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Rivalen: NRW-Ministerpräsident Armin Laschet (CDU) und Bayern Regierungschef Markus Söder (CSU)
© Imago/Sven Simon

Wer kann die Coronakrise für sich nutzen?: Der Virus-Bruderkampf in der Union

Der Waffenstillstand durch die Coronakrise ist längst beendet. Das Rennen um CDU-Spitze und Kanzlerkandidatur nimmt wieder Fahrt auf. Verschiebt sich etwas?

Den ersten Teil der Wette hat Armin Laschet gewonnen. Oder vielleicht sollten wir vorsichtiger sagen: Er hat sie nicht verloren. Man muss sich ja nur kurz mal ausmalen, was passiert wäre, wenn die Zahl der neuen Corona-Fälle Anfang dieser Woche in die Höhe geschossen wäre. Viel wäre nicht mehr übrig geblieben von dem nordrhein-westfälischen Ministerpräsidenten und Kandidaten für den CDU-Vorsitz. Die hämischen Kommentare über den forschen Lockerer! Der Twitter-Sturm! Und der Söder – der hätte ihn glatt zum Frühstücksfernsehen verspeist.

Aber so ist es eben nicht. Die Zahlen sinken. Vorerst kommt also weiter der Artikel 3 des Rheinischen Grundgesetzes zur Anwendung, ein Glaubenssatz, auf den der Aachener in der Düsseldorfer Staatskanzlei seit Wochen baut: Et hätt noch emmer joot jejange – Es ist noch immer gut gegangen.

Auf der inoffiziellen Anzeigetafel für das Rennen, das offiziell gar nicht stattfindet, ergibt das einen Punkt für Team Laschet. Das muss nicht viel heißen in dieser schnelllebigen Krise. Aber es sollte schon deshalb festgehalten werden, weil sich in den letzten Wochen der Eindruck verbreitet hat, das Rennen um den CDU-Vorsitz sei praktisch abgesagt, und es gehe stattdessen gleich um die Kanzlerkandidatur. Abgesagt ist aber bloß der Sonderparteitag.

Und die amtierende Parteivorsitzende Annegret Kramp-Karrenbauer wiederholt regelmäßig, dass sie erstens ihren Rücktritt im Nachhinein wirklich nicht bedauere und zweitens die Frage nach ihrem Nachfolger „in der Bundesrepublik Deutschland, aber auch in unserer eigenen Partei im Moment niemanden ernsthaft interessiert“.

Letztes stimmt bloß nicht. Genauer gesagt: Es stimmt nicht mehr.

Die Kanzlerin rückte wieder ans Steuer

Als die Coronakrise noch frisch war, drängte sie tatsächlich alle anderen Fragen an den Rand. Die Kandidaten schafften es vorher gerade noch, sich öffentlich zu präsentieren. Dann übernahm das Virus das Regiment. Die Kanzlerin, eben noch Auslaufmodell, stand wieder am Steuer und im Zentrum. Friedrich Merz verschwand in Quarantäne in Niedereimer, wo er seine Coronainfektion auskurierte und per Twitter-Tagebuch über An- und Abschwellen seines Schnupfens informierte.

Norbert Röttgen war in der Coronakrise bislang fast unsichtbar.
Norbert Röttgen war in der Coronakrise bislang fast unsichtbar.
© Michael Kappeler/dpa

Norbert Röttgen lobte die Kanzlerin, diagnostizierte die „Stunde der Exekutive“ und meldete sich vorläufig ab. Erst vor kurzem tauchte er kurz auf, mit einer Warnung vor Lockermacherei. Jens Spahn wird als Gesundheitsminister zur Kenntnis genommen, nicht als Laschets Co-Kandidat.

Nur Laschet steht voll im Rampenlicht. Er drängelt sich regelrecht dahin. Von der Sache her zwingend war das nicht. NRW ist das größte Bundesland, und es hatte nach dem Karneval von Heinsberg einen der ersten Corona-Herde. Aber ansonsten, finden etliche in der CDU, hätte es vollauf genügt, als gewichtige Ministerpräsidenten-Stimme im Länderchor mitzusingen und schmunzelnd zuzusehen, wie die Umfragewerte der Union steigen. „Er hätte sich einfach in die Sonne neben Angela Merkel stellen können“, sagt kopfschüttelnd einer aus der Parteiführung.

Armin Laschet hat ein gute Gedächtnis

Wenn da nicht der Söder gewesen wäre. Markus Söder ist seit seinem umjubelten Gastauftritt beim letzten CDU-Parteitag Ende 2019 so etwas wie der Geheimfavorit vieler CDU-Konservativer, denen der einstige Liebling Merz damals dann doch zu viele Patzer hingelegt hatte. Von heute aus wirkt das zwar wie graue Vorzeit – war mal was mit Thüringen und „grottenschlecht“? Aber Laschet hat ein gutes Gedächtnis. Es hat ihm darum gleich nicht gefallen, als der Bayer in der anschwellenden Coronakrise allseits als Musterbild eines ebenso klugen wie starken Krisenmanagers gefeiert wurde.

Der Startschuss zum Bruderkrieg fiel am 13. März. Am Tag vorher hatten sich die Ministerpräsidenten mit Merkel geeinigt, es bei Schritten wie dem Verbot von Großveranstaltungen zu belassen. Keine 24 Stunden später preschte Söder vor. Als amtierender Chef der Länderkonferenz wäre er besonders zur Disziplin verpflichtet gewesen. Die anderen waren stinksauer. Laschet sah die Chance, den vorlauten Bayern zu bremsen. Er schmiedete mit elf Länderchefs an Söder vorbei eine Vorlage für den nächsten Kanzlerin-Gipfel.

Merkel war aber nicht auf Streit aus, sondern auf Einigkeit. Sie nahm die Liste kurz zur Kenntnis. Söder schob sie verärgert beiseite. Dann schlossen sich alle den Bayern an, soweit sie es nicht schon getan hatten.

Harte Hunde sind gefragt. Und umsichtige Landesväter

Damals konnte man aus Düsseldorf zum ersten Mal hören, was seither zur Strategie gerann: „Als harter Hund in die Beschränkungen hineintreiben ist nicht so schwer“, ätzte einer aus dem Laschet-Lager. Wenn es aber hinterher um den Weg aus dem Lockdown hinaus gehe, dann werde ein anderer Typ Politiker gefragt sein. Ein einfühlsamer, verständnisvoller, umsichtiger Landesvater eben.

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Theoretisch klang das nach einem sehr guten Plan. Praktisch erweist er sich als schwierig. Das hängt auch mit einem Charakterunterschied zusammen. Söder ist ein Alphatier mit raumgreifender Präsenz, abgehärtet bis zur Rücksichtslosigkeit in christsozialen Intrigen und Machtkämpfen. Der gelernte Rundfunkjournalist findet außerdem, dass dass Leben zu kurz sei, um sich einen Scherz auf anderer Leute Kosten zu verkneifen. Als sich nach der letzten Bund-Länder-Schalte die Nordlichter Merkel und Hamburgs Bürgermeister Peter Tschentscher mit ihm über lohnende Urlaubsziele in Coronazeiten neckten, resümierte Söder trocken: „Süden und Norden – der Westen ist da nicht dabei.“

Der Auftritt bei "Anne Will" kam nicht gut an

Vielleicht ganz gut, dass Laschet nicht im Kanzleramt mit auf dem Podium saß. Nicht, dass der Rheinländer nicht auch gelernter Journalist ist und auch schlagfertig sein kann. Aber wenn bei Söder Dinge nicht nach Plan laufen, zieht der ein strenges Gesicht und ändert flugs den Plan. Laschet kann schon mal etwas beleidigt dreinschauen. So wie neulich bei „Anne Will“, als er sich furchtbar über die Virologen echauffierte, die dauernd mit neuen Zahlen und Zielen hantierten.

Der Auftritt kam nicht so gut an, schon weil der gelernte Epidemiologe und SPD-Gesundheitspolitiker Karl Lauterbach ihn sinngemäß zurechtwies, dass sich ein Verantwortlicher um Grundkenntnisse über eine Pandemie bemühen müsse. Geradezu komisch wird der Auftritt, wenn man sich daran erinnert, dass Laschet selbst einen Virologen als Kronzeugen für zügige Lockerungen benutzen wollte. Der ehrgeizige Bonner Forscher Hendrik Streeck sollte mit seinem „Heinsberg-Protokoll“ aus dem frühen Corona-Hotspot Belege dafür liefern, dass der harte Lockdown nicht mehr nötig sei.

Das Manöver misslang. Zu durchsichtig der Einsatz professioneller PR-Helfer, zu mager die vorläufigen Befunde, die der Hofzauberer in der Eile liefern konnte. Streeck merkte gerade noch rechtzeitig, dass er seine Fachreputation gefährdete. Seither hält er sich mit Ratschlägen an die Politik dezidiert zurück.

Laschet musste ohne wissenschaftliche Beglaubigung in die nächste Bund-Länder-Runde. Dort wurde einiges gelockert, aber längst nicht so viel, wie der Nordrhein-Westfale gedacht hatte. Anderntags musste er gleich in der Frühe den einen oder anderen Verbandsvertreter anrufen, dem er vorher Hoffnungen gemacht hatte, und um Aufschub bitten: Er würde ja gerne – aber man wolle im Länderkreis zusammenbleiben.

„Ich hatte gehofft, er kriegt sich in den Griff“

Nun könnte man nach alledem meinen, dass sich der Kandidat Laschet ziemlich verzockt hat. Es gibt in der CDU eine Menge Leute, die das genau so sehen. „Ich hatte gehofft, er kriegt sich in den Griff“, sagt einer, der Laschet als liberalen Vertreter eines Merkel-Kurses eigentlich gerne seine Stimme geben würde. „Aber er hat ja doch etliche der Qualitäten vermissen lassen, die man sich bei einem künftigen Kanzler wünscht.“

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Doch es gibt auch andere Stimmen. Manche nehmen Laschet in Schutz: Er habe halt einen schwierigen Koalitionspartner. Die FDP-Schulministerin hat mitten in die letzte Bund-Länder-Runde hinein die Schulöffnung für NRW zum 11. Mai verkünden lassen. Laschet musste das einkassieren und wird jetzt von Lehrern und Eltern beschimpft wegen unklarerer Verhältnisse. Der FDP-Familienminister droht mit Alleingang bei der Kita-Öffnung. Dahinter schimmert die Christian-Lindner-Linie durch. Der FDP-Chef hat neulich erst verkündet, ihm könne keiner Angst machen mit einer zweiten Welle, ganz so, als sei der Kampf gegen ein Virus eine Mutprobe.

Die Lage ist dynamisch

Es gibt aber neuerdings auch Laschet-Bewunderer von ganz ungewohnter Seite. Unter wirtschaftsnahen Christdemokraten galt der 59-Jährige bisher als Bruder Leichtfuß mit schwarz-grüner Prägung. Dass er sich jetzt so hartnäckig auch gegen Merkel für die Interessen der heimischen Wirtschaft stark macht – und sei es für den Küchenmöbelbau in Ostwestfalen –, imponiert vielen. „Ohne Laschet wäre es doch gar nicht erst zu den Ladenöffnungen gekommen“, glaubt einer aus diesem Kreis.

Bisher war die Truppe klar dem Friedrich-Merz-Lager zuzurechnen. Verschiebt sich da gerade etwas? Schwer zu sagen. Die Lage ist dynamisch. Wenn Merkel und die Ministerpräsidenten sich an diesem Mittwoch zusammentelefonieren, ist Laschets frisch erworbener Orden wider den ernsten Lockdown womöglich schon weiter gewandert an Leute wie Rainer Haseloff (CDU, Sachsen-Anhalt) oder Stefan Weil (SPD, Niedersachsen). Söder bringt auch einen Langfrist-Plan mit. Also, wirklich schwer zu sagen.

Friedrich Merz (rechts) taucht erst langsam wieder auf. Jens Spahn wird immerhin als Gesundheitsminister wahrgenommen.
Friedrich Merz (rechts) taucht erst langsam wieder auf. Jens Spahn wird immerhin als Gesundheitsminister wahrgenommen.
© imago images/photothek

Leicht festzustellen ist hingegen, dass der Kandidat Merz ebenfalls auf dem Weg zurück in den Wahlkampfmodus ist. Der Sauerländer hat es dabei nicht leicht. Sein natürliches Turnierfeld sind die Hallen voller treuer Fans. Aber im Konrad-Adenauer-Haus zerbrechen sie sich ja schon den Kopf, wie man wenigstens den ordentlichen CDU-Parteitag in den Stuttgarter Messehallen Anfang Dezember so auf Abstand organisieren kann, dass er nicht zum Corona-Hotspot wird.

Mit Jubelbildern wird es vorher nichts. Merz muss sich auf Interviews beschränken. Was den Umgang mit Corona angeht, folgt seine Positionierung grob der Konjunktur: Anfangs vor allem der Vorsicht, sogar ein Lob für Merkel ist dabei; diese Woche diagnostiziert er, dass „die Stimmung in der Bevölkerung kippt“, und fordert: „Eine behutsame Lockerung muss jetzt sein.“ Aber sein zentraler Wahlkampfhit zielt auf die Zeit danach. Im Bundestagswahlkampf, hat er schon früh zu Protokoll gegeben, werde es darum gehen, die Wirtschaft wieder in Gang zu bringen. Und wer sollte dazu wohl als christdemokratischer Kanzlerkandidat geeigneter sein? Fans munkeln schon, ein Wirtschaftskonzept sei in Arbeit.

Er will in Bayern bleiben. Sagt er

Fragt sich nur, ob es überhaupt einen christdemokratischen Kanzlerkandidaten geben wird – oder nicht gleich einen christsozialen? Söders Popularität ist ungebrochen. Sie reicht weit über die C-Parteien hinaus. Dass er rituell versichert, sein Platz sei und bleibe in Bayern, wollen ihm viele nicht glauben. Wobei es schon interessant ist, dass ausgerechnet Leute, die ihn gut kennen, ihm diese Versicherung abnehmen. Die Hakeleien mit Laschet lieferten keinen Gegenbeweis. Sich selbst auf Kosten anderer nach vorn zu boxen, sei nun mal Söders Natur: „Wenn es ihm bloß um Bayern geht, würde er sich ganz genau so verhalten.“

Die Söder-Anhänger in der CDU setzen trotzdem darauf, dass er vielleicht bloß gebeten werden will. Dabei gibt es allerdings ein Problem. Es erwächst aus dem Umstand, dass Söder, wie man es dreht und wendet, nicht CDU-Chef werden kann.

Gut, mag man sagen, wählen sie halt einen. Aber je genauer man sich die Szenerie ausmalt, desto absurder wird sie. Im Dezember kürt die CDU per Kampfabstimmung den neuen Vorsitzenden. Der wird bejubelt. Tags drauf kommt der CSU-Chef zum Grußwort vorbei. Und wird – ja, was: Noch mehr bejubelt? Von der Jungen Union mit „Kanzler, Kanzler“-Rufen angefeuert? Selbst Söder-Fans wiegen da plötzlich bedenklich den Kopf.

Nein, die CDU kann nicht ein knappes Jahr vor der Bundestagswahl jemanden an ihre Spitze heben, der nicht selbst den Anspruch auf das Kanzleramt erhebt. Der könnte sonst gleich Konkurs anmelden. „Oder wir behalten AKK solange noch“, sagt ein Christdemokrat. Dann lacht er über sich selbst. Das Lachen klingt unfroh und ratlos.

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