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Maschinen stehen unter Tage im ehemaligen Erkundungsbergwerk in Gorleben.
© dpa/ Philipp Schulze

Letzte Einfahrt in Gorleben: "Gut, dass nach Jahrzehnten des Konflikts abgerüstet wird"

Für Jahrzehnte stand Gorleben für den Konflikt um die Nutzung der Atomenergie. Der Salzstock bleibt im Verfahren der Endlagersuche.

Als Jochen Flasbarth am Montag in den Schacht von Gorleben absteigt, hinein in das alte Salzbergwerk, zu einer letzten symbolischen Befahrung, endet eine Epoche. Mehrere Jahrzehnte wurde der Salzstock ab 1977 für die Endlagerung hochradioaktiver Abfälle erkundet. Gerade Gorleben erfuhr den Widerstand der Anti-Atom-Bewegung. „Das Bergwerk Gorleben war Gegenstand einer der heftigsten gesellschaftlichen Konflikte, die in der Nachkriegszeit ausgetragen worden sind“, sagte Flasbarth, Staatssekretär im Bundesumweltministerium.

An kaum einem anderen Ort in der Bundesrepublik hat es so starken zivilen Widerstand gegeben. Nun wird abgerüstet. Die fünf Meter hohe Mauer, die das Bergwerk umgab und lange mit Stacheldraht versehen war, soll in den kommenden Wochen abgerissen werden. Nur ein kleines Teilstück bleibt auf Wunsch der örtlichen Bürgerinitiative erhalten.

Für den Widerstand, den das Wendland mehrere Jahrzehnte lang erlebte, ist die Mauer ein Symbol – gegen die Endlagerung vor Ort und die Nutzung der Atomenergie in Deutschland. „Mit dem Erhalt eines Teilstücks der Mauer bewahren wir die Erinnerung an einen tiefgreifenden gesellschaftlichen Konflikt in unserem Land“, sagte Flasbarth.

Gorleben bleibt im Verfahren der Endlagersuche

Gerade Anti-Atom-Aktivisten hatten sich für die Erhaltung eines Teils der rund zwei Kilometer langen Mauer stark gemacht. Für sie ist die Mauer Erinnerung und Sinnbild ihres Widerstands. Zahlreiche Demonstrationen und Blockaden fanden vor der Mauer statt. Tausende Demonstranten protestierten gegen die Castor-Transporte nach Gorleben. Der Konflikt um die Nutzung der Kernenergie hat Gräben gezogen, das geplante Endlager wurde dessen Symbol. Jüngst forderte der ehemalige Bundesumweltminister Klaus Töpfer (CDU) im Tagesspiegel eine umfassende Aufarbeitung.

„Es ist gut, dass in Gorleben nach Jahrzehnten des gesellschaftlichen Großkonflikts sichtbar abgerüstet wird. Der Abbau der Geländemauer ist ein weiterer Schritt in die richtige Richtung“, sagte Silvia Kotting-Uhl (Grüne), Vorsitzende des Umweltausschusses im Deutschen Bundestag, am Montag.

Jochen Flasbarth (links), Staatssekretär im Bundesumweltministerium, steht im ehemaligen Erkundungsbergwerk.
Jochen Flasbarth (links), Staatssekretär im Bundesumweltministerium, steht im ehemaligen Erkundungsbergwerk.
© dpa/ Philipp Schulze

Für Flasbarth und den Tross aus Politikern mag die Einfahrt ein symbolisches Ende gewesen sein. Im Verlauf der Endlagersuche für hochradioaktive Abfälle wird es kaum die letzte bleiben. Zwar war nach 2013 ein Ende der Erkundung des alten Salzstocks als Endlagerstandort beschlossen worden. Der Bundestag und das Land Niedersachsen einigten sich 2014 auf einen Rückbau des Bergwerks. Seit Anfang des Jahres ist der Rückbau unter Tage zudem nahezu beendet. Doch hat der Bundestag auch die Offenhaltung beschlossen. Wartungsarbeiten halten die Infrastruktur intakt.

Für die derzeitige Endlagersuche gilt die „weiße Landkarte“. Kein Standort in Deutschland soll von der Endlagersuche ausgeschlossen sein, keiner nachrangig behandelt werden – auch der Salzstock Gorleben nicht. „So ist es im Endlagerkonsens festgehalten, und so wird es auch umgesetzt“, sagte Flasbarth. Die Bundesgesellschaft für Endlagerung (BGE) sucht seit 2017 nach einem Endlagerstandort, bis 2031 soll er gefunden werden.

Gebiete mit Ton-, Salz- und Granitgestein kommen als Standort infrage. Derzeit wertet die BGE die Geodaten von 64 Landesämtern und Bundesbehörden aus, schließt Standorte aus, wägt geologische Kriterien ab. Mitte 2020 will die BGE den Bericht vorlegen, der die infrage kommenden Regionen nennen soll. Vieles „was unsere Fachleute über Endlager wissen, haben sie bei der Erkundung in Gorleben“ gelernt, so Stefan Studt, Vorsitzender der BGE-Geschäftsführung.

Kotting-Uhl mahnt Einigkeit im Suchprozess an

Dass Gorleben weiter im Suchverfahren bleibt, kritisieren die Aktivisten. „Deshalb bleiben wir auf der Hut und müssen dafür kämpfen, dass es am Ende nicht heißt, ,das war eure Ehrenrunde', wie es der damalige Umweltminister Peter Altmaier uns einst ins Gesicht sagte“, so Wolfgang Ehmke, Pressesprecher der Bürgerinitiative Lüchow-Dannenberg. „Für uns gehört Gorleben auf den Misthaufen der Atomgeschichte. Dafür werden wir weiterkämpfen“, sagte Ehmke. Der Aktivist sieht einen „schwarzen Fleck“ auf der Landkarte, kritisiert auch die mangelnden Mitwirkungsmöglichkeiten bei der Endlagersuche. Partizipationsangebote blieben aufs Mitreden beschränkt. Erst wenn das Gesetz entsprechend novelliert werde, kehre Fairness ein.

Bayern sieht sich nicht als möglicher Standort

Kotting-Uhl mahnte Einigkeit im Suchprozess an. „Wir werden das schwierige Problem mit dem hoch radioaktiven Atommüll nur dann vertretbar lösen können, wenn alle Verantwortlichen in der Politik sich dauerhaft zu dem gemeinsamen, wissenschaftsbasierten Verfahren bekennen. Das gilt auch für Bayern“, sagte die Bundestagsabgeordnete. CSU und Freie Wähler hatten sich im Herbst in den Koalitionsvertrag geschrieben, dass Bayern „kein geeigneter Standort für ein Atomendlager“ sei.

Der Standort Gorleben bleibt nicht nur im Prozess der Endlagersuche zunächst erhalten – er steht auch stellvertretend für die Zwischenlagerung der radioaktiven Abfälle in Deutschland. 1900 Castoren muss das Endlager für hochradioaktiven Müll, das nach 2031 entsteht, aufnehmen. Derzeit befinden sie sich in dreizehn Zwischenlagern, meist an Standorten abgeschalteter oder noch laufender Atomkraftwerke.

Das Problem: Ihre Genehmigungen laufen bis 2047 ab. 113 Behältnisse mit hochradioaktivem Atommüll befinden sich nach Informationen der Bundesgesellschaft für Zwischenlagerung in Gorleben, über Tage gelagert. Das Brennelemente-Lager in Gorleben ist bis 2034 genehmigt.

Der Beitrag erschien zuerst in unserem Entscheider-Briefing Tagesspiegel Background Energie & Klima.

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