Ein Genosse auf Linie von Björn Höcke: Extreme Wortmeldungen bringen Linke in die Bredouille
Linke-Parteimanager Jörg Schindler rügt „obskure Einzelbeiträge“ auf der Strategiekonferenz in Kassel. Es gibt ein erstes Parteiausschlussverfahren.
Jens W., Mitglied der Linken im Kreisverband Wolfsburg, lieferte vor der Strategiekonferenz der Linkspartei eine Wortmeldung der besonders radikalen Art. „Querfront muss kein Schimpfwort sein“, schrieb er in einem Beitrag für die Tagung am 29. Februar und 1. März in Kassel.
Entsprechend empfahl er Bündnisse von AfD und Linkspartei mit dem Argument, dass vor ihnen „das Kapital und die Herrschenden wirklich Angst haben müssen“.
Genosse W. findet sich nun wieder im Reader zu der Konferenz, den Bundesgeschäftsführer Jörg Schindler zu der Tagung vorgelegt hatte. Der Parteimanager leitete die Sammlung von Texten - insgesamt rund 300 - ein mit der Bemerkung, deren Vielzahl sei „ein sehr gutes Signal“.
Die Partei debattiere demokratisch, transparent und engagiert, schrieb Schindler. Die Texte seien nicht lektoriert worden. „Es macht mich stolz, dass in unserer Partei so viele kluge Köpfe Mitglied sind“, heißt es weiter im Vorwort der 565 Seiten umfassenden Artikelsammlung.
Am Montag vor der Presse wirkte Schindler kleinlauter. Seit Tagen wird - weit über die Partei hinaus - diskutiert, wie weit die Meinungsfreiheit bei der Linken gehen darf. Auslöser der Diskussion war zunächst ein Video mit dem Redebeitrag einer Genossin aus Berlin, das die ganze Partei in Erklärungsnot brachte und zu einer Welle von Distanzierungen führte.
Die junge Frau hatte über das Erschießen von Reichen schwadroniert, Parteichef Bernd Riexinger vom Podium das zum Verdruss vieler Genossen äußerst flapsig - für viele: zu flapsig - kommentiert.
Aber dies war längst nicht der einzige hochproblematische Beitrag zu der Tagung, die die Linke doch eigentlich inhaltlich voranbringen und Beweise für ihre Regierungsfähigkeit liefern sollte. Und die nebenbei auch als Schaulaufen gedacht war für potenzielle Bewerber für die Linken-Führung, die im Juni auf einem Parteitag in Erfurt neu gewählt werden soll.
Die Partei kritisiert nicht die Redner, sondern das „mediale Echo“
Die Selbstkritik der Partei hält sich bis dato allerdings in Grenzen. Zwar wurde im geschäftsführenden Parteivorstand am Montag ausführlich diskutiert. Schindler - der in Vertretung für die eigentlich angekündigte Parteichefin Katja Kipping auftrat - kritisierte anschließend aber vor allem das „mediale Echo“ auf die Kasseler Konferenz und die dort getätigten Aussagen. Und sagte, dass „radikale Einzelmeinungen skandalisiert“ worden seien.
Diejenigen, die der Linken übel wollten, hätten sowohl in der Textsammlung zur Konferenz als auch auf der Tagung selbst Beispiele gefunden, „die sich skandalisieren lassen“. Es handele sich jedoch um „abwegige Positionen“ und „obskure Einzelbeiträge“. Diese seien nicht entscheidend für die Positionen der Partei, die im 2011 beschlossenen Erfurter Parteiprogramm und im Bundestagswahlprogramm niedergelegt seien.
Vor dem Hintergrund der „autoritären Parteitradition der SED“, wie Schindler es ausdrückt, hat sich die Linkspartei besonders hohe Hürden auferlegt, bevor sie zum Mittel des Parteiausschlusses greift - und der ist überhaupt die einzige denkbare Ordnungsmaßnahme.
Parteiausschlussverfahren gegen Genossen aus Wolfsburg
Das aber führt dazu, dass sogar rechtsradikale Genossen wie Jens W. aus Wolfsburg auf dem Ticket der Linkspartei agitieren. Der Kreisvorstand Wolfsburg aber reagierte in diesem Fall rasch - und entschied noch am Montagabend, ein Parteiausschlussverfahren einzuleiten. Die Kreisvorsitzenden Anne Zimmermann und Ilario Ricci teilten dm Tagesspiegel mit, insbesondere mit seinen im Internet verbreiteten Auffassungen habe W. „gegen die Grundsätze unserer Partei verstoßen“. Weiter heißt es: „Wir gehen davon aus, dass dies auch vorsätzlich durch das Mitglied erfolgt ist.“ W. sei in seinem Kreisverband zuvor „nicht persönlich bekannt gewesen“, deshalb habe man „dessen politische Meinung im Detail nicht wissen“ können.
Auf Facebook hatte Jens W. - unabhängig von seinem Beitrag zur Strategiekonferenz - seit Monaten Töne angeschlagen, die nicht zur Parteilinie passen. Nach dem Auftritt von Björn Höcke am 17. Februar bei Pegida in Dresden teilte er in dem sozialen Netzwerk einen Beitrag des ultrarechten thüringischen AfD-Chefs.
Er schwärmte vom „nicht enden wollenden Menschenstrom“ beim Aufmarsch der rassistischen Bewegung. Und kommentierte: „Die Revolution gegen das Merkel-Regime und seine polit-medialen Stiefellecker hat schon begonnen.“
Zuvor hatte er am 5. Februar die Wahl des FDP-Politikers Thomas Kemmerich als Ministerpräsident von AfD-Gnaden mit den Worten begrüßt: „Es gibt doch noch Demokratie in Deutschland!“ Die Kandidatur des Linken-Politikers Bodo Ramelow für das Amt des thüringischen Regierungschefs nannte er den Versuch, einen „Putsch gegen das eigene Volk“ zu exekutieren.
„Wir haben keine Gedankenpolizei“
Die Linken-Führung hatte die Konferenz in Kassel - mit Ramelow als Teilnehmer - zunächst äußerst positiv bewertet. Die Parteivorsitzende Katja Kipping sprach von „zwei guten Tagen des Miteinanderredens“. Ihr Ko-Chef Riexinger sagte, in Kassel habe sich die Linke gezeigt als „Bewegungspartei“, die die „verschiedenen Kämpfe“ zusammenführe. Das Abschlusspodium nannte er „grandios“.
Parteimanager Schindler verteidigte das Konzept der Strategiekonferenz am Montag mit den Worten: „Die Linke ist eine pluralistische Partei.“ In ihr vertreten seien unterschiedliche Traditionen und unterschiedliche Meinungen. Es sei „in Ordnung“, wenn nicht jedes Mitglied in jedem Punkt mit dem Programmen der Partei einverstanden sei. „Wir haben keine Gedankenpolizei, die Mitglieder auf Linie bringen könnte.“
Die Spielräume der innerparteilichen Debatte hat die Linke auf ihrer Tagung extrem weit ausgeschöpft - von Klassenkampf über Querfront-Positionen bis DDR-Nostalgie. Genossen warnten vor einer „Verleumdung der DDR“.
Im Strategie-Reader heißt es dazu: „Die Schüsse an der Grenze waren die Antwort auf die Politik der BRD und ihrer Verbündeten, die DDR durch die Abwanderung ihrer Bürger auf die Knie zu zwingen.“
Und Inge Höger, nordrhein-westfälische Landesvorsitzende und frühere Bundestagsabgeordnete, sagte: „Wir müssen zusammen mit der Arbeiterklasse - wir müssen auch mal wieder von Klasse reden - einen radikalen Systemwechsel hinbekommen und dafür ist natürlich notwendig, dass wir die Energieindustrie vergesellschaften, dass wir auch die Autoindustrie vergesellschaften, dass wir die Eigentumsfrage wieder stellen.“
Matthias Meisner