Wirtschaftsexperte Carsten Linnemann: Folgenreicher Ausflug in die Schulpolitik
Der CDU-Politiker Carsten Linnemann hat gefordert, Kinder ohne Deutschkenntnis später einzuschulen - und deshalb jetzt mächtig Ärger. Wer ist der Mann?
Manchmal, so hat Carsten Linnemann dem Tagesspiegel vor einiger Zeit gesagt, brauche es in der Politik „Querdenker mit dem Mut zu ganz neuen Ansätzen“. Bezogen hatte der immer noch wie ein Schulbub aussehende CDU-Politiker das damals auf nötige Reformen fürs Rentensystem – es klang aber so, als ob er sich damit auch selber meinte.
Jetzt hat der 41-Jährige in der Schul- und Ausländerpolitik quergedacht – und eine Welle der Empörung ausgelöst. „Stimmenfang im rechten Sumpf“, wirft ihm Linken-Chefin Katja Kipping vor. Selbst Parteifreunde gehen auf Distanz. Schleswig-Holsteins Bildungsministerin Karin Prien etwa spricht nennt die Einlassungen des Wirtschaftsexperten „populistischen Unfug“.
Grund des geballten Ärgers ist Linnemanns Idee, Migrantenkinder mit schlechten Sprachkenntnissen später einzuschulen. „Ein Kind, das kaum Deutsch spricht und versteht, hat auf einer Grundschule noch nichts zu suchen“, sagte er der "Rheinischen Post". Hier müsse eine „Vorschulpflicht greifen“, notfalls sei die Einschulung zurückzustellen. Dpa machte daraus den Ruf nach einem „Grundschulverbot“. Zwar zog die Nachrichtenagentur das später als „zu weitgehende Wiedergabe“ von Linnemanns Worten zurück, die Aufregung aber war da.
Lehrerverband gibt dem Politiker teilweise Recht
Zumal der promovierte Volkswirt aus Paderborn in der Union kein Unwichtiger ist. Seit 2013 leitet er ihren Wirtschaftsflügel im Bundestag, seit einem Jahr fungiert er zudem als Fraktionsvize.
Tatsächlich war Linnemanns Zitat so auch nicht vollständig. Er hatte noch hinzugefügt, dass die von ihm verlangte Vorschulpflicht zwar Geld koste, aber fehlende Integration und unzureichende Bildung „am Ende viel teurer“ seien. Und der Deutsche Lehrerverband gibt dem CDU-Politiker teilweise Recht. Grundlegende sprachliche Förderung müsse vor der Grundschule erfolgen.
Andere Bildungsexperten warnen vor Exklusion. Und nicht nur, dass die Stimmung wegen der Dauerhetze der AfD enorm aufgeheizt ist: Linnemann hat natürlich auch gewusst, wo er hineinstochert. Schließlich ist er beim Thema Migrationschon länger mit rechtskonservativer Positionierung unterwegs.
"Der politische Islam gehört nicht zu uns"
Vor zwei Jahren verlangte er zusammen mit Julia Klöckner und Jens Spahn ein Islamgesetz zur Festschreibung von Rechten und Pflichten der Muslime im Land. Sein jüngstes Buch, gemeinsam herausgegeben mit dem früheren bayerischen Justizminister Winfried Bausback, trägt den Titel „Der politische Islam gehört nicht zu uns“.
Auch bei seinem aktuellen Vorstoß bleibt Linnemann nicht bei den Schul- und Sprachproblemen. Er warnt gleichzeitig vor neuen Parallelgesellschaften, erinnert an "die Vorfälle in Freibädern, die Tat auf dem Frankfurter Bahnsteig, die Schwertattacke in Stuttgart", betont, dass das alles die Menschen aufwühle und man weiteren Vorkommnissen dieser Art vorbeugen müsse.
Initiator von Flexi-Rente und Soli-Abbau
Dabei ist Linnemann auch auf anderen Themenfeldern aktiv. Er gilt als Initiator der Flexi-Rente, verlangte ein „Gesellschaftsjahr“ für Schulabgänger in sozialen Einrichtungen oder Bundeswehr.
Und er setzte beim Parteitag der CDU im vergangenen Dezember zwei denkwürdige Beschlüsse durch: den vollständigen Abbau des Solidaritätszuschlages bis 2021 sowie die Abschaffung der doppelten Sozialbeiträge auf Betriebsrenten. Letzteres liegt allerdings aufgrund der hohen Kosten bei der Regierung weiter auf Eis.
Kritik auch an der Führung des Wirtschaftsflügels
In liberalen Unionskreisen jedenfalls ist die Kritik an dem CDU-Politiker trotz oder wegen seiner Umtriebigkeit gewachsen. Linnemann versuche, themenfremd populistisch zu punkten, heißt es. Dabei vernachlässige er seinen eigentlichen Job, dem mitgliederstarken Wirtschaftsflügel der Union im politischen Ringen angemessen Geltung zu verschaffen.
Womöglich erklärt dieses in der Union empfundene Vakuum ja auch die Sehnsucht nach dem Wiederaufstieg eines gewissen Friedrich Merz.