Präsidentschaftswahl in Polen: Es steht viel auf dem Spiel – für Deutschland und für Europa
Amtsinhaber Duda gewinnt, aber erleidet einen Rückschlag. Herausforderer Trzaskowski schneidet besser ab als erwartet. Die Stichwahl wird eng. Eine Analyse.
Die erste Runde der polnischen Präsidentschaftswahl endet wie der sprichwörtliche „Cliffhanger“ in einer TV-Serie: ein dramatischer Moment. Alles ist möglich. Nichts ist sicher.
Sehr viel steht auf dem Spiel: für Polen, für die deutsch-polnische Nachbarschaft, für die EU – samt der deutschen Ratspräsidentschaft, die am Mittwoch beginnt.
Amtsinhaber Andrzej Duda hat großen Vorsprung, muss aber in die Stichwahl. Er ist tief gefallen. Im Mai konnte er noch auf Anhieb mit einer absoluten Mehrheit rechnen. Nun hat er laut Exit-Polls und Hochrechnungen gut 42 Prozent erzielt. Das ist der obere Bereich seines Potenzials in den Umfragen, die ihm 40 bis 43 Prozent vorhersagten, und reicht für eine klare Führung unter einem knappen Dutzend Rivalen in der ersten Runde. Aber reicht es auch für einen Sieg in der Stichwahl in zwei Wochen gegen den proeuropäischen Oberbürgermeister vom Warschau, Rafal Trzaskowski, der dann der einzige Kandidat der Opposition sein wird? Der Blitzbesuch bei US-Präsident Donald Trump, mit dem sich Duda Rückenwind verschaffen wollte, hat ihm keinen erkennbaren Vorteil gebracht.
Warschaus Oberbürgermeister Rafal Trzaskowski, der erst im Mai seine Kandidatur erklärte, ist als „frisches Gesicht“ zum wichtigsten Herausforderer geworden und hat die Konkurrenten aus den diversen Oppositionsparteien von Links über Liberal bis Konservativ mit gehörigem Abstand auf die Plätze verwiesen. Er erzielte demnach über 30 Prozent: Das ist leicht oberhalb der Werte von 27 bis 30 Prozent, die ihm die Umfragen prognostizierten.
Die Wahlbeteiligung als Fingerzeig
Wenn das Endergebnis, das erst am Dienstag erwartet wird, die Exit Polls und Hochrechnungen bestätigt, ergäbe sich ein interessanter Fingerzeig. Im vergangenen Jahrzehnt hat zumeist die nationalkonservative Regierungspartei PiS, aus der Amtsinhaber Duda stammt, in Wahlen besser abgeschnitten als in Umfragen. Wahlabende endeten enttäuschend für die PiS-Gegner. Ist das 2020 anders? Und gilt dieses Indiz für die zweite Runde am 12. Juli, für das die Umfragen ein Kopf-an-Kopf-Rennen erwarten lassen?
Das hängt auch von der Wahlbeteiligung ab. Bei der letzten Präsidentschaftswahl 2015 hatten 55 Prozent der Wahlberechtigten teilgenommen. Nun waren es 63 Prozent. Der Anstieg war erwartet worden. Die Polinnen und Polen interessieren sich wieder mehr für Politik und glauben, dass ihre Stimme einen Unterschied machen kann. Die offene Frage war jedoch: Wem nützt die höhere Beteiligung – Amtsinhaber Duda oder dem Herausforderer Trzaskowski?
Das lässt sich noch nicht sicher beantworten, aber die Wahrscheinlichkeit ist gewachsen, dass Trzaskowski den größeren Nutzen von dieser Dynamik hat.
Werben um die Anhänger der Rechtsextremen
Die beiden Teilnehmer der Stichwahl haben ihre ersten Stellungnahmen zu den Ergebnissen genutzt, um um die Anhänger der ausscheidenden Kandidaten zu werben. Duda wandte sich explizit an die Anhänger der extrem nationalistischen Konfederacja. Ihr Kandidat Krzysztof Bosak (7,4 Prozent laut Exit Polls) wolle doch im Grunde das Gleiche wie er, Duda: ein stolzes Polen, das sich niemandem beugen müsse. Rein rechnerisch könnte die Summe aus Dudas plus Bosaks Ergebnis aus der ersten Runde reichen. Das Werben um Nationalisten bedeutet nicht, dass Duda ein verkappter Extremist ist. Sondern zeigt, wie groß die Angst vor der Niederlage in Dudas Tema bereits ist. Nur: So simpel funktioniert Politik nicht. Ein Großteil der Bosak-Leute lehnt Duda kategorisch ab. Auch Bosak lehnte es am Sonntagabend ab, zur Wahl von Duda aufzurufen.
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Vor dieser Herausforderung steht auch Trzaskowski. Wer in der ersten Runde nicht für Duda stimmte – und das waren weit über 50 Prozent -, ist noch lange nicht bereit, an der Stichwahl teilzunehmen und Trzaskowski die Stimme zu geben. Er muss um sie werben. Was er dabei auf der einen Seite hinzugewinnt, kann er auf der anderen Seite verlieren. Doch er hat bisher einen professionellen und erfolgreichen Wahlkampf geführt. Und manchmal macht das den Unterschied: an den Sieg zu glauben und weniger Angst vor Fehlern zu haben. "Mit so einem Ergebnis kann man in den Kampf um Polen ziehen", war seine erste Reaktion.
Es wird knapp am 12. Juli. Ein paar tausend Stimmen können den Unterschied machen. Aber – und das ist neu: Die Opposition hat erstmals seit 2015 eine reale Chance, die Machtverhältnisse zu kippen.
Eine Schicksalswahl für Deutschland und Europa
Das ist wichtig: für Deutschland und für Europa. Der Ausgang der Präsidentenwahl in Polen wird die Bedingungen für deutsch-polnische Nachbarschaft in den nächsten fünf Jahre bestimmen und kann tektonische Auswirkungen auf die Zukunft der EU haben. Strebt Polen eine möglichst effektive Zusammenarbeit an oder lebt es nationale Egoismen aus?
Polens Präsident hat viel mehr Macht als ein Bundespräsident, wenn auch weniger als ein amerikanischer oder französischer Präsident. Er unterzeichnet die Gesetze oder legt sein Veto ein. Er ernennt die obersten Richter. Er lässt die Regierung gewähren oder tritt ihr entgegen.
Sollte die PiS diese entscheidende Machtposition verlieren, hätte dies enorme Auswirkungen: auf die Konflikte um Rechtsstaat, Gerichte und Medienfreiheit zwischen der EU und Polen. Und auf den Verlauf der deutschen EU-Ratspräsidentschaft, die am Mittwoch beginnt.
Auswirkungen auf die deutsche EU-Präsidentschaft
Ein Beispiel: Im Streit um das von der Kommission beantragte Billionen-Budget schauen die meisten Beobachter in Deutschland auf den Konflikt zwischen dem „sparsamen“ Norden und dem Süden, der mehr finanzielle Solidarität einfordert. Kaum jemand fragt nach der Haltung der noch relativ jungen EU-Mitglieder im Osten; dabei stellen die zehn der 27 Mitglieder. Und Polen ist unter ihnen der mit Abstand gewichtigste Staat.
Was macht ein „Cliffhanger“, wenn er seinen Zweck erfüllt? Er erhöht die Einschaltquoten. Ob es in den zwei Wochen bis zum 12. Juli so kommt, hängt nicht von den Polen ab. Sondern vom Interesse der Deutschen und anderer Europäer.