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EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen (Archivbild)
© Reuters/Johanna Geron/Pool

EU muss große Konflikte lösen: Energie, Migration, Polen – lässt sich die Eskalation noch verhindern?

Diese Woche könnte richtungsweisend werden für die EU. Sie sollte Streitpunkte endlich klären. Sonst ist der Wettbewerb mit China verloren. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Christoph von Marschall

Wie steht’s um Europa 18 Monate nach Ausbruch der Pandemie: Hat die EU die Krise als Chance genutzt, oder hat sich ihr Rückstand an realer Handlungsfähigkeit gegenüber China, Russland und den USA verschärft?

Heute beginnt eine Woche der Prüfung im Europäischen Parlament (EP). Sie mündet in den Gipfel der Regierungschefs. Hier wie dort zeigt sich in diesen Herbsttagen neben etwas Licht eine Menge Schatten.

Der Streit um Rechtsstaatlichkeit mit Polen eskaliert. Nun droht das Parlament der Kommission mit einer Klage wegen Untätigkeit. Wenn nicht einmal mehr die beiden an einem Strang ziehen, wo soll das enden? Das erleichtert Polens Premier Mateusz Morawiecki seinen Auftritt am Dienstag im EP. Beim Gipfel wird er ohnehin nicht isoliert sein.

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Die Energiepreise steigen rasant. Russland nutzt das, um die rasche Inbetriebnahme der umstrittenen Pipeline Nord Stream 2 zu erzwingen. Die EU hatte sich das anders vorgestellt: Sie wollte Präsident Putin die Bedingungen diktieren, nicht umgekehrt.

In der Klimapolitik ist Europa zwar der höchste Rückgang an Emissionen gelungen. Es bleibt aber hinter den eigenen Zielen zurück und findet kein Mittel, um den schlimmsten Klimasünder der Welt zur Trendumkehr zu bewegen. China verursacht jetzt 30 Prozent des globalen Ausstoßes und steigert ihn weiter.

Das schadet nicht nur Europas Klimainteressen, auch Jobs fallen weg, wenn China sich so einen Wettbewerbsvorteil verschafft und seine Waren unter Umgehung der Klimakosten billig in den Weltmarkt drückt.

Emmanuel Macron (Frankreich) und Viktor Orban (Ungarn) beim EU-Gipfel in Slowenien (Archivbild)
Emmanuel Macron (Frankreich) und Viktor Orban (Ungarn) beim EU-Gipfel in Slowenien (Archivbild)
© dpa/AP/Petr David Josek

Parallel flammt der Konflikt um die Migrationspolitik neu auf, nun an der Ostgrenze. Belarus fliegt Migranten ein, um die EU zu destabilisieren. Ihre Zahl ist nicht das Problem. Doch der Streit, wie die EU reagieren soll, vertieft die Risse. Polen will zeigen: Es kann die Außengrenze mit Stacheldraht und Mauer schützen. Brüssel möchte, dass die EU-Truppe Frontex die Kontrolle übernimmt, braucht aber Warschaus Zustimmung.

Die EU streitet über die Gründe für ihre Schwäche

Im Kern des Streits steht die Frage, was die Handlungsfähigkeit der EU stärker gefährdet: fehlende Eingriffsrechte in den Mitgliedsländern oder ein überzogener Drang, die Konflikte auszukämpfen, was den Willen zu Kompromissen schwächt? Anders gesagt: Tut sich die EU so schwer, ihre internationale Durchsetzungskraft zu stärken, weil sie zu viel Zeit und Energie mit Kompetenzstreit zwischen Brüssel und den Nationalstaaten vergeudet?

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Parlament und Kommission argumentieren, ohne ein einheitliches Verständnis vom Rechtsstaat sei der Zusammenhalt bedroht; die EU müsse Polen, Ungarn und andere Sünder zur Räson bringen, mit Urteilen des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) und dem Entzug von EU-Geld. Da spielt freilich auch ihr Eigeninteresse mit, ihre Macht auszuweiten.

Aber dürfen Kommission und EuGH überhaupt Unterordnung verlangen in Bereichen, für die ihnen die Nationalstaaten nicht die Zuständigkeit übertragen haben? Justiz, Migration und Grenzschutz sind nicht vergemeinschaftet.

Brüssel verlangt Unterordnung, der Spaltpilz wächst

Polen und Ungarn klagen über Machtanmaßung der EU. Französische Präsidentschaftsbewerber nutzen den Vorwurf ebenfalls im Wahlkampf. Auch das Bundesverfassungsgericht hat einen Hang zu „Ultra Vires“ (Kompetenzübergriffe) kritisiert.

Zudem zeigt die Strategie, hart gegen Polen vorzugehen, bisher keinen Erfolg. Immer mehr Mitglieder brechen EU-Regeln. Der Spaltpilz breitet sich aus, statt zu schrumpfen.

Beide Lager, das sollte die Bürger wach rütteln, warnen, die EU könne an diesem Konflikt zerbrechen. Im Parlament meinen vor allem Grüne und die Sozialdemokraten, es drohe der Zerfall der EU, wenn Brüssel sich nicht gegen rechtspopulistische Strömungen durchsetzt. In den nationalen Hauptstädten sehen es viele umgekehrt: EP, Kommission und EuGH spalten die EU mit überzogenen Machtansprüchen.

Die Europawoche ist eine letzte Gelegenheit, die Folgen der Eskalation zu bedenken. Im Streit mit sich selbst wird Europa den Wettbewerb der mächtigen Wirtschaftsräume jedenfalls nicht gewinnen.

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