Ende des INF-Vertrags: Droht ein neues atomares Wettrüsten in Deutschland?
Wenn kein Wunder geschieht, kündigt Donald Trump einen wichtigen Abrüstungsvertrag. Deutschland versucht Krisendiplomatie, aber bewegt wenig. Ein Kommentar.
Was ist bloß mit unserer Welt passiert? Es ist nur zehn Jahre her, dass ein amerikanischer Präsident, er hieß Barack Obama, bei einer Rede in Prag für das Ziel „Global Zero“ warb – für die Abschaffung aller Atomwaffen auf dem Planeten Erde. Sein Nachfolger im Weißen Haus, Donald Trump, wird aller Voraussicht nach am Samstag ein Abkommen kündigen, das Europa seit rund 30 Jahren sicherer gemacht hat. Manche fürchten schon ein neues atomares Wettrüsten auf deutschem Boden.
Der INF-Vertrag (Intermediate-Range Nuclear Forces) zwischen Washington und Moskau verbietet landgestützte Mittelstreckenraketen mit einer Reichweite zwischen 500 und 5500 Kilometern. Europa gewann Sicherheit, weil mit dem Wegfall der vor allem auf europäische Ziele gerichteten Bedrohung das Risiko eines begrenzten Atomkriegs geringer wurde. Dass ein Krieg mit Nuklearwaffen fast nur zwischen den USA und Russland geführt werden konnte, machte den Ernstfall unwahrscheinlicher.
Die deutsche Außenpolitik hatte der US-Regierung ein 60-Tage-Moratorium abgerungen, aber das läuft am 2. Februar aus. Es ist unwahrscheinlich, dass Moskau Trumps Bedingungen erfüllen wird. Es geht um unabhängige Kontrollen neuer landgestützter russischer Marschflugkörper (9M729). Diese, so die Vorwürfe der Nato, können weiter als 2500 Kilometer fliegen. Bestätigt sich der Vorwurf, müssten sie vernichtet werden.
Trump prahlt in gefährlicher Weise mit militärischer Macht, will aufrüsten und strapaziert die Nerven der Nato-Verbündeten, die auf den Schutz des US-Militärs angewiesen bleiben. Aber seine Vorwürfe gegen Russland sind keinesfalls neu. Schon Obama warf Moskau wenige Jahre nach seiner Prager Rede vor, gegen den INF-Vertrag zu verstoßen.
Außenminister Heiko Maas hat in einer Art Krisendiplomatie zwischen Moskau und Washington versucht, das Abkommen zu retten, aber wenig bewegt. Schaut man auf die ganze Welt, erweist sich die Begrenztheit des INF-Vertrags: Atomar hochgerüstete Länder wie China, Indien oder Pakistan betrifft der Vertrag nicht. Und es sind auch kaum Anreize vorstellbar, die sie zur Selbstbindung bewegen könnten. Es ist richtig, wie Maas Möglichkeiten für neue Abrüstungsinitiativen auslotet. Doch auf schnelle Erfolge sollte man nicht setzen.
Der Außenminister steht unter dem Druck seiner Partei, die Friedensmacht sein will. Er warnt vor einer Wiederholung der Rüstungsdebatte der 80er Jahre und schließt eine atomare Nachrüstung aus. Gerade wer kein Wettrüsten will, sollte aber in seinen Mitteln flexibel und vor allem innerhalb der Nato anschlussfähig bleiben. Trump ist ein unberechenbarer Partner, doch wer gemeinsam mit anderen Einfluss auf ihn ausüben will, sollte keine Sonderwege einschlagen.
Ohnehin ist die Stationierung neuer Atomraketen in Deutschland nach dem Ende des INF-Vertrags nur eine Option – und nicht die wahrscheinlichste. Die Nato prüft nun die Modernisierung von US-Raketenabwehrsystemen und die Stationierung von Mittelstreckenraketen, die vom Boden, von Schiffen und von Flugzeugen aus starten. Auf Fragen zu antworten, die noch keiner gestellt hat, ist deshalb keine kluge Außenpolitik. Zumal nach der Kündigung noch ein halbes Jahr Zeit bleibt, die gegenseitigen Vorwürfe zu klären, bevor der Vertrag tatsächlich Geschichte sein wird.