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In der Landeserstaufnahmeeinrichtung für Flüchtlinge wird ein Mann von maskierten Polizisten eskortiert.
© Stefan Puchner/dpa
Update

Baden-Württemberg: Razzia in Flüchtlingsheim in Ellwangen - Polizei nimmt Asylbewerber fest

In Ellwangen verhindern bis zu 200 Asylbewerber die Abschiebung eines Afrikaners. Für Innenminister Seehofer ist der Vorfall "ein Schlag ins Gesicht der rechtstreuen Bevölkerung".

In der Nacht zum Montag verhinderten Flüchtlinge gewaltsam die Abschiebung eines Togolesen im baden-württembergischen Ellwangen. Am Donnerstagmorgen rückte die Polizei mit einem Großaufgebot in dessen Flüchtlingsunterkunft ein und nahm den 23-jährigen Asylbewerber in Gewahrsam. Die Beamten fanden und identifizierten den Mann in seinem Zimmer in der Unterkunft.

Der Einsatz hatte um 5.30 Uhr begonnen, die baden-württembergischen Behörden hatte hunderte Polizisten zusammengezogen, um die Einrichtung nach potenziellen Unruhestiftern zu durchsuchen. Die Polizei hatte Hinweise, "auf Strukturen, die behördliche Maßnahmen systematisch zu verhindern", sagte Polizeivizepräsident Bernhard Weber nach der Großrazzia. Ein Ziel des Einsatzes sei gewesen, diesen, möglicherweise bewaffneten, Widerstand zu verhindern. „Es besteht die Gefahr von einem rechtsfreiem Raum - das können und wollen wir nicht zulassen“, erklärte Weber.

Klares Signal senden

Beim ersten Versuch, den 23-Jährigen aus Togo festzusetzen, hatte es zu Wochenbeginn „eine Situation gegeben, wie man sie noch nie erlebt“ habe, sagte Weber. Es habe „Gewaltszenarien“ gegeben. Die Polizei hatte mit vier Beamten in zwei Streifenwagen den 23-jährigen Mann in der Flüchtlingsunterkunft für seine angeordnete Abschiebung abholen wollen. Zwischen 150 und 200 Asylbewerber hatten daraufhin die Abschiebung des Togolesen verhindert. Sie sollen Streifenwagen umringt und Polizisten bedrängt und somit erreicht haben, dass der Mann frei kam.

Die Beamten hätten sehr überlegt gehandelt und entschieden, den Abzuschiebenden dort zu lassen. Er sei den Polizisten sehr dankbar. „Ich weiß nicht, was sonst passiert wäre.“ In einer „so aggressiven und gewaltbereiten Ausnahmesituation“ habe man verhindern wollen, dass es Verletzte gibt, erklärte Weber. Weber erklärte, die Polizeipräsenz in Ellwangen zu verstärken, denn: „Das Sicherheitsgefühl der Bevölkerung hat gelitten.“

Mit dem Polizeieinsatz wollten die Behörden auch ein klares Signal setzen: Es sei mit darum gegangen, zu verhindern, das in anderen Flüchtlingseinrichtungen der Bundesrepublik der Eindruck entsteht, durch Widerstand könne der Vollzug von Abschiebungen verhindert werden, erklärte der Einsatzleiter Peter Hönle. „Wenn sich die Erkenntnis durchsetzt, dass man die Polizei mit einer organisierten Übermacht in die Flucht schlagen kann, hätte das verheerende Folgen. Deswegen werden wir schauen, in welcher Stärke wir künftig Abschiebungen durchführen - ohne Wenn und Aber.“

Polizeitransporter vor der Flüchtlingsunterkunft.
Polizeitransporter vor der Flüchtlingsunterkunft.
© Stefan Puchner/dpa

"Gastrecht mit Füßen getreten"

Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) bezeichnete die Vorfälle als "Schlag ins Gesicht der rechtstreuen Bevölkerung". In einer solchen Weise dürfe "das Gastrecht nicht mit Füßen getreten werden", sagte Seehofer in Berlin. Er betonte, „dass ich politisch voll hinter den Maßnahmen der baden-württembergischen Sicherheitsbehörden und der Polizei stehe“. Die empörenden Widerstandshandlungen müssten „mit aller Härte und Konsequenz verfolgt werden“.

Der Togolese sollte nach dem Dublin-Abkommen nach Italien zurückgeführt werden. Er und andere zehn Bewohner, die nach Polizeiangaben in der Vergangenheit wiederholt als Unruhestifter aufgefallen waren, wurden in andere Unterkünfte verlegt. Die Polizei leitete nach der verhinderten Abschiebung ein Ermittlungsverfahren unter anderem wegen des Tatbestandes der Gefangenenbefreiung sowie wegen des Verdachtes des Landfriedensbruches ein.

Im Flüchtlingsheim seien am Donnerstag außerdem fünf Bewohner festgestellt worden, die im Verdacht stünden, Drogendelikte beziehungsweise Diebstähle begangen zu haben. 26 Menschen hätten sich den polizeilichen Maßnahmen widersetzt. Die Polizei leitete Ermittlungen ein. Bei 18 Personen stellten die Beamten Bargeldbestände, die über der Selbstbehaltsgrenze von 350 Euro hinausgingen, sicher. Zudem wurden mehrere nicht zuordenbare oder gefälschte Dokumente festgestellt.

Die Landeserstaufnahmeeinrichtung (LEA) für Flüchtlinge in Ellwangen
Die Landeserstaufnahmeeinrichtung (LEA) für Flüchtlinge in Ellwangen
© dpa/Stefan Puchner

Bei dem Einsatz wurden elf Flüchtlinge und ein Polizeibeamter verletzt, die ambulant in einem Krankenhaus behandelt werden mussten. Weitere Personen wurden von Rettungskräften vor Ort versorgt, unter anderem wegen Prellungen. Mehrere Flüchtlinge waren aus Fenstern der Unterkunft gesprungen. In der Erstaufnahmeeinrichtung wohnen derzeit rund 500 Menschen, die überwiegend aus afrikanischen Ländern stammen.

"Recht und Gesetz durchsetzen"

Der großangelegte Polizeieinsatz sei notwendig gewesen, sagte Baden-Württembergs Innenminister Thomas Strobl (CDU), um künftige Widerstände gegen Abschiebungen eindämmen. Der Rechtsstaat werde Recht und Gesetz durchsetzen, dies gelte auch für Menschen, die hier in Deutschland Schutz suchten. „Wir werden Recht und Gesetz selbstverständlich auch in Landeserstaufnahmeeinrichtungen durchsetzen. In Ellwangen war es besonders nötig, weil im Raum steht, dass künftige Abschiebungen auch unter dem Einsatz von Waffengewalt durch widerständige Flüchtlinge verhindert werden sollen“, sagte Strobl.

Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) lobte den Großeinsatz. Die Polizei habe "mit der notwendigen Besonnenheit und heute mit der erforderlichen Konsequenz und Härte reagiert", sagte er "Heilbronner Stimme" und "Mannheimer Morgen". Die Übergriffe vom Montag nannte Kretschmann "in keiner Weise hinnehmbar".

"Gefährliches Staatsversagen"

Als Reaktion auf die verhinderte Abschiebung forderte der CDU-Innenpolitiker Armin Schuster ein härteres Durchgreifen der Sicherheitsbehörden. „In unserem Rechtsstaat gibt es eindeutige rote Linien, die mittlerweile beinahe täglich von Asylbewerbern vorsätzlich überschritten werden“, sagte Schuster „Focus Online“. „Das tolerante Entschuldigen solcher Entgleisungen ist jetzt völlig fehl am Platz, ich erwarte politische Rückendeckung auf allen Ebenen für mehr spürbare Härte im Vorgehen unserer Exekutivbehörden.“

Frust über eine mangelnde Bleibeperspektive rechtfertige keine Gewalt, sagte Grünen-Fraktionschef Anton Hofreiter. „Die Polizei hat die Aufgabe, Regeln und Gesetze durchzusetzen. Und an diese Regeln und Gesetze müssen sich alle halten.“

FDP-Innenexpertin Linda Teuteberg begrüßte das Vorgehen vom Donnerstag. "Es ist gut, dass die Polizei hier gleichermaßen zügig, entschlossen und besonnen gehandelt hat", erklärte sie. "Die Regeln des Rechtsstaats werden durchgesetzt - das ist das klare und richtige Signal des heutigen Tages." FDP-Chef Christian Lindner schrieb auf Twitter: "Wer kein Bleiberecht hat, muss konsequent abgeschoben werden."

Der konservative Flügel der Union bezeichnete die zunächst verhinderte Abschiebung als "gefährliches Staatsversagen". Solche Bilder wie in Ellwangen ließen "Bürger berechtigterweise massiv am Gewaltmonopol des Staates zweifeln und ermutigen Gewalttäter zu weiteren Aktionen dieser Art", erklärte der Vorsitzende der Werteunion, Alexander Mitsch.

Polizeigewerkschaft fordert Konsequenzen

Der Repräsentant des UNHCR in Deutschland, Dominik Bartsch, verurteilt die Gewalt gegen Polizisten in Ellwangen scharf. „Menschen, die nach langem Warten kurz vor einer Abschiebung stehen, sind in einer Ausnahmesituation. Das rechtfertigt jedoch keinen aggressiven Widerstand gegen eine rechtsstaatlich getroffene Entscheidung und erst recht keine Gewalt."

Die Deutsche Polizeigewerkschaft verlangte harte Konsequenzen. "Wer Polizeikräfte angreift, darf keine Stunde mehr in Freiheit sein, bis er zurück in seinem Herkunftsland ist", sagte der Bundesvorsitzende Rainer Wendt. In einer Erklärung forderte er "ein Konzept für Einsätze in solchen Unterkünften", damit derartige "Eskalationen" künftig verhindert würden. (mit dpa, AFP, epd)

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