Pro und Contra zum SPD-Mitgliedervotum: "Eine Entscheidung zwischen Pest und Cholera"
Die Parteispitzen haben sich auf eine große Koalition geeinigt. Aber stimmen die SPD-Mitglieder zu? Zwei von ihnen erklären, warum sie dafür sind oder dagegen.
Marius Gartmann arbeitet im IT-Bereich und trat vor knapp vier Jahren in die SPD ein. Die letzte Abstimmung hat er also knapp verpasst.
Ich werde bei der Basisabstimmung der SPD zum Koalitionsvertrag mit Ja stimmen. Ich stimme da ganz mit der Fraktionsvorsitzenden Andrea Nahles überein, die ja schon auf dem SPD-Parteitag gesagt hat: „Wir haben eigentlich keine große Alternative mehr.“ Die Führung hat die Partei leider in eine derartige Lage gebracht, dass man eigentlich gar nicht mehr Nein sagen kann, weil die Alternativen so schrecklich sind – es geht um eine Minderheitsregierung, die sowieso nicht kommen wird, oder Neuwahlen. Keines dieser Szenarien würde dazu führen, dass die SPD etwas dazugewinnt, sondern höchstwahrscheinlich eher das Gegenteil passiert.
Die Entscheidung ist eine zwischen Pest und Cholera. Und da entscheide ich mich für das geringere Übel. Anstatt Neuwahlen zu provozieren, die dazu führen würden, dass man das schlechte Ergebnis, was man eventuell in vier Jahren bekommen könnte, schon jetzt bekommt. Vielleicht birgt die Neuauflage der Groko die Chance, sich vier Jahre lang in der Regierung zu profilieren, und die Möglichkeit zu zeigen, dass man besser regieren kann als alle dachten.
Richtig verhandelt
Vielleicht hätte man Nein sagen können, wenn die SPD-Führung in den Verhandlungen alles verraten hätte, wofür die Partei steht. Als ich per Mail gefragt wurde, was ich mir für die Groko-Verhandlungen wünsche, antwortete ich: Konzentriert euch bitte auf die Themen, die den durchschnittlichen SPD-Wähler interessieren, also die Befristung der Arbeitsverträge, die Bürgerversicherung – und weniger der Familiennachzug von Flüchtlingen. Letzteres spielt einfach im Alltag der Wähler eine geringere Rolle. Und hier bin ich eigentlich ganz froh, das sie sich nicht komplett stur gestellt, sondern richtig verhandelt haben.
Martin Schulz und seine Leute hatten tatsächlich keine einfache Zeit in den vergangenen Wochen. Ich fand ihn als Typ, der sich entschieden hatte, aus Europa zur Bundes-SPD zu kommen, supergut. Ich finde ihn auch nach wie vor gut, aber nach außen wirkt er natürlich wie der zweifache Wendehals. Er hätte vielleicht in einigen Situationen einfach ein paar Sätze weniger sagen sollen – Merkel-Style sozusagen, einfach mal nichts sagen. Es ist immer gut, eine klare Kante zu ziehen, aber sie dann nicht durchzuziehen, bringt eben auch nichts. Mich würde es freuen, wenn Nahles die Führung übernimmt und Schulz Minister wird, er ist auf jeden Fall kompetent. Nahles könnte stärker auf die Jusos zugehen, um den Entscheid mit zu beeinflussen.
Wie die Abstimmung ausgeht? Ich würde sagen, es geht durch. Würde ich Geld darauf setzen? Nein. Ich kenne die Argumente der Gegner und kann sie wahrscheinlich auch gar nicht richtig entkräften. Aber man sollte sich realistisch überlegen, ob man die SPD mit dieser allgemein negativen Grundhaltung der Partei gegenüber vor eine Neuwahl stellen möchte.
Die Konservativen blockieren eigentlich alles
Annika Klose ist seit Oktober 2016 Landeschefin der Berliner Jungsozialisten und seit 2011 Mitglied der SPD und grundsätzlich gegen Schwarz-Rot.
Ich bin gegen die große Koalition, weil sich in den letzten zwölf Jahren gezeigt hat, dass die großen gesellschaftlichen Weichenstellungen mit der CDU/CSU nicht hinzukriegen sind. Die Konservativen blockieren seit drei Wahlperioden eigentlich alles, was progressive Politik ist. Das gilt zum Beispiel für eine soziale Reform der Rente, für Investitionen in die Bildung oder die Abschaffung des Kooperationsverbots im Grundgesetz. Auch in der Arbeits- und Sozialpolitik wären Reformen dringend nötig, aber da waren mit der Union immer nur Formelkompromisse möglich.
Als sich die SPD 2013 noch einmal entschied, die Groko fortzusetzen, da konnten wir wenigstens noch Leuchtturmprojekte durchsetzen, etwa den Mindestlohn oder die Rente mit 63. Aber selbst diese Projekte wurden in der Regierung mit der Union durchlöchert und verwässert – und gleichzeitig mussten wir Sozialdemokraten viele Kröten der Union schlucken. Übrig blieb Stillstand in der Regierungsarbeit und reaktives Handeln der SPD.
Kleine Formelkompromisse
Ich will aber einen echten Politikwechsel und keine Koalition der kleinen Formelkompromisse. In Deutschland geht es ungerecht zu, das muss geändert werden. Stattdessen verhilft die SPD der CDU-Bundeskanzlerin Angela Merkel wieder in den Sattel. Und dem CSU-Chef Horst Seehofer noch dazu.
Was jetzt im Koalitionsvertrag vereinbart wurde, soweit ich es schon kenne, bewegt sich weitgehend im Rahmen des Sondierungspapiers. Ja, es wurde von der SPD hart verhandelt, aber ein politischer Wechsel und vor allem der andere Politikstil, den wir wollen, ist nicht erkennbar. Das sah man schon bei der Abstimmung im Bundestag über den Familiennachzug für geflüchtete Menschen. Da haben CDU und CSU enorm Druck gemacht und gedroht, notfalls mit einer rechten Mehrheit Beschlüsse zu fassen. Vorher schon hat sich die Union massiv vertragsbrüchig verhalten. Das ist doch keine Grundlage für eine gute gemeinsame Politik!
Bei der Verteilung der Ressorts, das muss man anerkennen, hat die SPD viel herausgeholt. Trotzdem ist es doch so, dass alle Regierungsmitglieder an den ausgehandelten Koalitionsvertrag gebunden sind. Da ist ja niemand autonom – und auch die SPD macht jetzt leider wieder den Eindruck, als ginge es in erster Linie um Personalrochaden.
Nun gut, selbst wenn es wieder zu einer großen Koalition kommen sollte, so hoffe ich doch, dass die vielen Neumitglieder frischen Wind in meine Partei bringen und sich an der grundlegenden Erneuerung der SPD beteiligen. Wir brauchen die neuen Genossen dringend, um die Partei umzukrempeln. Die sollen alle mit anpacken und sich nicht auf der Nase herumtanzen lassen. Und ich erwarte von der Parteiführung, beim Mitgliederentscheid auch die Groko-Gegner gleichberechtigt zu Wort kommen zu lassen. Wir brauchen eine faire innerparteiliche Debatte – und keine einseitige Beschallung.
Marius Gartmann, Annika Klose