeiten, Anlaufstelle für NGOs und Zivilgesellschaft im Parlament werden, aber auch dies: "Wir wollen kritisch mit uns selber sein und fragen: Wie divers ist der Bundestag eigentlich aufgestellt und wie muss eine rassismuskritische Gesellschaft aussehen?"
Schon beim nächsten Treffen wollen sich die Abgeordneten im Austausch mit den Kolleginnen und Kollegen im europäischen Parlament schlau machen; dort gibt es bereits einen ähnlichen Zusammenschluss. “In den letzten Sitzungen hat mich sehr berührt, wie ernsthaft und sachlich, aber auch emotional und leidenschaftlich wir miteinander diskutiert haben“, sagt Aggelidis, der den Kreis als „Treiber“ für die gesamte Politik versteht. Das Thema Antirassismus dürfe nicht allein in Gremien wie dem Kabinettsausschuss Rechtsextremismus abgeladen werden. „Solche Debatten gehören mitten in die Gesellschaft und damit auch ins Parlament“, fordert Aggelidis.
CDU-MdB Kruse sieht das C als antirassistischen Auftrag
In der letzten Sitzung war die Integrationsbeauftragte Annette Widmann-Mauz zu Gast. Sie habe angesprochen, dass sie wissenschaftliche Studien zum Rassismus in den Reihen der Polizei für notwendig halte, sagt Akbulut. "Nur so können wir auch etwas gegen verfestigte Strukturen in den Sicherheitsbehörden tun." Einigkeit zu dem Thema bestand in der Runde nicht. "Aber auch Frau Widmann-Mauz ist klar, dass sich an dieser Stelle etwas ändern muss", sagt Akbulut.
Aggelidis‘ persönliche Motivation, sich in der Gruppe zu engagieren, ist die eigene Erfahrung mit Rassismus. Es sei erschreckend, dass Jugendliche heute noch immer ähnliche Diskriminierung erlebten wie er selbst als junger Mann, sagt der 55-Jährige. „Es ist eine Kernaufgabe der Politik, das zu ändern, damit die jungen Menschen in 20 Jahren nicht wieder das gleiche durchmachen.“
Die Erfahrung kennt Rüdiger Kruse nicht als Betroffener. Der Hamburger CDU-Abgeordnete hat aber Erfahrungen gemacht, die ihn nicht unberührt ließen und lassen: Wenn im Sternschanzenpark, der in seinem Wahlkreis liegt, fünf Schwarze Männer beieinander stehen, “dann hat jeder das Bild vom Drogendealer im Kopf. Dabei könnten die sich auch zum Fußball verabredet haben”, sagt Kruse. “Natürlich sagt jeder von sich selbst, er sei kein Sexist, sie keine Rassistin. Aber wir haben alle diese Stereotypen und gestanzten Vorurteile im Kopf.” Weshalb es gut sei, wenn das Parlament sich auch einmal selbstkritisch sich selbst widme. In der Union ist dem Vernehmen nach keine harte Gegnerschaft zum Thema da, aber nicht in allen Teilen starke Überzeugung. Allerdings, sagt eine der Überzeugten, merke man im Gespräch auch mit skeptischen Kolleginnen und Kollegen, dass sie sich des herrschenden Rassismus ebenfalls bewusst seien.
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Rüdiger Kruse sagt, auch da müsse die Union das C in den beiden Parteiennamen als Auftrag begreifen: “Denn so wie es ist, ist es ja noch nicht gut.”
AfD hat "offensichtlich kein Interesse an Vielfalt"
Der Parlamentskreis soll nach Meinung der Linken-Abgeordneten Akbulut aber auch Anlaufstelle für diejenigen im Bundestagsbetrieb werden, die selbst rassistische Angriffe erleben. "Das kommt immer wieder vor, sei es bei Abgeordneten, Mitarbeitern oder dem Fahrdienst." Sie finde es nicht hinnehmbar, wenn AfD-Fraktionschefin Alice Weidel im Plenum "Kopftuchmädchen" diffamiere, während es beim Reinigungsdienst viele Frauen mit Kopftuch gebe, die den Bundestag putzen.
Diaby hofft, dass die Mitglieder der Gruppe, die aus verschiedenen Fachbereichen – von Gesundheits- bis zur Bildungspolitik – kommen, die Ergebnisse der internen Diskussionen in ihre Fraktionen tragen. Das Verbindende zwischen den Parteien wolle man suchen, sagt Aggelidis. Einen „recht bunten Haufen“ nennt Diaby den Kreis. Nur die AfD habe man nicht angefragt. „Von der AfD hören wir immer wieder herabwürdigende und verletzende Reden“, sagt Diaby. „Es ist offensichtlich, dass die kein Interesse an gesellschaftlicher Vielfalt haben.“ Aggelidis meint: „Die passen nicht zu uns.“ CDU-Kollege Kruse formuliert den Unvereinbarkeitsgrund so: “Die AfD ist als einzige bewusst und willentlich rassistisch.”