Wolodymyr Selenski: Ein Narr gewinnt das Vertrauen der Ukrainer
Die Versprechen Selenskis sind nur schwer einzulösen. Jetzt kommt es auf sein Team an. Es muss Vertrauen schaffen – damit der Westen hilft. Ein Kommentar.
In der Ukraine wird die Fiktion zur Realität, aus einer Rolle wird ein tatsächlicher Wählerauftrag. Der Präsidentendarsteller Wolodymyr Selenski hat die Wahl gewonnen, er muss sich nun als Staatspräsident bewähren. Dem Schauspieler ist es nicht nur gelungen, die alte Macht in einer Fernsehserie in Frage zu stellen, er hat ihren wichtigsten Protagonisten in der Wirklichkeit überwunden.
Ein Narr hat das Vertrauen gewonnen, weil die Bürger von der etablierten Politik zutiefst enttäuscht waren und ihre leeren Versprechungen nicht mehr ernst nehmen konnten. Mehr ist noch nicht passiert. Die Ukraine ist über Nacht kein anderes Land geworden, ihre Probleme, ihre inneren Widersprüche und ihre äußeren Widersacher, sind jetzt kein bisschen kleiner.
Selenski hat Erwartungen geweckt, die nur schwer einzulösen sind. Die Ukrainer wollen von dem 41-Jährigen eine andere Politik, aber das Land hat keine anderen Politiker, die irgendwo im Verborgenen gewartet hätten. Er will die Macht der Oligarchen brechen, ist aber doch auf die wirtschaftlich Mächtigen angewiesen, soll die Ukraine nicht in Instabilität und Chaos versinken. Und nicht zuletzt: die Menschen müssen die Veränderung nicht nur wählen, sondern auch wollen. Das könnte ein entscheidender Unterschied sein.
Unter Russlands Beobachtung
Es mag zutreffen, dass der neue Präsident weder von politischen Mechanismen noch von ökonomischen Strategien viel versteht. Umso mehr wird es auf seine Mannschaft ankommen. Die muss nicht nur das Vertrauen der Ukrainer finden, sondern vor allem auch das der wirtschaftlich und politisch Verantwortlichen im Westen. Das instabile Land braucht Hilfe - und nur von dort kann sie kommen. Bislang ist aber im Westen nicht viel mehr als Kopfschütteln über den merkwürdigen Abenteurer in Kiew zu erkennen.
Jeder Schritt, jede Geste in Richtung Westen - und sie sind lebenswichtig für eine unabhängige Ukraine - wird Russland wie bisher als feindseligen Akt ansehen. Die Mächtigen in Moskau haben es auch nach 30 Jahren nicht akzeptiert, dass die Ukraine ein eigenständiger Staat mit souveränen Rechten ist.
Wladimir Putin meinte es buchstäblich, als er sagte, Russen und Ukrainer seien ein Volk. Die Ukraine ist in den Augen des Kreml „russische Welt“ - wie die Krim. Selenski steht ein zähes Ringen mit Moskau bevor. Niemand erwartet von ihm, dass er den Krieg im Osten rasch beendet. Aber ein wichtiger erster Schritt sollte eine glaubwürdige Friedensinitiative sein. So viele Unwägbarkeiten den Start Selenskis auch begleiten, eines steht fest: Ohne Frieden ist auch seine Präsidentschaft zum Scheitern verurteilt.