Scholz als SPD-Kanzlerkandidat: Die Tücken des Projekts „Olaf 2021“
Vizekanzler Olaf Scholz soll die SPD in den Bundestagswahlkampf führen. Fünf Hindernisse, die ihm seinen Traum vom Kanzleramt verhageln könnten.
Olaf Scholz ist stets bemüht, dass sich Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans ein Bild von seinen Kanzlerfähigkeiten machen können. Im Vorfeld der Verhandlungen über das Konjunkturpaket bekamen die SPD-Vorsitzenden alle Vorlagen detailliert erklärt. Sie konnten sich überzeugen, wie geölt die Krisenmaschine im Ministerium läuft, zudem wurde bei den Verhandlungen Eskens' Prestigeprojekt eines Kinderbonus von 300 Euro durchgesetzt.
Offizielle Nominierung bis September
Am 31. August, 7. und 14. September sind SPD-Präsidiumssitzungen angesetzt. An einem der Termine könnte Scholz von Esken und Walter-Borjans zum Kanzlerkandidaten ausgerufen werden. Gespräche mit SPD-Politikern zeigen: Die Entscheidung zugunsten von Scholz gilt als sicher, in der Bundestagsfraktion ist die Tendenz glasklar, sogar SPD-Vize und Juso-Chef Kevin Kühnert fällt mit lobenden Worten auf.
Scholz war wegen seines Einsatzes für die große Koalition im linken Lager fast verhasst, unterlag im Kampf um den Parteivorsitz und ist nun einer der Corona-Krisengewinner. „Er macht seinen Job in diesen Tagen einfach verdammt gut. Wir alle können froh sein, dass mit Olaf Scholz ein Sozialdemokrat Finanzminister ist, Sicherheit ausstrahlt und nicht aus ideologischen Gründen mit dem Geld knausert“, sagte Kühnert dem „Spiegel“.
Doch auch wenn der SPD mal keine Sturzgeburt droht - nach der Nominierung im Spätsommer und dem „Krönungsparteitag“ im März, droht allen ein komplizierter Wahlkampf.
1. Die Steinbrück-Falle
Scholz glaubt, mit dem richtigen Kandidaten könne die SPD schnell mal zehn Punkte mehr bekommen, die aktuellen Umfragen mit Werten von 15 Prozent, lassen das Kanzleramt weit weg erscheinen - die Beliebtheit von Scholz strahlt nicht auf seine Partei ab, er wird nicht als der Teil wahrgenommen, der die SPD verkörpert. Olaf Scholz ist ein Kandidat der Mitte, der auf eine Ampel-Koalition mit Grünen und FDP schielt, dafür müsste er aber erst einmal die SPD vor den Grünen mit dem möglichen Spitzenkandidaten Robert Habeck platzieren.
Doch ihm könnte das Schicksal von Peer Steinbrück 2013 widerfahren, der ein linkes Programm verpasst bekam und dies neben vielen anderen Unzulänglichkeiten seinen Wahlkampf verhagelte.
Nach der Bundestagswahl 2017 mit dem Negativrekordergebnis von 20,5 Prozent ließ die Parteiführung die Gründe für die Niederlagen der letzten Jahre von Experten aufarbeiten. „Der Kampf ums Kanzleramt ist eine unglaubliche Belastungsprobe“, heißt es in der Analyse mit dem Titel „Aus Fehlern lernen“. Eine ihrer wichtigsten Lehren: Die Kandidatin oder der Kandidat sollte frühzeitig ausgerufen werden - das soll nun passieren. Und zwar weit vor der Union, die erst im Dezember noch den CDU-Vorsitz klären und dann zwischen CDU und CSU den Kandidaten auserwählen muss. Das soll einen Startvorteil bei der Bewerbung um die Nachfolge der nicht mehr antretenden Kanzlerin Angela Merkel (CDU) bringen.
„Vertrauen im Team, klare Verantwortlichkeiten, eingespielte Abläufe auf Basis einer gemeinsam erarbeiteten tragfähigen Strategie sind handwerkliche Grundlagen einer Kampagne“, schreiben die Autoren in der Fehleranalyse zu den zurückliegenden Wahlkämpfen.. Wenn Scholz anders als Steinbrück als glaubwürdiger Vertreter der SPD wahrgenommen werden will, muss er verhindern, dass die Partei ihm ein Programm mit radikal linken Forderungen überstülpt, das nicht zu seinem Pragmatismus passt - aber Esken und Walter-Borjans sind mit dem Versprechen eines Linksschwenks gewählt worden, sie stehen eher für die Option Rot-Rot-Grün.
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Steinbrück hatte 2013 zwar „Beinfreiheit“ gegenüber der Partei für sich reklamiert, sah sich nach etlichen Skandalen und der Debatte um seine Nebeneinkünfte dann aber gezwungen, klein beizugeben, um die Unterstützung der Funktionäre nicht zu verlieren. Ergebnis laut Wahlanalyse: „Am Ende kämpfte die Partei für einen Kandidaten, der sie nicht überzeugte und dieser für ein Programm, von dem er nicht überzeugt war.“
Der linke Flügel der Partei will nun auch bei Scholz dem Programm seine eigene Handschrift verpassen, bevor der ausgerufen ist. „Person muss Programm folgen“, fordert etwa die linke Bundestagsabgeordnete Hilde Mattheis. Auf einen Vorteil kann Scholz bauen: Anders als Steinbrück oder der Kandidat Martin Schulz verfügt er über ein eingespieltes Team,, dazu gehören Staatssekretär Wolfgang Schmidt und Sprecher Steffen Hebestreit. Die Scholz-Kampagne könnte Frank Stauss in Szene setzen, der auch die Wahlkämpfe von Scholz in Hamburg begleitet hat.
Scholz’ Vorteil im Vergleich etwa zu Steinbrück: Er ist als langjähriger Spitzenpolitiker „auserzählt“, wie es in der SPD heißt. Nach einer Ausrufung würden sich die Scheinwerfer der öffentlichen Aufmerksamkeit nicht zum ersten Mal auf ihn richten. Unliebsame Überraschungen, wie sie mit Steinbrücks üppigen Honoraren ans Licht kamen, gelten als unwahrscheinlich.
2. Markus Söder
Als sich letztens Olaf Scholz für eine „Spiegel“-Geschichte zum 100. Todestag von Max Weber mit dessen Aufsatz „Politik als Beruf“ auseinandersetzte und sich mit dem Reclambüchlein als Politiker mit Ethos und Verantwortung (aber ohne großes Charisma) in Szene setzte, meinte ein ihm nicht wohlgesonnener Genosse: „Der Fürst von Machiavelli würde besser auf ihn passen.“ Scholz kann Machtpolitik, wenngleich sein Umfeld mitunter Stimmungen kolossal falsch einschätzt, wie die Pleite bei der Bewerbung um den Vorsitz zeigte. Der Genosse betont: „Wenn Söder kommt, kann Olaf seine Reclam-Sammlung einpacken.“
Gegen einen Friedrich Merz oder einen Armin Laschet als Kanzlerkandidaten der Union rechnet sich die SPD durchaus Chancen aus. Als Laschet nun den Eindruck erweckte, Rumänen oder Bulgaren hätten das Coronavirus in die Fleischfabrik Tönnies eingeschleppt, schoss man sich von Generalsekretär Lars Klingbeil bis zu Außenminister Heiko Maas auf Laschet ein. Söder wäre schwieriger zu packen - auch wennnoch nie ein CSU-Mann Kanzler geworden ist. Er wirkt entschlossen, hat die CSU Richtung Grüne koalitionsfähiger gemacht, kommt volksnah rüber und kann auf breiten Rückhalt der Union hoffen, während bei der SPD über kurz oder lang mit Kritik am Kandidaten zu rechnen ist.
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3. Die Rumms-Gefahr
Laut einer Umfrage unter SPD-Anhängern ist Scholz auch wegen seiner Krisenpolitik in der Corona-Zeit der klar präferierte Kandidat. Aber die große Frage ist, ob das von ihm mit konzipierte 130-Milliarden Konjunkturpaket funktioniert oder ob statt dem „Wumms“ ein „Rumms“ droht, der ihn als Teil der Regierung wieder Ansehen kosten könnte.
Der Autor und SPD-Kenner Nils Heisterhagen glaubt, dasss Scholz nur als überzeugter „Keynesianer“ eine Chance habe, der die Krise und die niedrigen Zinsen bewusst nutzt, um sich ökonomisch dauerhaft von der „schwarzen Null“ zu verabschieden. „Wir brauchen in Deutschland ein Konjunkturpaket für ein Jahrzehnt mit 450 Milliarden Euro an Investitionen zusätzlich.“ Scholz wirke manchmal wie ein langweiliger Technokrat. „Einem leidenschaftlicheren Olaf Scholz stünden alle Türen offen.“ Und er müsse Debatten prägen, für Überzeugungen kämpfen. „Ein Behördenleiter Scholz würde nicht gewählt. Aber ein Erklärer Scholz schon.“
4. Steuererhöhungspartei
Angesichts der Milliardenkosten durch die Coronakrise will Scholz höhere Steuern für besonders vermögende Bürger. Die Bürger, die „sehr, sehr viel verdienen, sollten einen etwas höheren Beitrag leisten“, sagt Scholz. Das soll auch im Wahlprogramm stehen, das er als Teil der 21-köpfigen Programmkommission erarbeitet. Er verweist als Richtschnur auf das Wahlprogramm 2017, wo die Partei einen Spitzensteuersatz von 45 Prozent und die Einführung einer Reichensteuer gefordert hatte. Diese Steuer in Höhe von drei Prozent auf den Spitzensteuersatz sollte ab einem zu versteuernden Einkommen für Ledige von 250.000 Euro gezahlt werden.
Doch hierhin liegt die Gefahr früherer Wahlkämpfe. Die Union kann die SPD als Steuererhöher angreifen, zudem auf die komplette Abschafgfung des Soli pochen. Und wie sehr Scholz fürchtet, dass CSU-Chef Söder Wahlkampf machen könnte mit der eigentlich nur bis Jahresende befristeten Mehrwertsteuersenkung zeigt sich darin, dass er immer wieder betont, die Spitzen von Union und SPD, auch Söder hätten sich quasi in die Hand versprochen, das der Steuerrabatt nur bis Ende 2020 gelten soll.
5. Hamburg ist nicht Berlin
Der heutige Finanzminister holte als Spitzenkandidat mit seiner Partei in Hamburg 2011 die absolute Mehrheit und vier Jahre später 45,6 Prozent – für die Verhältnisse der Bundes-SPD Traumwerte. Sein Versprechen „Wer bei mir Führung bestellt, bekommt auch Führung“ schien aufzugehen. Eine ähnlich starke Loyalität kann Scholz von seiner Bundespartei nicht erwarten. Auch gibt es Zweifel, ob die Bindekraft, die Scholz den Hamburgern gegenüber entfaltete, im Rest der Republik wirkt. In der Corona-Krise hat er aber seine Beliebtheitswerte um rund 15 Prozentpunkte gesteigert.
In Hamburg war Scholz Garant einer wirtschafts- und arbeitsplatz-orientierten Politik, die ihre gesunde ökonomische Basis nutzte, um den sozialen Zusammenhalt der Stadtgesellschaft zu sichern – mit massiven Investitionen in den sozialen Wohnungsbau und die Ganztagesbetreuung. Er zeigte sich stolz darauf, als erstes Bundesland Migranten nach sieben Jahren Leben in Deutschland routinemäßig die Einbürgerung anzubieten.
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Mit einem rot-rot-grünen Regierungsbündnis im Bund, das viele SPD-Funktionäre anstreben, hat Scholz wenig im Sinn. Sofern die Liberalen sich nicht sperren (oder es vor der Wahl ausschließen) und die SPD nicht hinter den Grünen landet, würde er wohl lieber so ein Bündnis eingehen. Dafür zeigt auch der Chef der mächtigen NRW-SPD, Sebastian Hartmann, Sympathien. „Wir sollten die Frage klären, ob wir gemeinsam mit den Grünen und den Liberalen unser Land besser erneuern können“, fordert er und spricht davon, dass es „viele Gemeinsamkeiten“ gebe.
Doch die SPD verliert gerade reihenweise gestandene Politiker, die so ein Bündnis stützen könnten. Und auch wenn man sich freute über den erneuten Sieg der Hamburger SPD unter Scholz’ Nachfolger Peter Tschentscher - der dortige Kurs der ist nicht unbedingt der der Bundes-SPD, mit den Gewerkschaften liegt die Führung über kreuz, weil man sich strikt gegen Kaufprämien für Verbrenner-Autos stellte. Anders als in Hamburg sind die Werte beim Zutrauen in die SPD in Sachen wirtschaftliche Kompetenz und innere Sicherheit katastrophal schlecht.
Wenn der Kanzlerkandidat daran etwas ändern will, muss er auch seine Partei verändern - und daran könnte das Projekt „Olaf 2021“ am Ende scheitern.