Krawall bei versuchter Abschiebung: Die Warnung von Ellwangen
Der massive Polizeieinsatz in der baden-württembergischen Kleinstadt war eine nötige Abschreckung. Doch das eigentliche Problem liegt in der Trägheit der Asylverfahren. Ein Kommentar.
Ellwangen ist nicht überall. Aber so etwas wie in Ellwangen könnte demnächst überall passieren – wenn die Polizei nicht in einem massiven Einsatz deutlich gemacht hätte, dass sie gewaltsames Vorgehen gegen Einsatzkräfte nicht duldet und eine Wiederholung mit aller Konsequenz unterbinden wird. Für Berliner Polizeibeamte, die nicht nur in der Rigaer Straße immer wieder angepöbelt, bedroht und attackiert werden, mag das nach blumiger Verheißung oder hohler Phrase klingen.
Aber die Vorgänge vom Montag in einem Lager für Asylbewerber hätten ohne Sanktion eine dramatisch-gefährliche Signalwirkung in ganz Deutschland und darüber hinaus gehabt. Denn in der Bevölkerung würde sich das Gefühl breitmachen, dieser Staat werde nun auch aggressiver Flüchtlinge nicht mehr Herr, nachdem er sich schon als unfähig erwiesen habe, die eigenen Grenzen zu schützen.
Zwischen der massenhaften Zuwanderung ab September 2015 sowie in den folgenden Monaten und den Zuständen in der Erstaufnahmeeinrichtung in Ellwangen heute gibt es keinen direkten, wohl aber einen thematischen Zusammenhang. Auf dem Höhepunkt der Flüchtlingskrise waren in der ehemaligen Kaserne bis zu 4500 Geflüchtete untergebracht. Nur dank des großen Engagements der Ellwanger Bevölkerung wurde diese Phase für alle Betroffenen menschenwürdig bewältigt. Heute leben in dem Heim 450 Menschen, neben einigen Familien überwiegend Alleinstehende, viele von ihnen schon länger.
Seehofers Idee braucht im deutschen Rechtsstaat Ergänzungen
Alle Erfahrung zeigt, dass Schutzsuchende, die mit ihrer Familie kommen, oft über Kita, Schule und Beruf in ein soziales Umfeld integriert werden und bald eine Heimat finden. Weil das so ist, rebellieren die Deutschen in ihrem Umfeld regelmäßig, wenn solche Zuwanderer nach Jahren plötzlich ausgewiesen werden sollen. Beides, die Situation der Alleinstehenden in Lagern, die, je länger sie auf einen Bescheid warten, immer deprimierter oder aggressiver werden, wie die Lage der Familien, die ebenfalls eine Entscheidung der Behörden über ihr Bleiberecht erwarten, führt zur gleichen Schlussfolgerung: Asylverfahren müssen viel schneller abgeschlossen werden.
Wenn die Idee von Bundesinnenminister Horst Seehofer zur Schaffung von Anker-Lagern für Geflüchtete einen Sinn ergeben soll, dann nur in Kombination mit einer Außenstelle des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge, des „Bamf“, das die Asylberechtigung grundsätzlich prüft, und einer Dependance des zuständigen Gerichts. Das entscheidet dann sofort über Einsprüche gegen die Entscheidung des Bamf. Solange Deutschland ein Rechtsstaat bleibt und keine „kurzen Prozesse“ machen will, ist dieser Ablauf unabdingbar.
Alles andere wäre nichts als eine Kasernierung wie in Ellwangen mit den Folgen, die jetzt zu beobachten und deren Wiederholung dort und an anderem Ort zu unterbinden ist. Auf keinen Fall darf sich bei Zufluchtsuchenden der Eindruck verfestigen, der deutsche Staat sei ein Popanz, den man durch Frechheit zum Zurückweichen bringen könne.
Im Blick auf das Schicksal der Familien von Geflüchteten, die seit Jahren in der örtlichen Gemeinschaft integriert sind, sollten die Bundesländer aber unter die vielen Altfälle endlich einen Schlussstrich ziehen. Diese Menschen brauchen ein Bleiberecht. Auch das wäre ein wichtiger Beitrag zum inneren Frieden.
Der Tagesspiegel kooperiert mit dem Umfrageinstitut Civey. Wenn Sie sich registrieren, tragen Sie zu besseren Ergebnissen bei. Mehr Informationen hier.
Gerd Appenzeller