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Brasiliens Präsidentin Dilma Rousseff bei ihrer Anhörung im Amtsenthebungsverfahren vor dem Senat am 29. August in Brasilia.
© Cadu Gomes/dpa

Brasiliens Präsidentin: Dilma Rousseff des Amtes enthoben

Brasiliens Präsidentin Dilma Rousseff hat am Mittwoch ihr Amt verloren. 61 von 81 Senatoren stimmten für ihre Absetzung. Wie geht es nun weiter in Brasilien?

Die brasilianische Präsidentin Dilma Rousseff ist durch den brasilianischen Senat ihres Amtes enthoben worden. 61 der 81 Senatoren stimmten am Mittwoch in Brasilia für die Absetzung der bereits suspendierten Staatschefin. Damit wurde wie erwartet die notwendige Zwei-Drittel-Mehrheit erreicht. Rousseff werden illegale Haushaltstricks vorgeworfen. Neuer Staatschef wird der frühere Vizepräsident Michel Temer bis zum Ende der Wahlperiode im Dezember 2018. Der konservative Politiker war schon seit Mitte Mai Interimspräsident.

Rousseff und und ihre Anhänger sprechen von einem „Putsch“ – und kämpfen schon für eine Wiederwahl.

Was ist davon zu halten?

Man muss nicht von einem Staatsstreich reden, um Zweifel an diesem Absetzungsprozess zu haben. Rein formal verlief das Verfahren, das sich neun Monate lang hinzog, der brasilianischen Verfassung entsprechend. Darauf berufen sich die Gegner Rousseffs. Allerdings stand es von Beginn an unter dem Verdacht, politisch und sogar persönlich motiviert zu sein.

So wurde der Prozess von Parlamentspräsident Eduardo Cunha eröffnet – und er machte klar, dass dies seine Rache dafür sei, dass Rousseffs Arbeiterpartei (PT) eine Untersuchung gegen ihn wegen Schmiergeldkonten in der Schweiz nicht verhinderte. Auch viele Parlamentarier begründeten ihre Stimme gegen Rousseff mit Vorwürfen, die nichts mit der formalen Anklage gegen sie zu tun hatten. Es war so, als ob man einer Frau, die wegen Veruntreuung vor Gericht steht, vorwirft, schlecht Auto zu fahren. So entstand der Eindruck eines politischen Prozesses mit dem Ziel, Rousseffs konservative Gegner an die Macht zu bringen und eine Politik durchzusetzen, für die sie an den Urnen keine Mehrheit bekommt. Rousseff war 2014 mit 54 Millionen Stimmen direkt vom Volk gewählt worden.

Welche Gründe gibt es für die Amtsenthebung Rousseffs?

Die entscheidende Frage lautete: Hat die Präsidentin ihren Amtseid verletzt, als sie ohne Zustimmung des Senats die Auszahlung von Subventionen gewährte, die nicht vom Haushalt gedeckt waren? So soll sie den Haushalt vor ihrer Wiederwahl im Oktober 2014 geschönt haben. Bis zuletzt herrschte unter Senatoren und Juristen Zwist, ob diese Fiskaltricks als sogenanntes „Verbrechen gegen die Verantwortung“ eingestuft werden können – das muss laut Verfassung vorliegen, um ein Staatsoberhaupt absetzen zu können. Rousseff wiederholte bis zuletzt, dass sie unschuldig sei. Sie betonte, dass ihr weder Korruption noch Bereicherung im Amt vorgeworfen werden könne. Das unterscheidet sie von der Mehrzahl der brasilianischen Senatoren und Parlamentsabgeordneten, die über sie richteten: Gegen 60 Prozent von ihnen laufen Untersuchungen. Auch Rousseffs Amtsvorgänger sowie die Gouverneure und Bürgermeister in Brasilien wenden ähnliche Haushaltstricks an – ohne Konsequenz.

Steht Brasiliens Gesellschaft hinter der Absetzung Rousseffs?

Brasilien hat sich zwischen rechts und links polarisiert: Es ist ein ähnlicher Prozess wie in Europa zu beobachten. Die sozialen Netzwerke spielen dabei eine große Rolle. Ein Großteil der weißen Oberschicht im reicheren Südosten Brasiliens steht hinter der Absetzung Rousseffs. Dagegen sind die sozialen Bewegungen, Gewerkschaften und Intellektuelle. Drei Faktoren prägen das gesellschaftliche Klima: die tiefe Wirtschaftskrise mit dramatischer Inflation, steigender Arbeitslosigkeit und Minuswachstum. Der gigantische Korruptionsskandal um den staatlichen Erdölkonzern Petrobras, in den Rousseffs Arbeiterpartei (PT) verwickelt ist. Und drittens die konservativen Medienhäuser, die seit ihrer Wiederwahl 2014 täglich versuchen, sie als korrupt darzustellen – was sie nicht ist.

Stellt die Absetzung eine neue Art von Staatsstreich in Lateinamerika dar?

Es ist nicht das erste Mal, dass ein linkes Staatsoberhaupt in Lateinamerika mit fragwürdigen Verfahren von Konservativen abgesetzt wird. Die Ära der Militärcoups – meist von den USA unterstützt – hatte das politische Leben in Lateinamerika im 20. Jahrhundert bestimmt. Stattdessen werden unliebsame Staatsoberhäupter heute auf vorgeblich legalem Weg bekämpft. In Honduras wurde der linke Präsident Manuel Zelaya schon 2009 unter dubiosen Umständen vertrieben. 2012 setzte der Kongress in Paraguay den linken Präsidenten Fernando Lugo ab, der eine Landreform plante.

Beobachter fürchten, dass der „sanfte Putsch“ in Brasilien einen weiteren Präzedenzfall schaffen könnte. Eine nüchterne Analyse kommt zu dem Schluss, dass die politischen Systeme Lateinamerikas nicht funktionieren. In Brasilien muss sich etwa ein direkt gewählter Präsident seine Mehrheiten in einem Kongress mit 28 Parteien suchen. Diese aber folgen meist einzig den persönlichen Machtinteressen ihrer Führer. Eine Lesart lautet daher, dass die sture Dilma Rousseff zu wenige Egos in Brasília befriedigte.

Hat die Amtsenthebung Auswirkungen auf die Paralympischen Spiele, die nächste Woche in Rio de Janeiro beginnen?

Wohl nicht. Bis auf mögliche Demonstrationen für Rousseff in Rio oder vereinzelte Proteste gegen die neue Regierung in den olympischen Spielstätten – wie es sie auch während Olympia gab – werden die Besucher der Paralympics nichts von der politischen Lage mitbekommen.

Was hat die neue Regierung vor?

Unter Brasiliens neuem Präsidenten Michel Temer wird Brasiliens Politik konservativer. Sein oberstes Ziel, sagt er, sei die Konsolidierung des Haushalts, um das Vertrauen der Investoren zurückzugewinnen. Deswegen will Temer Staatseigentum und staatliche Leistungen privatisieren. So sollen Flughäfen in Rio de Janeiro und São Paulo privatisiert werden, ebenso Gefängnisse und sogar Kindergärten. Die unter Rousseff und ihrem Vorgänger Lula da Silva geschaffenen Sozialprogramme will Temer einschränken oder abschaffen. Darunter fallen das Alphabetisierungsprogramm, der soziale Häuserbau und viele Stipendien, beispielsweise für den Studentenaustausch. Auch die Rechte von Arbeitern will Temer einschränken, so soll das 13. Monatsgehalt abgeschafft werden. Im Kontrast zu den Sparmaßnahmen steht sein Vorhaben, das Gehalt der Obersten Richter Brasiliens von umgerechnet 9600 Euro auf 11200 Euro anzuheben. Es sind die Richter, die ihre legitimierende Hand über den Prozess gegen Rousseff hielten. Ihre Gehaltserhöhung hätte einen Kaskadeneffekt für alle Richter Brasiliens. Kein Brasilianer hat für diese Politik in einer Wahl abgestimmt.

Was wird aus der Korruptionsbekämpfung?

Das Thema bestimmte monatelang die brasilianischen Medien, ist aber in der Versenkung verschwunden, seit klar ist, dass Rousseff abgesetzt wird. Es ist zu befürchten, dass der Kampf gegen die Korruption nun endet – um zahlreiche Politiker zu schützen, die die neue Regierung unterstützen. Andeutungen in diese Richtungen kommen sowohl aus der Politik wie aus dem Justizapparat. Auch der neue Präsident Temer selbst steht unter Korruptionsverdacht.

Es ist der Eindruck entstanden, dass das Thema lediglich ein Vehikel war, um Stimmung gegen Rousseff zu machen. Tatsächlich haben Gesprächsmitschnitte bewiesen, dass viele Politiker in Brasília ein Ende der Korruptionsermittlungen erwarten. Sie bezeichneten Rousseff wörtlich als „die Kuh, die man den Piranhas opfern muss, um selbst ans andere Ufer zu gelangen“.

Welche Folgen gibt es für Deutschland?

Indirekte. Die 1200 deutschen Unternehmen, die in Brasilien ansässig sind, begrüßen den Machtwechsel mehrheitlich – sie hoffen auf eine wirtschaftliche Wiederbelebung. Rousseffs Wirtschaftspolitik, die auf staatliche Eingriffe setzte und dabei oft irrte, sahen sie mit großem Misstrauen. Im Auswärtigen Amt wird man sich derweil überlegen müssen, wie man mit einer Regierung umgeht, die nicht demokratisch legitimiert ist.

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