zum Hauptinhalt
Der türkische Präsident Recep Tyyip Erdogan 2014 bei einem Auftritt in Köln.
© Oliver Berg/dpa

Streit um Wahlkampfauftritte türkischer Politiker: "Erdogan stellt die Machtfrage in Deutschland"

Angela Merkel will den Konflikt mit der Türkei nicht eskalieren lassen, doch eigene Leute drängen sie zu mehr Härte. Der türkische Außenministers gießt noch Öl ins Feuer.

Der Kurs der Bundesregierung, trotz provokativer Attacken aus der Türkei weiter auf Deeskalation zu setzen, gerät aus den eigenen Reihen unter Druck. Bundestagsvizepräsident Johannes Singhammer (CSU) forderte von Kanzlerin Angela Merkel (CDU), türkischen Wahlkampf hierzulande für unerwünscht zu erklären. Die Türkei würde dann von sich aus kaum noch Auftritte in Deutschland anstreben, sagte Singhammer.

Zugleich verlangte er von der EU, die Milliarden- Hilfe für die Türkei zur Demokratisierung des Landes zu stoppen. Das Ziel sei bereits verfehlt worden, mit dieser Heranführungshilfe an die EU Rechtsstaatlichkeit und Meinungsfreiheit voranzubringen. Deshalb sollte sie beim EU-Gipfel am Donnerstag in Brüssel beendet werden. "Wir wollen keinen Wahlkampf auf deutschem Boden", meinte der CSU-Mann: "Erdogan stellt die Machtfrage in Deutschland."

Nach Präsident Recep Tayyip Erdogan warf auch der türkische Außenminister Mevlüt Cavusoglu Deutschland Nazi-Methoden vor. Mit jeder öffentlichkeitswirksamen Attacke aus der Türkei dürfte es aber für Merkel schwerer werden, ihren Deeskalationskurs zu verteidigen, den ihr Kritiker schon als Schwäche auslegen. Am Montag hatte die CDU-Chefin im Parteipräsidium Forderungen nach einer härteren Antwort zurückgewiesen. Ihr Argument: Wer glaubhaft Meinungsfreiheit in anderen Ländern fordere, dürfe sie nicht im eigenen Land für türkische Regierungspolitiker einschränken.

Der türkische Außenminister Cavusoglu erhob schwere Vorwürfe gegen Deutschland, nachdem am Montag Hamburger Behörden eine Veranstaltung mit ihm wegen Brandschutzmängeln abgesagt hatten. "Das ist ein total repressives System", sagte er der Zeitung "Hürriyet": "Alle Praktiken ähneln denen der Nazi-Zeit. Sich machen Druck, damit für die AKP ein Nein herauskommt." Das werde ihn nicht stoppen: "Niemand kann verhindern, dass wir mit unseren Bürgern zusammenkommen."

Hamburgs Bürgermeister Olaf Scholz (SPD) hatte zuvor die Linie der Bundesregierung bekräftigt, wonach auch Cavusoglu wie andere türkische Politiker nicht am Reden vor Deutschtürken zum geplanten Verfassungsreferendum gehindert werden solle. Offenbar ohne Anweisung von oben inspizierte dann das Hamburger Bezirksamt Mitte die Halle, in der Cavusoglu auftreten sollte, und sperrte sie. Im türkischen Wahlkampf scheint das Verständnis für die ohnehin komplizierten Rechte und Pflichten deutscher Lokalbehörde nicht sehr ausgeprägt zu sein - die türkische Seite wertete die Absage jedenfalls als Provokation. Cavusoglu fand einen Ausweg: Er wollte am Dienstagabend in der Residenz des türkischen Generalkonsuls in Hamburg sprechen.

Öffentlich aggressiv, im Gespräch diplomatisch

Ungeachtet seiner polemischen Attacken bekräftigte der türkische Außenminister seinen Plan, am Mittwoch mit seinem deutschen Kollegen Sigmar Gabriel (SPD) in Berlin zu treffen. Er habe einen am Mittwoch einen Termin "mit meinem Freund Sigmar Gabriel", erklärte er am Dienstag in Istanbul. Er werde mit Gabriel "unter vier Augen" sprechen. "Wir wollen nicht, dass unsere Beziehungen zu irgendeinem Land einschließlich Deutschlands schlecht sind, aber wenn man eine feindliche Haltung uns gegenüber einnimmt, dann müssen wir natürlich die nötige Antwort geben", sagte er.

Sein Interesse an guten Beziehungen zu Deutschland hatte Cavusoglu schon Ende vergangene Woche erklärt, nachdem der türkische Präsident Erdogan Deutschland wegen der Absage von Auftritten seiner Minister erstmals Nazi-Methoden vorgeworfen hatte. Am Freitag telefoniert Gabriel mit seinem Kollegen in Ankara. Beide Seiten unterstrichen in dem Gespräch ihren Willen, den Kontakt aufgrund der aktuellen Belastungen im deutsch-türkischen Verhältnis noch enger werden zu lassen und einer weiteren Eskalation vorzubeugen.

Die Diskrepanz zwischen öffentlicher Erregung und gemäßigteren Einlassungen im direkten politischen Kontakt ist ein starkes Indiz dafür, dass Cavusoglu und andere AKP-Politiker im Wahlkampf den Konflikt mit Deutschland gezielt hochfahren, um Stimmung zu machen.

Nach Ansicht der Integrationsbeauftragten der Bundesregierung, Aydan Özoguz (SPD), verfängt Erdogans Taktik in Deutschland vor allem bei Türkischstämmigen, die sich zurückgewiesen fühlen. Zwar stehe nur eine Minderheit der Deutschtürken im Streit um Auftritte auf Erdogans Seite. Bei einigen Deutsch-Türken merke man aber, "dass da richtig etwas aufbricht, was Erdogan eben gut bedient, indem er sagt: ;Schaut mal, ich bin der starke Mann, ich zeige denen jetzt mal, wo's lang geht!'“, sagte sie im SWR.

Der Tagesspiegel kooperiert mit dem Umfrageinstitut Civey. Wenn Sie sich registrieren, tragen Sie zu besseren Ergebnissen bei. Mehr Informationen hier.

Zur Startseite