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Für schwach- und mittelradioaktive Stoffe ist das Endlager Schacht Konrad in Salzgitter im Bau.
© Silas Stein/picture alliance

Deutschlands strahlendes Erbe: Die komplizierte Suche nach dem Atommüll-Endlager

Der Salzstock in Gorleben ist symbolisch eingemottet worden, ein neuer Standort muss her. Was macht die Sache so schwierig?

Als kurz vor Ostern der Salzstock in Gorleben als Atommüll-Endlageroption symbolisch eingemottet worden ist, war das für viele der Startschuss für die „weiße Landkarte“. Nach der Entscheidung für den Atomausstieg bis 2022 im Zuge der Reaktorkatastrophe von Fukushima wurde von Bund und Ländern beschlossen, auch die Suche nach dem Endlager müsse neu starten. Denn der Salzstock im Wendland war unter fragwürdigen Umständen ausgewählt worden.

Die heftigen Proteste gegen die Castor-Transporte in das oberirdische Zwischenlager wurden zum Symbol gegen eine Politik, die alles ist, nur nicht transparent.

Doch die Zeiten sind hoch polarisiert, sobald im kommenden Jahr durchsickern wird, welche Regionen auf die Favoritenliste kommen, dürfte es hoch her gehen. Alle haben von dem erzeugen Strom Jahrzehnte profitiert, doch das strahlende Erbe will keiner bei sich haben.

Wie ist der Zeitplan der Endlagersuche?

Die Bundesgesellschaft für Endlagerung (BGE) ist mit der Suche nach einem Endlager für hochradioaktive Abfälle beauftragt. Bis 2031 soll das Bundesunternehmen das Endlager finden, das die Abfälle für eine Million Jahre sicher verwahren soll. Seit der Neuausrichtung der Standortsuche gilt die „weiße Landkarte“: Kein Standort in Deutschland wird ausgenommen. Die Suche gliedert sich in drei Phasen. Im ersten Schritt werden zunächst ungeeignete Gebiete ausgeschlossen.

Wann wird klar, welche Orte in Betracht kommen?

Im Herbst 2020. Dann stellt die BGE einen Bericht vor, der infrage kommende Regionen für ein Endlager benennt. Intern ist bereits vom „D-Day“ die Rede. Dutzende Gebiete könnten dann zur Diskussion stehen. Schon jetzt bereitet es der BGE Kopfzerbrechen, wie die Liste möglichst lange geheim gehalten werden kann. Und wie man das vor Ort kommunizieren soll, ohne dass es Widerstand gibt und durch massiven Protest potenziell infrage kommende Regionen unmöglich gemacht werden. Die Angst: Es könnten viele neue Gorleben entstehen.

Wie geht es nach Veröffentlichen der Liste weiter?

Das Bundesamt für kerntechnische Entsorgungssicherheit (BfE) richtet eine Fachkonferenz aus, auf der die Ergebnisse diskutiert werden. In der zweiten Phase folgt die übertägige Erkundung. Erst im dritten Schritt werden wenige Standorte auch untertägig untersucht. Letztlich wird das BfE einen Endlagerstandort vorschlagen. Die Entscheidungen zur übertägigen und untertägigen Erkundung, auch jener über den finalen Vorschlag des BfE, werden vom Bundestag und Bundesrat gefällt. Viel wird davon abhängen, wie kooperativ sich die betreffenden Landesregierungen und Kommunen verhalten. So steht bereits im Koalitionsvertrag von CSU und Freien Wählern in Bayern: „Wir denken beim Schutz unserer Heimat über Generationen hinaus. Wir sind überzeugt, dass Bayern kein geeigneter Standort für ein Atomendlager ist.“ Will heißen: Wir sind da raus.

Braucht es überhaupt ein Endlager?

Selbst über diese Frage herrscht kein Konsens. So steht im Grundsatzprogramm der AfD, die sich allein schon aus Klimaschutz- und CO2-Reduktionsgründen auch für eine Laufzeitverlängerung der Atomkraftwerke über 2022 hinaus stark macht: „Radioaktive Reststoffe sollten dezentral, zugänglich und katalogisiert in gesicherten Orten eingelagert werden, wo jederzeit der Zugriff möglich ist, um sie mit technischem Fortschritt wieder aufbereiten zu können“. Die Vorsitzende des Umweltausschusses im Bundestag, Sylvia Kotting Uhl (Grüne) betont, ohne ein dauerhaftes Bekenntnis aller politisch Verantwortlichen zu dem Suchprozess werde es nicht funktionieren: „Das Atommüllproblem lässt sich nur solidarisch lösen.“ Dafür müsse der Suchprozess transparent sein, „sonst sind Misstrauen und Widerstand vorprogrammiert“. Entscheidend sei eine intensive Beteiligung der Bürger vor Ort.

Gibt es eine Vorfestlegung auf Salz-, Ton- oder Granitgestein?

Nein. Regionen mit Salz-, Ton- und Granitgestein hat sich der Bund als mögliche Wirtsgesteine für den Endlagerstandort ins Gesetz geschrieben – lange Zeit setzte man mit Gorleben auf Salz, das den Atommüll irgendwann umschließt. Aber seit dem Debakel mit der Asse bei Wolfenbüttel, einem früheren Salzbergwerk, das als Versuchslager für schwach- und mittelradioaktive Abfälle genutzt wurde, wo der Atommüll durch das Eindringen von Wasser aus den Fässern austrat, sind die Zweifel gewachsen. Allerdings wurde der Abfall hier zwischen 1967 und 1978 unsachgemäß abgekippt.

Alle drei Gesteine werden derzeit bei Forschungen zur Endlagersuche berücksichtigt. Doch erscheint ein Standort mit Granitgestein unwahrscheinlicher als einer mit Ton oder Salz, da einige Regionen mit Granitgestein in Deutschland als zerklüftet gelten. Ton hat den Nachteil, dass er weniger hitzebeständig ist, die Wärme, die an das umgebende Gebirge abgegeben wird, dürfte 100 Grad nicht überschreiten. Als Endlagerstandort kommen nur Regionen infrage, die geologische Barrieren aufweisen – möglichst undurchlässige Gesteinsformationen mit einer Dicke von mindestens 100 Metern in einer Tiefe von mindestens 300 Metern.

Wo könnten demnach mögliche geeignete Standorte liegen?

Das ist spekulativ, weil erstmals nach bundesweit einheitlichen Kriterien gesucht wird – und keine politischen Einflussnahmen wie bei Gorleben eine Rolle spielen sollen. Der Salzstock war gar nicht erste Wahl. Er lag aber abgelegen an der DDR-Grenze und wurde 1977 ausgewählt. In einer Studie der Kernbrennstoff-Wiederaufarbeitungs-Gesellschaft (Kewa) wurde der Salzstock Wahn im Emsland weit besser bewertet, doch da gab es Proteste. Gorleben bleibt auch jetzt im Topf – für die Gegner hat die „weiße Landkarte“ daher einen schwarzen Fleck, da man am Ende wieder hier landen könnte.

Maschinen im ehemaligen Erkundungsbergwerk Gorleben
Maschinen im ehemaligen Erkundungsbergwerk Gorleben
© dpa/Philipp Schulze

Die Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe (BGR) nannte in einer Präsentation 2008 verschiedene mögliche Regionen. Für Salz vor allem in Niedersachsen und Sachsen-Anhalt, für Ton unter anderem in Nordrhein-Westfalen, Mecklenburg-Vorpommern, Brandenburg und Baden-Württemberg, für Granit vor allem in Sachsen, hier besonders im Fichtelgebirge, und in Bayern. Ausschließen kann man die Stadtstaaten Hamburg, Berlin und Bremen. Als politisch besonders heikel gilt ein Endlager im Osten, das den ganzen hochradioaktiven Abfall aus westdeutschen Atomkraftwerken schlucken sollte.

Wie viel Atommüll gibt es bisher und wo lagert er?

Das Endlager, das gesucht wird, ist für hochradioaktive Abfälle vorgesehen. Für schwach- und mittelradioaktive Stoffe ist das Endlager Schacht Konrad in Salzgitter im Bau, das bis 2027 fertiggestellt werden soll. Es ist ein früheres Eisenerzbergwerk und wird rund 90 Prozent der radioaktiven Abfälle aufnehmen – diese machen aber nur 0,1 Prozent der Strahlung aus. Rund 1900 Castor- und andere Behälter mit hochradioaktiven Abfällen muss das Endlager ab etwa 2050 fassen können.

Derzeit lagern die Abfälle in sechszehn Zwischenlagern im Bundesgebiet. Zwölf von ihnen befinden sich an den Standorten ehemaliger oder noch laufender Atomkraftwerke. Auch in Gorleben befindet sich ein Zwischenlager. Dort lagern 113 Behälter für hochradioaktive Abfälle.

Was passiert, wenn die Genehmigungen für die Zwischenlager auslaufen?

Sie sind eigentlich nur auf 40 Jahre angelegt. Tatsächlich laufen die Genehmigungen einiger Zwischenlager bereits wenige Jahre nach dem geplanten Ende der Endlagersuche aus, in Gorleben bereits 2034. Auch dürfen die hochradioaktiven Abfälle ab dem Zeitpunkt der Beladung eigentlich nur maximal 40 Jahre in den Behältern aufbewahrt werden. Das Endlager kann jedoch aufgrund der langen Genehmigungsverfahren nach dem strengen Atomrecht und dem aufwendigen Bau im Idealfall frühestens 2050 in Betrieb gehen, dann folgt noch die Einlagerung.

Für die Zwischenlager wird derzeit eine Verlängerung der Betriebszeit geprüft, die Frage ist aber: für wie lange? Und wie groß ist das Risiko bei nur angebrannten Brennstäben, die besonders gelagert werden müssen? Weil nach Fukushima acht Atomkraftwerke dauerhaft abgeschaltet wurden, konnten einige Brennstäbe nicht mehr abbrennen. Klar ist: Gibt es ein Endlager, folgen jahrelange neue Castor-Transporte durch das ganze Land – mit womöglich massiven Protesten, um die Einlagerung zu verhindern.

Wie weit sind andere Länder in Europa?

Kein anderes europäisches Land hat bereits ein Endlager für hochradioaktiven Müll in Betrieb. Nur im französischen Bure, rund 125 Kilometer von der deutschen Grenze entfernt, und im finnischen Olkiluoto befinden sich Endlager in Bau. Der Bau des Endlagers in Frankreich soll mindestens 25 Milliarden Euro kosten. Die Schweiz sucht seit 2008 nach einem Endlager und führt bereits untertägige Erkundungen durch, einige nahe der Grenze zu Deutschland. Die Bundesregierung fordert daher ein Mitspracherecht. Für die deutsche Endlagersuche und den Bau sind bisher 24 Milliarden Euro reserviert. Das Lager muss 19000 Kubikmeter Schwermetall fassen können. Die Einlagerung wird rund 50 Jahre dauern. Das heißt: Im Idealfall ist das strahlende Erbe bis 2100 komplett unter der Erde.

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