Übergang in die Rente: Einigung nach einer halben Ewigkeit
Mit der Flexi-Rente will die Koalition das Signal setzen, dass längeres Arbeiten sich lohnt. Dass diese eingeführt wurde, liegt auch am Frust der Unions-Wirtschaftspolitiker über die abschlagsfreie Rente mit 63.
Die Tinte unter dem Koalitionsvertrag zwischen Union und SPD war gerade getrocknet, da beschwerte der CDU-Politiker Carsten Linnemann sich schon über das Rentenpaket. Die von den Sozialdemokraten durchgesetzte Rente mit 63 sei eine „dicke Kröte“, schimpfte der Vorsitzende der Mittelstandsvereinigung der CDU/CSU. Sie bürde kommenden Generationen nicht nur erhebliche Lasten auf, sondern setzte in einer älter werdenden Gesellschaft ein „völlig falsches Signal“. Nämlich das Signal, dass es sich lohne, vorzeitig aus dem Berufsleben auszusteigen.
Doch das Rentenpaket der großen Koalition war da schon längst nicht mehr verhandelbar. Die Spitzen von Union und SPD hatten angesichts der gut gefüllten Rentenkassen den für beide Seiten bequemen Weg gewählt: Die Union bekam die Mütterrente, für die sie im Wahlkampf geworben hatte. Die SPD konnte im Gegenzug ihr Wunschprojekt durchsetzen: die abschlagsfreie Rente mit 63, für die sich auch große Gewerkschaften wie die IG Metall stark gemacht hatten.
Doch das laute Murren aus der Union hielt auch während des Gesetzgebungsverfahrens zur Rente mit 63 an, das Bundessozialministerin Andrea Nahles (SPD) Anfang 2014 auf den Weg brachte. Auf Druck des Unions-Wirtschaftsflügels verabredeten die Koalitionsspitzen damals, die Übergänge in den Ruhestand flexibler gestalten und Anreize für längeres Arbeiten setzen zu wollen. Der CDU-Mittelstandpolitiker Linnemann erfand den wohlklingenden Namen „Flexi-Rente“.
Der finanzielle Spielraum für die Flexi-Rente war nicht groß
Doch bis zu deren Ausarbeitung dauerte es dann doch noch eine Weile. Das Problem war: Nachdem die große Koalition die Mütterrente und die Rente mit 63 auf den Weg gebracht hatte, blieb finanziell kaum Spielraum für weitere Reformen. Schließlich kostet das Rentenpaket geschätzt 60 Milliarden Euro bis zum Jahr 2020. Erschwerend kam hinzu, dass die Fachpolitiker von Union und SPD sich unter dem Namen „Flexi-Rente“ jeweils etwas ganz anderes vorstellten. Zwischenzeitlich stand deshalb das gesamte Vorhaben auf der Kippe.
Die SPD forderte eine Teilrente ab 60
So regten die SPD-Unterhändler an, Arbeitnehmern auch schon vor dem regulären Rentenalter mit flexibleren Regeln entgegen zu kommen. Sie forderten, die Altersgrenze für den Bezug einer Teilrente von derzeit 63 Jahren auf 60 Jahre zu senken. Die Teilrente ermöglicht es Arbeitnehmern, ihre Arbeitszeit im Alter zu reduzieren und gleichzeitig bereits einen Teil ihrer Rente zu beziehen. Doch die Union lehnte Veränderungen bei der Altersgrenze rigoros ab – nicht zuletzt aus Sorge vor Schlagzeilen, dass die Koalition nach der Rente mit 63 nun für die Rente mit 60 eintrete. CDU und CSU wiederum machten sich dafür stark, dass sich das Weiterarbeiten auch nach dem Beginn des gesetzlichen Rentenalters lohnt. Sie wollten ursprünglich Arbeitgeber noch stärker bei den Sozialbeiträgen entlasten, wenn sie Ältere beschäftigen. Das wiederum stoppte die SPD mit Blick auf die Kosten. Der nun gefundene Kompromiss sieht vor, dass es von allem ein bisschen gibt: So bleiben die finanziellen Entlastungen für Arbeitgeber bei den Arbeitslosenbeiträgen überschaubar und zeitlich begrenzt. Außerdem werden die Hinzuverdienstregeln bei der Teilrente etwas flexibler, ohne dass die Altersgrenze angetastet wird.
Was die Flexi-Rente in der Praxis bringt, ist umstritten
Ob die Änderungen in der Praxis etwas bringen, ist allerdings umstritten. Der Grünen-Rentenexperte Markus Kurth kritisierte, dass Beschäftigte mit gesundheitlichen Problemen auch weiterhin kaum von der Möglichkeit Gebrauch machen können, ihre Arbeitszeit zu reduzieren. „Dafür sind die vorgesehenen Regelungen zur Teilrente viel zu kompliziert“, sagte Kurth. Auch für Personen, die jünger als 63 Jahre seien, böten Union und SPD keine Lösung an. Das bemängelt auch der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB). Die Teilrente müsse ab dem 60. Lebensjahr möglich sein, „damit der gleitende Ausstieg aus dem Arbeitsleben auch gelingen kann, wo er nötig ist“, forderte DGB-Vorstandsmitglied Annelie Buntenbach. Der Rentenexperte der Linksfraktion, Matthias Birkwald, hält die zusätzliche finanzielle Förderung für Menschen, die über die Regelaltersgrenze hinaus arbeiten, für überflüssig. „Sie werden heute schon mit Zuschlägen belohnt.“ Er äußerte zudem die Befürchtung, dass jüngere Arbeitnehmer künftig gegen „billigere“ Ältere ausgespielt werden, wenn für diese der Arbeitslosenbeitrag wegfalle. Die Arbeitgeberverbände hingegen hätten sich noch mehr Erleichterungen gewünscht. Dazu hätte die Beseitigung von arbeitsrechtlichen Hemmnissen bei der erneuten Beschäftigung von ehemaligen Mitarbeitern im Rentenalter gehört, teilte die BDA mit. Skeptisch über die Wirksamkeit der neuen Flexi-Rente zeigte sich selbst die Deutsche Rentenversicherung: Die neuen Regelungen zum Hinzuverdienst seien in der geplanten Ausgestaltung „wenig geeignet, Beschäftigte zu veranlassen, länger im Erwerbsleben zu bleiben“, heißt es dort.