Folgen des Irakkrieges: Ein Sturz, der den Nahen Osten bis heute erschüttert
Vor genau 15 Jahren stürzten US-Truppen Saddam Husseins Regime im Irak. Die Folgen lassen die Region bis heute nicht los. Eine Analyse.
Am Nachmittag des 9. April 2003 spielte sich Weltgeschichte live im Fernsehen ab. Vor laufenden Kameras zog ein Panzer der amerikanischen Marineinfanterie mit einer massiven Kette die Statue des irakischen Diktators Saddam Hussein auf dem Firdos-Platz in Bagdad vom Sockel. Wenig später schleiften irakische Demonstranten den Kopf der Statue durch die Straßen der Hauptstadt und schlugen als Zeichen ihrer Verachtung mit ihren Schuhen auf ihn ein.
Die Szene wurde zum Symbol der Entmachtung des Saddam-Regimes, von der sich die damalige US-Regierung von George W. Bush den Beginn einer Demokratisierung des gesamten Nahen Ostens versprach. Heute, 15 Jahre nach dem Fall von Bagdad, liegen nicht nur die damaligen hochfliegenden Pläne von Amerikas Neokonservativen in Trümmern.
Hochfliegende Träume in Trümmern
Mehr als 120.000 Zivilisten sind im Irak seit 2003 getötet worden, die USA sind auf dem Rückzug aus der Region. Der Iran und andere Akteure gewinnen an Einfluss, mit Russland meldet sich eine zweite Weltmacht in Nahost zur Stelle.
Ausgerechnet am Jahrestag der Einnahme von Bagdad übernimmt nun der Neokonservative John Bolton an diesem Montag das Amt des Nationalen Sicherheitsberaters im Weißen Haus und könnte eine neue Wende hin zum Interventionismus einleiten.
Damalige US-Politiker wie Verteidigungsminister Donald Rumsfeld, Vizepräsident Dick Cheney und eben Bolton waren sicher, dass sie mit der Vertreibung Saddam Husseins die Gründung eines demokratischen Irak eingeleitet hatten, die den Nahen Osten neu ordnen und die Vorherrschaft der USA in der ölreichen Weltgegend zementieren würde.
Der Hochmut des Westens
Der Hochmut ließ einige an weitere Eroberungen denken. „Damals hieß es bei den Nicht-Militärs mitunter: Irak ist was für Schwächlinge, richtige Männer knöpfen sich den Iran vor“, erinnert sich der Ex-Diplomat David Mack, der im Irak und arabischen Ländern im Dienst war und heute beim Middle East Institute in Washington arbeitet.
Rumsfeld war nicht der erste westliche Politiker mit ehrgeizigen Plänen für die Region. Schon gut 80 Jahre vorher hatten die Briten und Franzosen als Siegermächte des Ersten Weltkrieges die Region unter sich aufgeteilt und im Gebiet des untergegangenen Osmanenreiches neue Staatengebilde gegründet, darunter den Irak und Syrien. Damals hofften Politiker in London und Paris auf Stabilität und auf Sicherung ihrer Führungsrolle – vergeblich.
Auch nach dem Fall von Saddam Hussein kam es für den Westen anders als erwartet. Die US-Statthalter im Irak entfernten Mitglieder der Baath-Partei von Saddam massenweise aus den staatlichen Institutionen und den Sicherheitskräften, was sich als fatale Fehlentscheidung herausstellte. Die Politik Washingtons verursachte ein gefährliches Vakuum, das selbst mit 170.000 amerikanischen Soldaten nicht zu füllen war.
Die Folgen sind bis heute spürbar, selbst in fernen europäischen Hauptstädten wie Berlin, die zu Zielen der Gewalttäter des „Islamischen Staates“ (IS) geworden sind. Nicht Saddam Husseins Sturz sei der Beginn des Übels gewesen, meint Hady Amr, Nahost-Experte bei der Denkfabrik Brookings Institution und ehemaliger Mitarbeiter der Regierung von Barack Obama. „Erst die Ent-Baathifizierung des Irak im allgemeinen und der irakischen Armee im besonderen schuf die Vorbedingungen für jene Aufstände, die am Ende zur Bildung des IS führten“, glaubt Amr.
Allein in den vier Jahren nach dem 9. April 2003 starben fast 70.000 irakische Zivilisten bei Anschlägen und Kämpfen. Das Land versank in Chaos, Blut und Tränen. Amerikas Truppenverstärkung im Jahr 2007 kam zu spät. Extremisten fanden viel Zulauf, sammelten Kampferfahrung und knüpften neue Kontakte. Unter ihnen war Abu Bakr al Bagdadi, der heutige „Kalif“ des IS. Bagdadi wurde von den Amerikanern vorübergehend im Camp Bucca inhaftiert, wo auch andere spätere IS-Funktionäre einsaßen.
Angesichts wachsender Kriegsmüdigkeit der amerikanischen Öffentlichkeit und mehr als 4000 getöteten US-Soldaten im Irak beschloss Washington schließlich den Rückzug der Kampftruppen, der unter Obama im Jahr 2011 abgeschlossen wurde. Doch das löste die Probleme nicht. Drei Jahre später kehrten die amerikanischen Soldaten wegen des Kampfes gegen den „Islamischen Staat“ in den Irak zurück, wenn auch nicht mehr in den großen Dimensionen wie im Jahr 2003.
Der Rückzug einer Weltmacht
Rumsfelds Traum war zum Alptraum geworden. Statt aus dem Irak einen stabilen Partner des Westens und ein Demokratie-Vorbild für die ganze Region zu machen, brachte der Feldzug nur Tod und Verwüstung und stärkte am Ende den Einfluss des Iran in Bagdad und anderswo im Nahen Osten. Was als Sicherung einer dauerhaften amerikanischen Hegemonie in der Region gedacht war, wurde zum Ausgangspunkt eines strategischen Rückzuges der Weltmacht.
Im Jahr 1990/91 hatten die Amerikaner mit der Befreiung Kuwaits von der irakischen Besatzung noch die Rolle des Weltpolizisten gespielt und den arabischen Verbündeten signalisiert, dass sie auf die USA zählen konnten.
Doch als acht Jahre nach Saddam Husseins Sturz der Arabische Frühling begann, blieben die USA nicht zuletzt wegen ihrer Erfahrungen im Irak auf Distanz. „Der Schatten Iraks ist sehr schwer und sehr stark“, sagt Aaron David Miller, Direktor des Nahost-Programms am Wilson Center in Washington.
Unter dem Eindruck des Irak-Fiaskos hielten sich die USA so stark zurück, dass sich Obama den Vorwurf einhandelte, die amerikanischen Verbündeten im Nahen Osten zu verraten. In Syrien etwa schreckte Obama sogar vor einem Angriff auf Staatschef Baschar al Assad zurück, als dieser mit einem Chemiewaffen-Einsatz eine „rote Linie“ des US-Präsidenten überschritt: Auf Amerika war in den Augen vieler Politiker im Nahen Osten kein Verlass mehr. Obamas Nachfolger Donald Trump würde selbst das kleine Häuflein der 2000 US-Soldaten in Syrien lieber heute als morgen abziehen.
Das bleibt anderen Akteuren nicht verborgen. Spätestens seit 2015 ist der Nahe Osten wieder Schauplatz von Großmachts-Ambitionen. Die russische Intervention zugunsten von Assad im Syrien-Konflikt hat die Gleichgewichte in der Region verändert.
Russlands Ambitionen
Moskau will sich in Syrien mehr sichern als einen Flottenstützpunkt am Mittelmeer. Wladimir Putin möchte sein Land zu einer Ordnungsmacht machen und streckt bereits Fühler in andere Länder wie Ägypten aus. Auch die Türkei und der Iran mischen mit. Sie alle profitieren von der Zurückhaltung der USA.
In Syrien ist Amerika jetzt mehr oder weniger auf die Zuschauerränge verbannt und offenbar nicht mehr an politischen Entscheidungen über die Zukunft Syriens interessiert. „In Syrien spielen wir überhaupt nicht mit“, sagt Ex-Diplomat Mack.
Trumps Ohne-Mich-Haltung kollidiert jedoch mit dem weltpolitischen Verständnis seines neuen Sicherheitsberaters Bolton. Der ehemalige UN-Botschafter verteidigt den Irak-Krieg bis heute und sieht den eigentlichen Fehler nicht in der damaligen Invasion, sondern im Truppenabzug des Jahres 2011. Wo Trump für einen Rückzug aus Syrien und anderen Nahost-Gegenden plädiert, fordert Bolton mehr militärisches Engagement der USA, um die Region nach amerikanischen Interessen zu formen.
Bolton, der Taktiker
Niemand weiß, wie der Isolationist Trump und der Neokonservative Bolton miteinander zurechtkommen werden und wie die Nahost-Politik des Duos aussehen wird. „Der Präsident hat ein Gefühl für die Stimmung seiner Wähler“, sagt Mack – und diese Stimmung ist mindestens ebenso isolationistisch wie die des Präsidenten selbst.
Bolton wird alles daran setzen, Trump von der Notwendigkeit eines neuen politischen und militärischen Engagements in Nahost zu überzeugen. Dabei dürfte er die erklärte Absicht des Präsidenten nutzen, den Einfluss des Iran zurückzudrängen. Bolton ist ein geschickter Taktiker und anders als Trump ein Kenner der Materie.
15 Jahre nach dem Sturz der Saddam-Statue auf dem Firdos-Platz von Bagdad steht die Region möglicherweise an der Schwelle einer neuen Ära.