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Wahlsieger in der Ukraine: Wolodymyr Selenski neben seiner Frau Olena
© dpa/AP/Sergei Grits
Update

Politneuling wird Präsident: Komiker Selenski siegt bei Stichwahl in der Ukraine

Ein Quereinsteiger wird Staatsoberhaupt der Ukraine. Der Schauspieler Selenski führt in Prognosen deutlich, Amtsinhaber Poroschenko gratuliert bereits.

Der Schauspieler und politische Quereinsteiger Wolodymyr Selenski wird Prognosen zufolge neuer Präsident der krisengeschüttelten Ukraine. Der prowestliche 41-Jährige kam demnach bei der Stichwahl in der Ex-Sowjetrepublik am Sonntag auf rund 73 Prozent der Stimmen. Amtsinhaber Petro Poroschenko kann mit rund 25 Prozent der Stimmen rechnen, wie mehrere Fernsehsender unter Berufung auf verschiedene Meinungsforschungsinstitute in Kiew berichteten. Es gab demnach einige ungültige Wahlzettel. Am prowestlichen Kurs der Ukraine dürfte sich nichts ändern. Mit aussagekräftigen Ergebnissen wird in der Nacht zum Montag gerechnet.

Selenski wertet seinen Sieg als wegweisend für viele Länder. „Alle Bürger in den postsowjetischen Ländern, schaut auf uns! Es ist möglich“, sagte er nach Bekanntgabe der ersten Prognosen. Selenski bedankte sich bei seiner Familie, seinen Wahlkampfteam und den Wählern für die Unterstützung. „Ich werde euch niemals hinters Licht führen“, sagte der 41-Jährige. Vor seinen jubelnden Anhängern küsste seine Frau auf der Bühne.

Poroschenko verspricht starke Opposition

Poroschenko räumte seine Niederlage bereits ein. Er gratulierte am Sonntagabend in Kiew seinem Herausforderer zum Sieg. „So gehört es sich. So ist es in demokratischen Ländern üblich“, sagte Poroschenko vor seinen Anhängern. Zugleich betonte er: „Ich werde weiter in der Politik bleiben und für die Ukraine kämpfen“. Der 53-Jährige rief seinen Anhängern zu, niemals aufzugeben.

Die Partei Poroschenkos hatte zuvor erklärt, nun die Parlamentswahl im Oktober in den Blick zu nehmen. „Wir brauchen gemeinsame Anstrengungen, um das Land zu verteidigen“, sagte Poroschenko. Er warnte immer wieder vor einer russischen Aggression gegen sein Land. Er werde nun das Amt verlassen, aber den Kampf nicht aufgeben. „Der neue Präsident wird eine starke Opposition haben, eine sehr starke“, meinte er kämpferisch. Die Niederlage war ihm nicht anzumerken.

Der Wahlverlierer: Petro Poroschenko
Der Wahlverlierer: Petro Poroschenko
© Reuters/Vasily Fedosenko

Die Wahl ist in mehrfacher Hinsicht historisch: Mit Selenski kommt in dem Land zwischen der EU und Russland erstmals ein Staatsoberhaupt ohne jedwede Regierungserfahrung ins Amt. Es wäre auch das höchste Ergebnis, das je ein Präsident der unabhängigen Ukraine erzielt hat. Selenski, der jüngste Präsident der ukrainischen Geschichte, strebt wie Poroschenko einen EU-Beitritt an. Über einen umstrittenen Nato-Beitritt der Ukraine soll eine Volksabstimmung entscheiden.

Dagegen musste der zuletzt noch in Berlin von Kanzlerin Angela Merkel (CDU) empfangene 53-Jährige Poroschenko nach fünf Jahren im Amt eine Niederlage hinnehmen. Er hatte einen antirussischen Wahlkampf geführt. Poroschenko warnte davor, dass der russische Präsident Wladimir Putin sich das Land unterwerfen wolle. Selenski wies dabei Vorwürfe zurück, eine russische Marionette zu sein.

Der Oligarch Poroschenko war nach den proeuropäischen Protesten auf dem Maidan - dem Unabhängigkeitsplatz - in Kiew vor fünf Jahren der große Hoffnungsträger der EU und der USA. Er hatte bereits vor der sich abzeichnenden Wahlschlappe gesagt, jedes Wahlergebnis zu akzeptieren. „Ich verlasse mich auf die Weisheit des ukrainischen Volkes“, meinte er am Wahltag.

Selenski will Minsker Friedensplan wiederbeleben

Der in seiner Heimat gefeierte Showstar Selenski spielt seit Jahren einen Präsidenten der Comedy-Serie „Sluha Narodu“ - zu Deutsch: Diener des Volkes. Wie in der Serie des Fernsehsenders 1+1, in der ein Geschichtslehrer überraschend Staatschef wird, will er nun als „einfacher Mensch“, wie er sagt, das von Korruption geprägte System in seiner Heimat zerstören. Er hat zudem erklärt, alles für ein Ende des Krieges im Osten der Ukraine zu tun. Er zeigte sich auch bereit zum Dialog mit Russland.

Als Präsident wolle er den Friedensplan für den umkämpften Osten wiederbeleben. „Wir werden die Verhandlungen fortsetzen und bis zum Ende gehen, damit das Feuer eingestellt wird“, sagte Selenski am Sonntagabend. Wichtigste Aufgabe sei es, seine Landsleute aus der Gefangenschaft aus Russland und der Ostukraine zu befreien.

Seit 2014 kämpfen in den Gebieten Donezk und Luhansk Regierungssoldaten gegen prorussische Separatisten. Rund 13.000 Menschen sind dabei nach UN-Angaben getötet worden. Der unter anderem durch deutsche Vermittlung ausgehandelte Minsker Friedensplan steckt seit Jahren fest. Die Gefechte dauern an, fast täglich sterben dort Menschen.

Selenski sagte auch, dass er die seit November in Russland festgehaltenen ukrainischen Seeleute so schnell wie möglich zurückholen wolle. Auch werde er sich für die Freilassung anderer ukrainischer Gefangener einsetzen. „Ich tue alles dafür, um unsere Jungs nach Hause zu holen. All unsere Gefangenen, ohne Ausnahme.“

Die Matrosen sitzen seit mehr als vier Monaten wegen angeblicher Grenzverletzung in einem Moskauer Gefängnis ein. Sie waren im Schwarzen Meer von der russischen Küstenwache gewaltsam gestoppt und festgesetzt worden. Die Regierung in Kiew sieht sie als Kriegsgefangene. Auch die Bundesregierung hat sich für die Freilassung der Männer eingesetzt.

Einheit als große Aufgabe

Kritiker werfen dem Komiker vor, ein Populist ohne echtes Programm für die Zukunft des Landes zu sein. Immer wieder Thema ist auch Selenskis Nähe zu dem Oligarchen Igor Kolomoiski, der mit seinem TV-Kanal 1+1 Stimmung gegen Poroschenko machte.

Das zwischen ukrainischen Nationalisten und russlandfreundlichen Bevölkerungsteilen hin und her gerissene Land zu einen, dürfte zu den schwierigsten Aufgaben für den neuen ukrainischen Präsidenten gehören. Viele Menschen hoffen besonders auf mehr Wohlstand - vor allem auf steigende Löhne und Renten sowie sinkende Lebenshaltungskosten.

Zehntausende Polizisten sicherten die rund 30.000 Wahllokale. Vor der Stimmabgabe von Selenski entblößte sich eine Aktivistin der ukrainischen Frauenrechtsgruppe Femen. Mit nacktem Oberkörper protestierte die hochschwangere Frau gegen den Favoriten und sagte: „Selenski ist eine Katze im Sack.“ Niemand wisse, in welche Richtung die Ukraine unter ihm steuere.

Der Sieg des Schauspielers war zwar nach Umfragen der vergangenen Wochen erwartet worden. Unklar ist aber, wie er die hohen Erwartungen der Bevölkerung erfüllen kann. Er stützt sich zwar auf eine nach seiner Fernsehsendung benannte Partei. Vertreten ist diese aber bisher nicht im Parlament. Selenski wäre damit auch der erste Präsident ohne eine eigene Machtbasis. Bis zum Amtsantritt hat er noch einige Wochen Zeit. Er hält es für möglich, dass er angesichts unklarer Machtverhältnisse in der Obersten Rada die eigentlich für Oktober vorgesehene Parlamentswahl vorzieht. (dpa)

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