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"Ich werde die Welt aufstehen lassen." Türkeis Präsident Recep Tayyip Erdogan am Sonntag im Fahnenmeer seiner Anhänger.
© AFP

Nazi-Vorwürfe gegen Deutschland: Erdogan - ein Präsident ohne jedes Maß

Der türkische Präsident Erdogan wirft Deutschland Nazi-Praktiken vor und stößt wilde Drohungen aus. Ein türkischer Minister tritt in Köln und Leverkusen auf. Über Belastungsproben für das deutsch-türkische Verhältnis.

Die Bemühungen von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) um eine Mäßigung im Streit mit der Türkei hat Präsident Recep Tayyip Erdogan mit einem Nazi-Vergleich beantwortet. „Deutschland, du hast in keinster Weise ein Verhältnis zur Demokratie und du solltest wissen, dass deine derzeitigen Praktiken keinen Unterschied machen zu den Praktiken in der Nazi-Zeit“, sagte Erdogan bei einer Veranstaltung in Istanbul. „Ihr erteilt uns Lektionen in Demokratie, aber ihr lasst unsere Minister keine Reden halten“, sagte er. „Wir werden über Deutschlands Verhalten auf der internationalen Bühne sprechen und wir sie vor den Augen der Welt beschämen. Wir wollen die Nazi-Welt nicht mehr sehen. Nicht ihre faschistischen Taten. Wir dachten, dass diese Ära vorbei wäre, aber offenbar ist sie es nicht“, fügte Erdogan hinzu.

Später geriet er weiter völlig außer sich: „Wenn ich will, komme ich nach Deutschland. Wenn Ihr mich an der Tür stoppt und mich nicht sprechen lasst, werde ich die Welt aufstehen lassen.“

Bisher gab es keine Angaben darüber, ob oder wann er in Deutschland eine Wahlkampfrede halten will.

Während die Bundesregierung die Vorwürfe Erdogans nicht kommentierte, griffen Unionspolitiker Erdogan heftig an. „Das ist ein unglaublicher und nicht akzeptabler Vorgang, dass der Präsident eines Nato-Mitglieds sich so über ein anderes Mitglied äußert“, sagte Unions-Fraktionschef Volker Kauder in der ARD. „Und vor allem einer, der mit dem Rechtsstaat ja erhebliche Probleme hat.“ Ein Verbot eines möglichen Deutschland-Besuchs von Erdogan sieht Kauder kritisch. „Ich bleibe dabei, dass wir genau nicht in diese Falle tappen dürfen“, sagte er. Man dürfe nicht machen, was Erdogan tue, „nämlich Grundrechte zu beschneiden“. Ihm müsse aber klar gemacht werden, dass solche Formulierungen nicht auf deutschem Boden geduldet würden. CDU-Vize Julia Klöckner sagte „Bild“: „Herr Erdogan reagiert wie ein trotziges Kind, das seinen Kopf nicht durchsetzen kann.“ Der Nazi-Vergleich sei „ein neuer Höhepunkt der Maßlosigkeit. Er ist schlicht unverschämt“, erklärte sie.

Empörte Reaktionen

Bereits am Freitagabend hatte Erdogan empörte Reaktionen in Deutschland ausgelöst, als er den Journalisten Deniz Yücel, der von den türkischen Behörden seit gut zwei Wochen festgehalten wird, als einen deutschen Agenten und PKK-Mitglied bezeichnete. Zudem hatte er deutschen Amtsträgern wegen der Verbote von Politiker-Auftritten Beihilfe zum Terrorismus vorgeworfen. In seiner gestrigen Rede legte er noch einmal nach und bezeichnete Yücel als „Terroristen“.

Die Debatte, ob türkische Regierungsmitglieder in Deutschland und anderen europäischen Ländern Wahlkampfreden halten dürfen, geht in diesen Ländern in vollem Umfang weiter. Der österreichische Kanzler Christian Kern fordert ein EU-weites Verbot dieser Auftritte. Sowohl in Österreich als auch den Niederlanden wurden die Besucher für unerwünscht erklärt. In Deutschland ist es Sache der Kommunen, welche Veranstaltungen sie in eigenen Räumlichkeiten zulassen.

Bundesaußenminister Sigmar Gabriel stellte klare Bedingungen für Auftritte türkischer Politiker. „Wer bei uns reden will, muss uns nicht nach dem Mund reden, aber er muss unsere Regeln respektieren“, schrieb er in einem vor Erdogans Attacken veröffentlichten Gastbeitrag in der „Bild am Sonntag“. Es gehöre zum gegenseitigen Respekt, Maß und Mitte einzuhalten.

Der türkische Außenminister Mevlut Cavusoglu kündigte trotz der Kritik aus Deutschland und den Niederlanden an, Politiker seines Landes würden dort weiterhin auftreten. „Keiner von euch kann uns daran hindern“, sagte er in der Südtürkei. „Wir können überall hingehen, wo wir wollen, unsere Bürger treffen, unsere Treffen abhalten“. Cavusoglu will noch in dieser Woche mit Gabriel über die Spannungen sprechen.

Nach der Absage von Veranstaltungen in Frechen und in Köln ist es dem türkischen Wirtschaftsminister Nihat Zeybekçi doch noch gelungen, Auftritte im Rheinland zu organisieren. Es handelte sich um privat organisierte Veranstaltungen. Bei einem Konzertbesuch in Leverkusen am Sonntag verzichtete er auf politische Aussagen. „Es gab Spekulationen um meinen Auftritt“, sagte der 56-Jährige in einem Grußwort. „Ich möchte es mal so sagen: Ich bin hergekommen, um Freude zu bereiten.“ Auch die Besucher des Konzerts äußerten sich nicht politisch. Wenn der Minister sich zu aktuellen politischen Fragen äußern wolle, dann sei das aber auch nicht schlimm, sagte ein Mann, der aus Oberhausen angereist war. Er sei für das Präsidialsystem und verstehe die Aufregung nicht. „Als Erdogan vor drei Jahren in Köln war, habt ihr euch auch nicht so aufgeregt“, sagte er. Die Türkei stehe vor wichtigen Reformen, das müsse man doch auch in Deutschland verstehen. Über Pressefreiheit und inhaftierte Journalisten wie Deniz Yücel mochte der Mann nicht reden.

Verschwörungstheorien

Als der Wirtschaftsminister am Abend in einem Hotel in Köln auftritt, beginnt er seine Rede damit, dass er ein Geschenk mitgebracht habe: Die Grüße von Erdogan. Die versammelten AKP- Fans quittieren dies mit Jubel. Dann schlägt er versöhnliche Töne an. Es sei schön, bei Freunden in Deutschland zu sein. Dafür erntet er einige Lacher. In einem geschichtlichen Abriss spricht er über die Entwicklung der Türkei und darüber, dass schlechte Kräfte einen Plan für das Land hätten. Damit dieser böse Plan nicht erfüllt werde, brauche es die AKP mit einem starken Präsidenten Erdogan. In verschwörungstheoretischer Manier setzte Zeybecki die Rede fort und sprach über einen ehemaligen Minister der in den USA studiert hatte und Schweizer Banken. Diese seien Teil des Plans gegen die Türkei, den nur Erdogan beenden könne. Der Wirtschaftsminister gilt als Hardliner. Über kurdische HDP-Politiker sagte er, diese seien „Kanalratten“. Vor seiner Reise nach Deutschland sagte Zeybekçi, er werde notfalls von „Kaffeehaus zu Kaffeehaus“ und „Tür zu Tür“ ziehen. Außerdem sprach er vom „Sieg Allahs“, in dessen Auftrag er unterwegs sei.

In einer Emnid-Umfrage beklagten 81 Prozent der Deutschen, die Bundesregierung lasse sich von der Türkei zu viel gefallen. Knapp die Hälfte wünscht eine Kündigung des EU-Flüchtlingsabkommens mit der Türkei. (mit rtr/dpa/AFP)

Sebastian Weiermann

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