Integration von Flüchtlingen: Eine neue Einheit, nicht nur in Deutschland
Die vielen Flüchtlinge sind nicht nur bei der Erstaufnahme, sondern auch als Neubürger eine Herausforderung: Deutschland wird sich wieder verändern. Ein Kommentar.
Dieser Tag der deutschen Einheit, der 25., würde anders werden als alle zuvor. Das war allen bewusst, schon bevor der Bundespräsident in seiner Rede beim Festakt in Frankfurt am Main auf das Thema zu sprechen kam, das die Menschen mehr als jedes andere bewegt: Wird Deutschland die Zahl der Flüchtlinge bewältigen können, wo sind die Grenzen der Aufnahmefähigkeit des Landes?
Joachim Gauck sprach es schon nach wenigen Minuten an. Dass die Bereitschaft, die Flüchtlinge willkommen zu heißen, größer ist als die tatsächlichen Möglichkeiten, hunderttausende Menschen aus einem völlig anderen Kulturkreis rasch zu integrieren, stellt allen, die hier leben, ein ehrendes Zeugnis aus. Aber das darf nicht dazu führen, vor kommenden Problemen die Augen zu verschließen. Denn sie sind größer als die Frage, wo man Flüchtlingen ein erstes Quartier gibt.
Deutschland verändert sich permanent
Joachim Gauck hat es mit den gleichen Worten umschrieben, die er bereits vor einer Woche bei der Eröffnung der Interkulturellen Woche in Mainz benutzte: Unser Herz ist weit, aber unsere Möglichkeiten sind begrenzt. Nun würde dieser Bundespräsident sich selbst untreu, schlüge er nicht dennoch den Bogen zwischen der Situation vor 25 Jahren und heute.
Die soziale Ausgestaltung der Flüchtlingskrise ist mangelhaft. Ich befürchte, dass die Menschen, die sich persönlich und konkret durch den Zustrom bedrängt fühlen - am Wohnort, am Arbeitsplatz - darauf mit Aggression reagieren können.
schreibt NutzerIn 2010ff
Er tat es, indem er an Willy Brandts Wort erinnerte, wonach nun zusammenwachse, was zusammengehört, und verband es mit einer drängenden Forderung, einem noch höheren Anspruch als dem des Jahres 1990: Heute müsse zusammenwachsen, was bisher nicht zusammengehörte.
Deutschland ist kein klassisches Einwanderungsland, aber auch seine Identität wird sich durch die vielen Menschen, die nun gekommen sind oder noch kommen, verändern – so, wie es sich seit 1945 permanent verändert hat, erst durch 14 Millionen Heimatvertriebene, dann durch drei Millionen Deutschstämmige, die nach 1990 aus Osteuropa kamen, durch Gastarbeiter, von denen drei Millionen dauerhaft blieben, durch Einwanderung russischer Juden, Verfolgter der kommunistischen Diktaturen in Polen, Ungarn, in der Tschechoslowakei.
Umso wichtiger ist es, und das war Gaucks leidenschaftlicher Schussappell, dass sich alle auf den Kodex der Grundwerte verpflichten, die dieses Land zusammenhalten: Freiheit, Menschenrechte, Rechtsstaat, Demokratie, Gleichberechtigung. Gelingen kann das nur, wenn zur deutschen Willkommenskultur auch eine Anerkennungskultur durch jene kommt, die um Aufnahme ersuchen.
Es gibt eine Willkommens- und Anerkennungskultur
Soweit wir jetzt wissen, ist diese Bereitschaft deutlich ausgeprägter, als es die Alarmmeldungen des Bundesinnenministers befürchten lassen. Wenn Hunderte, Tausende auf engem Raum untergebracht sind, stellen sich Konflikte fast unvermeidlich ein. Die Herausforderung an die deutsche Gesellschaft wird sein, diese Menschen aus den Lagern in Schulen und Arbeit zu integrieren.
Deutschland allein kann die Aufnahme der Kriegsflüchtlinge jedoch nicht bewältigen. Europa muss das gemeinsam lösen. Grenzen kann man ziehen, sie bewachen. Aber ist da jemand, der sie mit Minenfeldern und Wachtürmen sichern will? Allerdings gibt es eine Aufnahmegrenze, auch für Deutschland. Das sagt der Präsident, das sagt der Außenminister, das sagt der SPD-Chef. Das weiß auch die Bundeskanzlerin, der niemand vorhalten sollte, dass sie Flüchtlingen ein Selfie nicht verweigerte, das für diese ein Symbol der glücklichen Rettung gewesen ist.