Debatte über Zuwanderung: Die Union tut sich schwer mit dem Fremden
Der jüngste Vorstoß kam von CDU-Generalsekretär Peter Tauber: Deutschland brauche ein neues Einwanderungsgesetz. Doch die Union ist uneins über mögliche Regeln für den Zuzug von potenziellen Fachkräften. Warum?
Die Debatte schien beendet, bevor sie angefangen hatte. Mitten in die ersten Reaktionen auf den Terror von Paris hatte CDU-Generalsekretär Peter Tauber ein neues Zuwanderungsgesetz gefordert. Der Vorstoß verblüffte Parteifreunde – und erfreute die politische Konkurrenz. Er galt aber rasch als erledigt, als CDU-Chefin Angela Merkel bei der Vorstandsklausur in Hamburg lauwarm reagierte: Darüber müsse man mal weiter reden. Doch als sich am Dienstag die CDU/CSU-Fraktion traf, brach die Debatte prompt auf. Die Innenpolitiker machten Front gegen den General.
Wieso die Aufregung gerade jetzt?
Das Bemerkenswerteste an der Aussprache ist vielleicht, dass beide Seiten sie im Grunde prima fanden. "Endlich wird mal bei uns diskutiert!", freuen sich Tauber-Gegner ebenso wie seine Unterstützer. Ausgelöst wurde die Diskussion vom Fraktionschef selbst. Volker Kauder ließ erkennen, dass er von dem Vorstoß schon deshalb nichts hielt, weil er der SPD eine Steilvorlage biete. Doch Gespräche mit dem Koalitionspartner über ein neues Zuwanderungsgesetz, versicherte der Fraktionschef, werde es nicht geben.
Was bemängeln die Kritiker am Vorstoß?
Das Stichwort "Gesetz" rief die Innenpolitiker auf den Plan. Wolfgang Bosbach, Vorsitzende des Innenausschusses, meldete sich zu Wort, der Parlamentarische Staatssekretär Ole Schröder aus dem Innenministerium, der Rechtspolitiker Reinhard Grindel. Sie alle zeigten Unverständnis für eine Forderung, die den Eindruck erwecke, als finde Zuwanderung hierzulande im rechtsfreien Raum statt. "Wir haben doch ein umfangreiches Zuwanderungsrecht!", rief Schröder. Bosbach merkt an, das deutsche Recht sei zwar "zugegeben sehr kompliziert". Aber das liege in der Natur der Sache: Anders als klassische Zuwanderungsländer, die sich ihre Einwanderer sozusagen aussuchen könnten, sei Deutschland durch die EU-Freizügigkeit und seine ziemlich einzigartigen Verfassungsgarantien für Flüchtlinge und Asylsuchende in seiner Gestaltungsfreiheit eingeschränkt.
Bosbach ärgert aber noch etwas anderes: "Die Befürworter eines neuen Gesetzes verweigern konsequent die Antwort auf die zwei Fragen, wer künftig zusätzlich zu uns kommen soll – und wer dann nicht mehr kommen soll." Am Ende werde wieder nur die Ausweitung von Zuwanderung stehen. "Wenn man das will, muss man das sagen", sagt Bosbach. Aber was Tauber will, berichten selbst Wohlgesonnene, das sei dann doch eher unklar geblieben.
Hat Tauber auch Unterstützer?
Tauber zur Seite sprangen Präsidiumsmitglied Jens Spahn und der Abgeordnete Thomas Jarzombek aus NRW. Der Generalsekretär selbst nannte Beispiele, wo er Nachholbedarf sieht: etwa, dass in seinem Wahlkreis jemand zwölf Wochen warten musste, bis über seinen Antrag entschieden war. Nicht zu Wort meldete sich diesmal der Wirtschaftsflügel. Dessen Vormann Carsten Linnemann hatte sich aber schon früher hinter Taubers Vorstoß gestellt – die Wirtschaft brauche weit mehr Fachkräfte, als das geburtenschwache Land hervorbringen könne.
Geht es da wirklich nur um die Sache?
Sicher nicht. Offen ausgesprochen hat es niemand, aber unter der Hand werten beide Seiten die Auseinandersetzung auch als eine Art Stellvertreterdebatte. In Zeiten islamistischen Terrors und nicht abreißender "Pegida"-Demonstrationen stecke in der Zuwanderungsfrage natürlich stets die Frage nach der Haltung der Union zu den Fremden. Diese Haltung ist allerdings zunehmend kompliziert. Einerseits wirkt bei vielen noch die ideologisch aufgeladene Kontroverse um "Multikulti" und um das Asylrecht nach. Auch das Unbehagen vieler Bürger macht auf Abgeordnete Eindruck. Als jetzt sogar Merkel erklärte, der Islam gehöre zu Deutschland, stieß das nicht nur den wenigen auf, die dagegen öffentlich Bedenken anmeldeten.
Andererseits sehen auch führende Unionsleute, dass Deutschland längst eins der größten Einwanderungsländer ist und bleiben wird. Alleine der Zustrom an Flüchtlingen aus den Kriegen im Nahen Osten wird anhalten; Innenminister Thomas de Maizière hat das der Unionsfraktion in derselben Sitzung klar vor Augen gehalten. Entsprechend gespalten das Urteil, wie es weitergeht. "Taubers Vorstoß ist erledigt", sagt einer seiner Gegner. "Wir brauchen vielleicht kein Gesetz", sagt einer seiner Unterstützer. "Aber an dem Thema müssen wir dranbleiben."
Welche Position nimmt die SPD ein?
Sie tat, was Kauder vorhergesagt hatte: Die Sozialdemokraten nehmen Taubers Anstoß dankbar auf. Sie wollen bis Ende Februar einen eigenen Vorschlag präsentieren. Das neue Gesetz solle Antworten auf die demografische Herausforderung geben. Auf der Klausur der SPD-Fraktion vergangene Woche rechnete Herbert Brücker vom Nürnberger Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung vor, dass jedes Jahr 400 000 Menschen mehr aus dem Arbeitsmarkt ausscheiden, als neu in ihn eintreten. Die Schlussfolgerung von Fraktionschef ThomasFraktionschef Thomas Opperman Oppermann: "Einwanderung ist ökonomisch notwendig. Wer auf Einwanderung verzichten will, gefährdet unseren Wohlstand." Er argumentierte, die neue Regelung könne auch rechtspopulistische Ressentiments gegen Fremde zurückdrängen. Ein klar gefasstes Zuwanderungsgesetz sei besser verständlich als die heutigen Regelungen.