Interview zur Bilderberg-Konferenz: "Die Nationalstaaten sind nicht machtlos"
Die Bilderberg-Konferenz tagt wieder, ein Forum der Mächtigen von einst und heute. Aber sind Eliten überhaupt global? Forscher Michael Hartmann sagt im Interview: Nein.
In diesen Tagen trifft sich wieder die Eliten-Konferenz der Bilderberger, die manche für eine globale geheime Macht halten, eine Art geheime Weltregierung. Was sind die Bilderberger jenseits von Mythen und Verschwörungstheorien?
Da treffen sich Menschen, die in der Vergangenheit wichtige Positionen hatten, mit Mitgliedern der aktuellen Eliten zu einem zwanglosen Informationsaustausch in einem geschützten Raum, in dem sie offen reden und sich kennenlernen können. Es gilt die Chatham House Rule; weitergegeben werden darf nur, was gesagt wurde, aber nicht von wem. Die allermeisten sind allerdings nur einmal dabei, was für einen engeren Zusammenhang in Richtung einheitliche Elite bei weitem nicht ausreicht. Schaut man sich an, wer häufiger dabei ist, sind das von Ausnahmen abgesehen – eine ist der Chef des Springer-Verlags, Matthias Döpfner – vor allem ehemals Mächtige wie der ehemalige US-Außenminister Henry Kissinger oder der frühere Weltbank-Präsident James Wolfensohn. Das sind Personen mit einem Nimbus und Kontakten, aber nicht die aktuelle Machtelite.
Also ein harmloses Treffen im Herrenclub?
Das auch nicht. Einmal sind unter den regelmäßigeren Teilnehmern Ehemalige mit immer noch guten Kontakten wie den früheren EU-Kommissionspräsidenten Barroso. Und es gibt unter ihnen auch immer ein paar aktuell Mächtige. Der Airbus-Chef Thomas Enders ist zum Beispiel ein ständiger Gast. Für seinen Auch-Rüstungskonzern scheint der Herrenclub also nützlich zu sein, weil er dort frühzeitig etwas über zukünftige Rüstungsprojekte oder Verteidigungspläne erfahren kann. Generell dürfte der Reiz des Treffens aber vor allem darin liegen, Probleme offen diskutieren und ein Gefühl für die anderen Teilnehmer entwickeln zu können. Das kann für die eigene weitere Arbeit nützlich sein.
Sie haben bisher nur die Namen von Männern genannt, die alle aus dem Norden der Welt stammen. So richtig divers ist die Veranstaltung ja nicht.
Nicht sehr. Afrika ist nicht, Asien so gut wie nicht vertreten, auch Osteuropäer sind nur wenige dabei. Man trifft sich ein bisschen entlang der Nato-Kreise, das sorgt für Homogenität. Auch für ideologische. Gewerkschafter zum Beispiel trifft man dort ebenfalls nicht. Für spezielle Themen werden allerdings Experten eingeladen, so dieses Jahr die Gen-Forscherin Emmanuelle Charpentier.
Sie wurden auch noch nicht eingeladen?
(lacht). Nein nein. Auch wenn es dort durchaus darum geht, Kontroversen auszutragen: Der frühere Grünen-Fraktionschef Jürgen Trittin war allerdings das äußerste Linke, was man sich in den letzten Jahrzehnten geleistet hat.
Für eine inzwischen multipolare Welt ist Bilderberg also eher etwas altbacken?
Das würde ich so nicht sagen Bilderberg ist ein Kreis von Personen, die vor allem aus Politik, Wirtschaft und Finanzwelt kommen. Medien waren auch immer vertreten, „Die Zeit“ aus Hamburg allerdings als einziges Medium kontinuierlich, inzwischen seit mehr als 30 Jahren. Da wird schon versucht, Strukturen, die in der Vergangenheit stabil und dominant waren, in die multipolare Welt zu retten. Und dafür ist es gut, unter sich zu sein und zu sondieren, wie man im Sinne dieser Strukturen agieren kann.
Sie halten globale Eliten sowieso für einen Mythos. Stimmt das also auch für die Bilderberger?
Ja. Da schwingt ja immer mit, es gebe so etwas wie eine einheitlich denkende und handelnde Elite oder Klasse...
Und in den Konzernen, deren Personal Sie untersucht haben?
Da sie multinational agieren, sollte man bei ihnen am ehesten auch internationales Führungspersonal erwarten. Tatsächlich sind aber unter den Vorstandsvorsitzenden oder CEOs der 1000 größten Konzerne der Welt nur 10 Prozent Ausländer. In Großbritannien stellen sie immerhin ein Drittel, aber auch Deutschland gehört mit einem Anteil von nur 14 Prozent ausländischer CEOs immer noch zur Spitzengruppe. In den USA haben knapp 8 Prozent der Firmen einen Chef, der nicht US-Bürger ist, in Italien steht nur einer an der Spitze und das auch erst seit kurzem, der CEO der Bank Unicredit. In Japan ist es ebenfalls einer, in China, Russland, Indien oder Spanien kein einziger. Und selbst wenn man sich dazu die Auslandserfahrung der Einheimischen ansieht, kommt heraus: 70 Prozent der CEO der 1000 größten Konzerne haben eine rein nationale Karriere gemacht, von der Geburt bis zur jetzigen Position. Erweitert man den Kreis der Unternehmen, sinkt der Anteil sofort – ausländische CEO und Auslandserfahrung sind, wenn es sie überhaupt gibt, eine Sache der Top-Konzerne.
Sie kritisieren, dass der Mythos vom internationalen Markt der Manager dazu beiträgt, dass deren Gehälter in die Höhe schießen. Das Argument lautet: „Wenn wir nicht astronomische Gehälter zahlen, kriegen wir nur Leute der zweiten Reihe.“
Das ist ein Teil des Mythos, der zweite: Wir sind machtlos und müssen den Konzernen und den Reichen bei den Steuern entgegenkommen, sonst gehen sie woandershin.
Lassen Sie uns dennoch kurz bei den Gehältern bleiben.
Es gibt diesen weltweiten Markt für Topmanager gar nicht, die man so fürstlich entlohnen müsste. In Großbritannien und Frankreich gibt es je einen Deutschen an der Spitze eines Großkonzerns, in den USA nach dem Ausscheiden von Kleinfeld niemand mehr. In Österreich, wo eher schlecht bezahlt wird, dagegen zwei. Als die Deutsche Vereinigung der Finanzanalysten kürzlich ihre Mitglieder befragte, ob sie die hohen Gehälter gut fänden, sagte die Mehrheit, wenig überraschend, ja. Interessanterweise aber meinten sie außerdem, dass die Manager mangels Alternativen auch für weniger Geld arbeiten würden. 2,88 Millionen Jahresgehalt hielten sie für ausreichend, also nicht einmal die Hälfte dessen, was aktuell gezahlt wird. Trotzdem hat auch die Lufthansa kürzlich diesen Unsinn „Für die Besten viel Geld“ wieder belebt, als sie mit dieser Begründung beschloss, die Vorstandsgehälter deutlich anzuheben. Auch SAP-Vorstandschef McDermott hat damit sein Rekordgehalt von fast 15 Millionen gerechtfertigt.
Wenn es nicht das Geld ist, was spielt dann eine Rolle?
Wichtiger sind nationale Traditionen und Netzwerke. In die kommen Ausländer aber außerordentlich schwer hinein. In Japan zum Beispiel rückt nur an die Spitze, wer sein gesamtes Berufsleben im Unternehmen verbracht hat. In Frankreich sollte man auf einer der kleinen Elitehochschulen wie der ENA gewesen sein. Und dann ist es ganz simpel die Sprache und zwar auf einem Niveau, das auch die Feinheiten in Gesprächen abdeckt. Deshalb kommen 75 Prozent der ausländischen CEOs in den USA aus englischsprachigen Ländern. In Österreich sind die Ausländer dafür in der Regel Deutsche.
Nun sind die Gehälter in den Vorständen womöglich pro Nase riesig und in der Sache nicht gerechtfertigt. Aber volkswirtschaftlich fallen sie nicht weiter ins Gewicht. Was ist schlimm daran?
Die exorbitanten Gehälter ganz an der Spitze liefern eine Orientierung für die erste Ebene in anderen Bereichen. In den letzten 10 bis 20 Jahren sind auch die Gehälter dort alle massiv in die Höhe gegangen. Was bei VW gezahlt wird, zieht dann auch die Chefs von großen Krankenkassen mit, die Chefin eines kommunalen Energieversorgers oder den Intendanten eines großen Senders. Sie alle verweisen auf die Topmanager. Da gab es einen Sog auf allen Führungsebenen, mit Ausnahme der Politik. Nehmen Sie die Bahn: Die wurde früher von ehemaligen Staatssekretären geführt, die heute jährlich ca. 150.000 Euro haben. Der frühere Vorstandschef Grube bekam 2,1 Millionen und fühlte sich unterbezahlt. Das hat in der Gesellschaft insgesamt eine enorme Kluft aufgerissen. Gleichzeitig wird in jeder Tarifverhandlung zum Maßhalten gemahnt.
Sind ungleiche Gesellschaften wirtschaftlich tatsächlich weniger erfolgreich?
Eine Reihe von Studien der Weltbank und der OECD, die systemkritischer Bestrebungen unverdächtig sind, legen das nahe. Ich wäre da wegen der vielen Einflussfaktoren allerdings etwas vorsichtiger. Sie sind wirtschaftlich auf jeden Fall nicht erfolgreicher. Was für die These spricht, ist folgendes: Geld, das den Reichen zugutekommt, wandert zu einem erheblichen Teil in die Finanzmärkte und dient vorwiegend der Spekulation. Es ist damit dem Binnenkonsum entzogen, wo es landen würde, wenn die Armen und die Mittelschichten es ausgeben könnten.
Sie erwähnten Teil zwei des Mythos von den globalen Eliten: Wir können national nichts gegen sie ausrichten, müssen ihnen also Steuervorteile einräumen, sonst laufen sie uns davon.
Das stimmt weder für einzelne Steuerzahler noch für Unternehmen. US-Bürger – das sind die meisten Reichen der Welt, gefolgt von Chinesen und an dritter Stelle Deutschen – gehen mit ihren Vermögen praktisch nie ins Ausland. Es bringt ihnen steuerlich nämlich nichts. Sie müssten in den USA die Differenz zwischen den dort fälligen Steuern und den in einem Niedrigsteuerland anfallenden nachzahlen. Und selbst wenn sie auf ihre Staatsbürgerschaft verzichten wollten, um Bürger eines Steuerparadieses zu werden, wäre eine „Exit Tax“ von über 20 Prozent auf ihr gesamtes Vermögen fällig. Das Prinzip könnte man auch in der EU durchsetzen: Wer Bürger eines Landes ist, zahlt dessen Steuersatz.
Und die Unternehmen?
Da ist es komplizierter. Aber auch sie können nicht beliebig Steuern sparen. Nationale Maßnahmen greifen durchaus. Anfang des Jahres zahlten Apple und Google allein in Italien je über 300 Millionen nach, weil ein Steuerhinterziehungsverfahren drohte. Google zahlte auch in Großbritannien über 170 Millionen nach. Amazon versteuert inzwischen sogar alle in Großbritannien anfallenden Gewinne im Land, weil London durch eine Änderung im Steuerrecht ins Ausland verschobene Gewinne mit einem auf 25 Prozent erhöhten Steuersatz belastet. Zweitens: Firmensitze lassen sich nicht einmal eben verlegen. Sie sind eingebunden in Strukturen, informelle Beziehungen am Ort, Zulieferer, Ideengeber. Verließe Google Silicon Valley, würde ihm die ganze Infrastruktur fehlen, zum Beispiel die Universitäten Stanford und Berkeley. Es nützt wenig, Steuern zu sparen, wenn man seine Innovationskraft verliert. Das gilt auch für die Stuttgarter Autobauer mit ihrem Hinterland.
Wir leben in einer globalen Welt, aber der Nationalstaat ist nicht machtlos?
Nein, überhaupt nicht. Man müsste den Drohungen der Reichen und der Unternehmen nur einmal etwas entgegensetzen. Der Nationalstaat ist immer noch die entscheidende Einheit. Da spielt zwar auch eine Rolle, wie groß dieser Nationalstaat ist, aber Deutschland zum Beispiel gehört sicher nicht zu den kleinen, hat also entsprechende Durchsetzungskraft.
Michael Hartmann forschte als Soziologie-Professor an der TU Darmstadt lange Jahre über Eliten. Im vergangenen Jahr erschien sein Buch "Die globale Wirtschaftselite. Eine Legende" im Campus-Verlag.
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